Bestseller 2017: Die meistverkauften Sachbücher des Jahres
Sachbücher 2017
Der Arzt, dem die Deutschen vertrauen
Wann wird Eckart von Hirschhausen eigentlich Präsident? Die Deutschen lieben diesen TV-Doktor, der auch die letzten Grippeviren wegplaudert. Wer stand 2017 noch auf der Sachbuch-Bestsellerliste oben?
Liest man die fünf meistverkauften Sachbücher 2017 als Spiegel der deutschen Seele, bleibt eine Nation, die sich vor allem für Allgemein- und Naturmedizin interessiert und für Charakterunterschiede von Bäumen. Rechtsruck, Flüchtlinge, Politik ganz allgemein? Weitgehend egal, solange es dem Magen und der Seele gut geht. Ist das beunruhigend? Oder einfach gelassen?
Warum wurde ein Buch zum Bestseller und auf welchen Ableger können wir 2018 warten? Wir haben die fünf meistverkauften Sachbücher für Sie geprüft (und hier bereits die erfolgreichsten Romane aus dem Jahr 2017). Klicken oder wischen Sie sich hier durch die Bücher:
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Bestseller 2017: Die meistverkauften Sachbücher des Jahres
5 BilderBestseller 2017: Die meistverkauften Sachbücher des Jahres
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1 Eckart von Hirschhausen: "Wunder wirken Wunder"
Darum geht's: Rauchen ist schlecht, Impfen ist gut, Smarties als Placebo schlucken und auf Wunden pusten schadet nicht, dazu ein paar Studien-Zitate. Hirschhausen, von Beruf Zauberer und Arzt, zielt mit diesem Buch mitten in die digitale Hochphase pseudomedizinischer Kurpfuscher, die mit ihrer Quacksalberei all jene verunsichern, die dringend verlässlichen Rat brauchen. Er richtet sich an jene, die an Wunder glauben wollen und Wissen nur in Form von Unterhaltung schlucken. Typischer Satz: Über einen Leukämiekranken, der darauf drang, Teil einer Studie zu werden: "Logischerweise kann das auch komplett nach hinten losgehen und stellt keine Empfehlung dar. Aber in seinem Fall ging es gut [...]." Bestseller-Zutaten: Hirschhausen hat eigene ARD-Abendshows, Zeitschriftenkolumnen, Bühnenprogramme, will sagen: Er hat sein Publikum schon. Ein Buch ist nur ein weiterer Artikel im Merchandising-Kosmos. Diagnose: Es wurde schon alles gesagt, nur noch nicht von allen. Zu Recht Bestseller? Ein solides Handbuch mit Allgemeinmedizinerwissen für den Hausgebrauch wirkt auch. Hat aber kein Pinguin-Daumenkino. Auf diese Ableger warten wir 2018: Ganz handfest: "Nichts ist, wie es scheint. Über Verschwörungstheorien" von Michael Butter, Kulturgeschichtsprofessor in Tübingen, erscheint im März bei Suhrkamp.
Darum geht's: Können Bäume Tage zählen? Kann eine Eiche ängstlich sein und die nebenan nassforsch? Wohlleben betrachtet jeden Stamm im Wald als Teil eines Systems, sieht sie als Nachbarn oder Sozialamt. Der Förster teilt hier sein eigenes anhaltendes Staunen - über Pilze, Borkenkäfer und darüber, was drumrum passiert, wenn ein Baum stirbt und verschwindet. Typischer Satz: Über die Charakterunterschiede von Bäumen - und die Frage, wie viele von ihnen kapieren, dass es ihnen langfristig schadet, unten auszutreiben: "Schauen Sie sich die Bäume an, die um eine kleine Lichtung herum stehen. Alle haben den gleichen Anreiz, Dummheiten zu machen und neue Äste am Stamm zu bilden, doch nur ein Teil von ihnen erliegt der Versuchung." Bestseller-Zutaten: Das Buch folgt dem "Darm-mit-Charme"-Prinzip: Expertise und Plauderton statt einer Sprache, die ständig gespreiztes Auskennertum beweisen muss. Hier erklärt uns einer aus der Praxis etwas, das wir alle zu kennen glauben - und tja, denkste. Zu Recht Bestseller? Keinen Schimmer zu haben, fühlte sich selten so bereichernd an. Wohlleben packt auf eine Seite so viel Inhalt, dass selbst Vielleser langsam machen, um ja keine Information zu verpassen. Der Holzwolle-Quotient geht gegen Null. Frage ins Grüne: Kann man den Mann nicht einfach alle Bioschulbücher schreiben lassen? Auf diese Ableger warten wir 2018: Ed Yong: "Winzige Gefährten. Wie Mikroben uns eine umfassende Ansicht vom Leben vermitteln", Kunstmann März 2018, 480 Seiten, 28 Euro.
3 Andreas Michalsen: "Heilen mit der Kraft der Natur"
Darum geht's: Es ist letztlich das Kompendium, das gegen die Unschärfe beim Erstplatzierten dieser Liste wirken würde. Vorausgesetzt, man steht auf Naturheilkunde. Oder zumindest: Vorausgesetzt, man lässt sich probehalber auf die Fachkundigkeit des Charité-Professors für Klinische Naturheilkunde ein. Michalsen rechnet präzise vor, wieso Fisch schlechter ist als sein Ruf, was Bewegung nun wirklich bewirkt, was "Selbstheilungskräfte" sind. Sein Buch ist vor allem handfest: Er liefert Therapieberichte, pragmatische Tipps gegen Diabetes, Rheuma, Darmprobleme und den ganzen anderen chronischen Mist und macht stets transparent, wie die Schulmedizin behandeln würde. Kurz: eine kleine Hausapotheke mit Beipackzettel. Typischer Satz: "Es geht darum, den Einsatz von Medikamenten mithilfe naturheilkundlicher Methoden zumindest zu verringern, vielleicht sogar überflüssig zu machen, wenn das möglich ist." Bestseller-Zutaten: Nachschlagewerk? Check. Von Koriphäe geschrieben? Check. Der auch noch selbstkritisch ist? Check. Alltagstauglich? Check-check. Zu Recht Bestseller? Wenn einer so glaubwürdig auch beharrlichen Skeptikern Naturheilkunde nahebringen kann: auf jeden Fall. Selbst Ayurveda klingt bei ihm nie nach Wellness-Hokuspokus, sondern nach einer medizinischen Wissenschaft. Auf diese Ableger warten wir 2018: Von der US-Journalistin Barbara Ehrenreich, die bekanntlich allergisch auf Quacksalberei reagiert, erscheint im März bei Kunstmann eine Abrechnung mit der "Wellness-Epidemie". Titel: "Wollen wir ewig leben?".
4 Peter Wohlleben: "Das geheime Netzwerk der Natur."
Darum geht's: Wohlleben zoomt hier aus dem Wald heraus und wendet sein bewährtes Prinzip, Ursache-Wirkung auszudröseln, auch auf die Fauna an. Wieso ist es gut für kleine Bäume aber schlecht für Hirsche, wenn gezielt Wölfe angesiedelt werden, um sie vor dem Aussterben zu bewahren? Und ist es sinnvoll, den Auerhahn zu retten? Typischer Satz: Um zu erklären, wieso Ameisen Vergissmeinnicht lieben - für alle, die noch im postweihnachtlichen Futterkoma stecken: "Außen ist nämlich ein Elaiosom angebracht, das wie ein kleiner Kuchenkrümel aussieht, dabei handelt es sich um ein fett- und zuckerreiches Häppchen, welches wie Chips und Schokolade wirkt." Bestseller-Zutaten: Wohlleben ist längst eine Marke, siehe Platz 2. Oder wie er es selbst formuliert: Statt Naturprozesse nur biochemisch zu beschreiben, ist es ihm "wichtiger, die Faktenlage emotional begreiflich zu machen". Seine Bücher zu lesen ist, als stiefele man mit ihm in dreckigen Botten durchs Unterholz, während er erzählt. Zu Recht Bestseller? Bessere Argumente gegen Klimawandelskeptiker gibt es kaum. Auf diese Ableger warten wir 2018: Eva Meijer: "Die Sprache der Tiere", Matthes & Seitz März 2018, 200 Seiten, 28 Euro.
Darum geht's: Die einleuchtende These: Hunger, Krankheit und Kriege - die drei haben wir einigermaßen im Griff, zum ersten Mal seit Menschengedenken. Und was machen wir nun mit all der freien Zeit? Auf der "neuen menschlichen Agenda" stehen Glück und Unsterblichkeit. Harari entwickelt, wie sich der Mensch, dieser Gottgleiche, das Anthropozän einrichtet und sich im Humanismus befreit - und nun die Kontrolle verliert. An die Daten in dieser Ära des "Dataismus", wie er es nennt. Typischer Satz: "Der Dataismus droht somit, Homo sapiens das anzutun, was Homo sapiens allen anderen Tieren angetan hat. [...] Die Maßstäbe, die wir selbst entwickelt haben, werden uns dazu verdammen, den Mammuts und den chinesischen Flussdelphinen ins Vergessen zu folgen." Bestseller-Zutaten: Apokalypse der Menschheit durch Menschenhand, das alles als umfassende, brillant erzählte Menschheitsgeschichte: Mehr geht nicht in dieser allgemeinen Weltuntergangsstimmung. Zu Recht Bestseller? Auch wenn wir uns laut Harari selbst abschaffen: Dieses Buch hätte locker Platz eins auf der Liste verdient. Auf diese Ableger warten wir 2018: Nicht in die Zukunft, sondern in die andere Richtung: Das neue Buch von Astrophysiker Neil deGrasse Tyson "Das Universum für Eilige" erscheint Ende Januar im Hanser-Verlag.