
Comic "Im Schatten des Krieges": Diese Reporter machen einen rasend
Comic "Im Schatten des Krieges" Frau Glidden sitzt daneben und nickt und huiii
Timur Vermes wurde 1967 in Nürnberg als Sohn einer Deutschen und eines 1956 geflohenen Ungarn geboren. Er studierte Geschichte und Politik und wurde dann Journalist. 2012 veröffentlichte er den satirischen Roman "Er ist wieder da", von dem mehr als eine Million Exemplare verkauft wurden. Auch sein zweiter Roman "Die Hungrigen und die Satten" schaffte es auf Platz eins der SPIEGEL-Bestsellerliste.
Der Deutschlandfunk lobt Sarah Gliddens "Im Schatten des Krieges", Radio Bremen bestaunt seine "Tiefe", der "Tagesspiegel" ernennt den Band zum fünftbesten Comic des Jahres 2016, das macht neugierig. Kommt da womöglich ein gutes Produkt zum noch besseren Zeitpunkt?
Es klingt jedenfalls so: "Im Schatten des Krieges" verspricht Reportagen aus Syrien, dem Irak und der Türkei, also von drei aktuellen Brennpunkten. Auch löblich: Glidden will zudem Funktion und Probleme von Journalismus erklären, der ja selten erklärungsbedürftiger war als heute. Und wer jetzt fürchtet, das könnte etwas zu viel für einen einzigen Comic sein, den beruhigt der Verlag: "Sarah Glidden ist nach Joe Sacco die wichtigste Comic-Journalistin Amerikas." Was kann da noch schiefgehen?
Alles.
Was nicht am Comic-Journalismus liegt, den gibt es nämlich tatsächlich: Ein Comic-Journalist recherchiert wie jeder Reporter, hat aber beim Bebildern Vorteile. Er kann aus seinen Eindrücken eine eigene Optik frei konstruieren. Im Idealfall lassen sich so Zusammenhänge besser darstellen, was der erwähnte Joe Sacco nicht nur erfunden hat, sondern auch so perfektioniert, dass selbst sehr gute konventionelle Journalisten kaum mithalten können. Aber wer sich nur einen Sacco ansieht, etwa "Reportagen" (2013), der ahnt rasch, dass Sarah Glidden wohl gar keine Comic-Journalistin ist. Sondern eher ein Hascherl.
Oder wie sonst nennt man eine 36-Jährige, die zwar in Krisengebieten unterwegs ist, aber dort im Museum angesichts einer Kanone Fragen stellt wie: "Und damit beschießt man Gebäude?" Die dem Leser auch die Erklärung nicht vorenthält, mit der sie sich zufriedengibt: "Gibt einfach einen Riesenknall, wenn die Granate irgendwo einschlägt." Ist das noch Recherche oder schon Tinky-Winky-Bumm? Und auf dem Niveau geht's munter weiter.

Autorin Glidden
Foto: privat/ ReproduktGlidden zeichnet sich, wie sie eine Gruppe Journalisten auf deren zweimonatiger Nahostreise begleitet. Das heißt, sie zeichnet wie die Reporter schwallen und sie selber mit offenem Mund daneben sitzt. Wie sie "Wow" sagt, wie sie staunt, dass ein Kameramann den Begriff "B-Roll" benutzt. Oder dass Reporter darüber nachdenken, wie man eine Geschichte aufbaut. Letzteres leuchtet allerdings ein, denn Glidden selbst weiß für ihre Story nichts Besseres als: chronologisch der Reihe nach.
"Mühsames Geschäft, aber hey, das ist Journalismus!"
Das Ergebnis sind erst mal 40 Seiten darüber, woher sich alle kennen und was sie vorher gemacht haben, wie sie im Zug sitzen und sich gegenseitig interviewen, was sich dann liest wie eine unvorstellbar fade Folge von "Friends". Und spätestens wenn Glidden uns zeigt, wie sie aufgenommene Interviews in ihren Laptop tippt, unter der Denkblase: "Mühsames Geschäft, aber hey, das ist Journalismus!", da feuert man den Band zum ersten Mal quer durchs Zimmer.
Es hätte geholfen, sich vorher Gedanken zu machen: Welcher Journalismus ist denn überhaupt erklärungsbedürftig, wem misstrauen denn die Leser? Dem Blogger nebenan? Doch eher den Zeitungen, TV-Nachrichten, Magazinen wie dem "Stern" oder Internetmedien wie SPIEGEL ONLINE. Aber Sarah Glidden begleitet lieber einige sehr freiberufliche Reporter, die politisch korrekte Sachen schreiben wollen, die vielleicht auch mal keiner kauft.

Comic "Im Schatten des Krieges": Diese Reporter machen einen rasend
Wer das mit Profi-Journalismus unter Marktbedingungen in einen Topf schmeißt, der hält auch einen Würfel für so was wie einen Taschenrechner. Nun ja, dafür darf man dann immerhin lesen, wie diese rasend machenden Reporter dauernd an sich selbst zweifeln: "Ich versuche rauszufinden, was für eine Journalistin ich wirklich bin." Oder an ihrer Arbeit: "Was will ich eigentlich hier mit diesem komischen Projekt im kompliziertesten Teil der Welt?" Und der Kollege heult mit: "Geht mir genauso!"
Erschwerend kommt hinzu, dass sich Glidden von allen Reportagen ihrer Protagonisten auf die dümmstmögliche konzentriert. Die geht so: Ein Iraker flieht in die USA, lebt dort fünf Jahre, gerät im Zuge der 9/11-Ermittlungen ins Fadenkreuz der Behörden und muss das Land verlassen. Die Story ist deshalb so ungeeignet, weil sich die Fakten kaum klären lassen: Vielleicht lügt der Iraker, vielleicht al-Qaida, vielleicht der Staat, und für jede Facette gäbe es bessere, eindeutigere Beispiele. Man könnte also so höchstens zeigen, wie man sich Journalismus erschwert.
Glidden lässt aber ihre Reporterin sagen: "Ich finde einfach seine Geschichte interessant, mit allen Ungereimtheiten. Ich denke, wir können zeigen, dass das anständige Leute sind." Genau: Journalismus ist, wenn man sich Anstand aus Ungereimtheiten zusammenreimt. Frau Glidden sitzt daneben und nickt und huiii - wieder schmeißt man das Buch durchs Zimmer.
Im Schatten des Krieges: Reportagen aus Syrien, Irak und der Türkei
Preisabfragezeitpunkt
08.06.2023 07.33 Uhr
Keine Gewähr
Doch uns bleibt immer noch die Optik, oder? Joe Sacco, den Glidden als Vorbild nennt, zeichnet so akkurat, dass oft das Hinsehen wehtut. Sacco interviewt Folteropfer und zeichnet ihre Narben. Er zeichnet die Häuser von Palästinensern, die Einrichtung, die Wände, und hinterher weiß man, wie armselig Menschen leben können. Welcher Soldat hat welches Gewehr, wie sieht der Stacheldraht aus, durch den sich ein Flüchtling zwängt - Sacco war dort und lässt es seine Leser sehen. Glidden hingegen malt schön.
Unerschütterliche Trutschigkeit
Auf dem Cover interviewt eine Journalistin einen Mann auf einem Hausdach. Man sieht dahinter die irakische Stadt Sulaimaniyya, Häuser in warmen Farben, sauber verputzt, bunt, adrett. Wer nur Google Maps zur Hilfe nimmt, ahnt, dass in Sulaimaniyya derselbe orientalische Kabelsalat von Haus zu Haus führt wie anderswo, dass die Dächer auch hier vollgestopft sind mit Wasserbehältern, Satellitenschüsseln und Klimaanlagen. Und sind (in einer anderen Episode) die Wände im iranischen Evin-Gefängnis wirklich unten grün, oben weiß gestrichen, wie es Frau Glidden von US-Knästen kennt?
Klar, es geht auch ohne Fotorealismus. Der Kanadier Guy Delisle karikiert seit Jahren sein Leben in Städten wie Jerusalem, Pjöngjang oder Shenzhen. Aber gerade angesichts von Delisles Sinn für Situation und Pointen staunt man über die Zuverlässigkeit, mit der Glidden jedes interessante Detail vermeidet und mit unerschütterlicher Trutschigkeit aus jeder langweiligen Episode eine sterbenslangweilige macht.
Meine Empfehlung: Wer was über Journalismus wissen will, guckt "Schlagzeilen" von Ron Howard. Wer guten Comic-Journalismus sucht, bestellt was von Joe Sacco (Edition Moderne, Fehlgriffe ausgeschlossen) oder von Guy Delisle (Erziehungswitzbücher weglassen). Fürs Fremdschämen greife man zu Sarah Glidden.