Holocaust-Überlebende und Autorin Zum Tod von Schoschana Rabinovici

Schoschana Rabinovici war ab 1943 in verschiedenen Konzentrationslagern interniert, erst Jahrzehnte später konnte sie davon in ihrem Buch "Dank meiner Mutter" berichten. Jetzt ist sie mit 86 Jahren verstorben.

Schoschana Rabinovici war technische Zeichnerin, Physiotherapeutin, Mutter. Dass sie außerdem zur Autorin wurde, geht auf ein Versprechen zurück: Wer überlebt, muss erzählen, was gewesen ist. Diesen Schwur gaben sich die Frauen in den Lagern, in denen das jüdische Mädchen von 1943 an mit seiner Mutter interniert war. Keine elf Jahre war sie alt, als sie ins KZ Kaiserwald in Riga deportiert wurde. "Schau gut hin, vergiss das nicht", das haben ihr die anderen Frauen immer wieder gesagt, erinnerte sie sich später.

Rabinovici hat nichts vergessen. Aber es dauerte mehr als 40 Jahre, bis sie in der Lage war, ihr Versprechen einzulösen und ihre Geschichte aufzuschreiben: "Dank meiner Mutter" heißt das Buch, in dem sie schilderte, wie ihr das Überleben gelang. Von welchen unglaublichen Zufällen es auch abhing, immer wieder. 1991 sind ihre Erinnerungen auf Hebräisch erschienen, drei Jahre später auf Deutsch.

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Im Jahr 2013 trat sie auch im Wiener Burgtheater auf, zusammen mit fünf weiteren Überlebenden der Schoah saß sie auf der Bühne, sehr zierlich, sehr aufrecht, sehr würdevoll: "Die letzten Zeugen" hieß der Abend, der 75 Jahre nach den Novemberpogromen von ihrem Sohn, dem Schriftsteller und Historiker Doron Rabinovici, und dem Regisseur Matthias Hartmann initiiert worden war. Mit ihrer Gegenwart auf der Bühne beglaubigten die sechs ihre Lebensgeschichten. Es war ihr Vermächtnis.

Rückkehr zum falschen Zeitpunkt

Schoschana Rabinovici wird im November 1932 geboren, als einziges Kind ihrer Eltern, die aus großbürgerlichen Verhältnissen im damals polnischen Wilna (heute Vilnius) stammen. Weil ihr Vater und ihre Mutter in Paris Medizin studieren, kommt sie in Frankreich auf die Welt, als Suzanne-Lucienne Weksler. Die Eltern kehren zur falschen Zeit nach Wilna zurück, Ende Juni 1941 wird die Stadt von den Deutschen besetzt. Rabinovicis Vater Isaak Weksler wird wenige Tage danach mit rund 5000 anderen Juden in einem Wald in der Nähe von Wilna erschossen.

Rabinovici und ihre Mutter Raja kommen ins Getto. Als es geräumt werden soll, können sich die beiden verstecken.

Wer die Szenen aus diesem Versteck, einem geheimen Bau unter einer Gemeinschaftstoilette des Gettos, in Rabinovicis Buch gelesen oder sie im Theater gehört hat, dem haben sie sich ins Gedächtnis gebrannt: Wie die Verfolgten - es sind viel zu viele, die dort ihre Rettung suchen - durch ein stillgelegtes Abwasserrohr hinuntersteigen. Wie sie da unten zusammengepfercht hocken, 180 Menschen, "wie in einem Massengrab". Wie die Luft dünn wird. Wie sie das Zeitgefühl verlieren. Wie sie draußen Schreie und Schüsse hören. Wie der Strom abgestellt und es stockdunkel wird. Und dann, wie ein Baby zu schreien beginnt und die Eltern es zu beruhigen versuchen. Wie der Vater ihm schließlich ein Kissen vors Gesicht hält, damit das Baby sie nicht verrät. Wie die Mutter schreit, als sie merkt, dass der Vater das Kind erstickt hat. Drei Tage und vier Nächte ist Schoschana Rabinovici mit ihrer Familie in dem Versteck gefangen.

"Wir schließen das Tor zur Vergangenheit"

Zusammen und mit der Hilfe ihrer Mutter, die das Kind immer wieder durchschmuggelt, mal indem sie es in einem Sack auf ihrem Rücken versteckt, mal, indem sie es als Erwachsene ausgibt, überlebt Rabinovici die Konzentrationslager Kaiserwald und Stutthof und kurz vor Kriegsende den mehr als hundert Kilometer langen Todesmarsch nach Tauentzien. Dort werden sie von der Roten Armee befreit. Sie sind, mit Ausnahme eines Onkels, die einzigen Überlebenden ihrer Familie.

Die Mutter sagt: "Wir schließen das Tor zur Vergangenheit. Wir haben unsere Knochen gerettet, jetzt müssen wir unsere Seele retten", so erinnert sich Rabinovici. Sie gehorcht, schweigt und schiebt die Erinnerungen weg, trotz immer wiederkehrender Albträume.

Nach einigen Jahren in Polen beginnen die beiden Frauen 1950 ein neues Leben in Israel. Rabinovici nennt sich jetzt Schoschana, sie lernt Hebräisch, sie lässt sich zur technischen Zeichnerin ausbilden. Als sie 1952 zum Militär einberufen wird, soll sie wie alle anderen in einer großen Baracke schlafen. Sie kann nicht. Warum, interessiert niemanden, so erinnerte sie sich 2015 in einem Gespräch: "Es war die Zeit nach dem Unabhängigkeitskrieg, es war keine Zeit für uns", sagte sie. "Alle Leute waren Helden, nur wir waren die Schafe, die sich zur Schlachtbank hatten führen lassen."

Eine Wohnung in Tel Aviv

Aber Rabinovici ist fest entschlossen, Israel zu ihrer neuen Heimat zu machen, und es gelingt ihr. Als sie ihrem Mann David, der mit Zitrusfrüchten handelt, 1964 zusammen mit den beiden Söhnen nach Wien folgt, behalten sie ihre Wohnung in Tel Aviv. Rabinovici hält sich weiterhin an das Gebot der Mutter, die Vergangenheit ruhen zu lassen. Erst 1988, da ist Raja Weksler schon 14 Jahre tot, beginnt die Tochter in Vilnius die Geschichte ihrer Familie zu recherchieren und als Zeitzeugin für die Nachwelt aufzuschreiben.

Am 2. August ist Schoschana Rabinovici, geborene Suzanne-Lucienne Weksler, im Alter von 86 Jahren gestorben. Am Sonntag wurde sie in Tel Aviv beerdigt, in der Stadt, in der auch ihre Mutter begraben liegt.

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