Schwangerschaft im sozialen Wandel "Eine Frau soll keinen Mann brauchen müssen, um ein Kind zu gebären"

Kinderkriegen ist Privatsache? Vielleicht als die klassische Ehe die Norm war. Aber neue Beziehungsentwürfe müssen neue Diskussionen auslösen - nicht zuletzt über Vaterschaft, findet die Politologin Antje Schrupp.
Zur Person
Foto: Laurent Burst/ Ulrike Helmer Verlag

Antje Schrupp, Jahrgang 1964, studierte u.a. Politologie und Theologie; 1999 promovierte sie in Frankfurt mit einer Arbeit zur weiblichen politischen Ideengeschichte. Heute arbeitet sie als freie Publizistin.

SPIEGEL ONLINE: Frau Schrupp, Sie waren nie schwanger und wollten es nie sein, jetzt aber haben Sie ein Buch über das Thema geschrieben - warum ist es Ihnen wichtig?

Schrupp: Ich bin Politikwissenschaftlerin und beschäftige mich mit allen möglichen Themen, die eine politische Relevanz haben, ganz unabhängig davon, ob ich persönlich betroffen bin. Schwangerschaft wird bei uns als Privatsache assoziiert. Dabei ist es ein eminent politisches Thema.

SPIEGEL ONLINE: Sie schreiben, Sie hätten immer damit gehadert, eine Gebärmutter zu haben und lieber den männlichen Part beim Kinderkriegen übernommen - warum?

Schrupp: Ich fand die Vorstellung, dass da irgendwas im Bauch wächst, das ich auch noch gebären muss, immer beängstigend. Ich hätte mir gut vorstellen können, gemeinsam mit einer Frau das von ihr geborene Kind aufzuziehen. Aber das war leider als kulturelle Option noch nicht verfügbar, als ich jünger war.

SPIEGEL ONLINE: Warum müssen wir das Thema Schwangerschaft ausgerechnet jetzt neu diskutieren?

Schrupp: Weil die klassische Lösung für diese politische Herausforderung - die heterosexuelle monogame Ehe - heute nicht mehr funktioniert. Das Kinderkriegen war früher in den Familien privatisiert. Ein Modell, das zulasten der Frauen ging, die schlicht dadurch, dass sie schwanger werden konnten, ausgeschlossen wurden aus gesellschaftlichem Leben, Arbeit und Institutionen. Mit der Frauenbewegung wurde dieses Arrangement aufgekündigt, außerdem haben wir inzwischen die Ehe für alle, darum ist das Thema Fortpflanzung in den öffentlichen Raum gewandert.

SPIEGEL ONLINE: Eine feministische Theorie besagt, das Patriarchat sei entstanden, weil Männer nicht schwanger werden können - sie hätten quasi Uterusneid. Wie sehen Sie das?

Schrupp: Nicht ganz so simpel. Ich würde sagen, dass unser westlich-abendländisches Patriarchat auf einem Tauschgeschäft basiert: Der ökonomische Fürsorge-Anspruch für Menschen, die schwanger werden können und sich nach der Geburt um die Kinder kümmern müssen, wurde erkauft durch eine politische Höherstellung der Menschen ohne Uterus - was sich um Beispiel konkret darin spiegelte, dass Frauen lange Zeit kein Wahlrecht hatten.

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07.06.2023 02.19 Uhr

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SPIEGEL ONLINE: Oder auch darin, dass Frauen bis heute nicht allein über ihren Körper bestimmen dürfen? Ein Schwangerschaftsabbruch ist - mit Ausnahmeregelungen - in Deutschland gemäß §218 des Strafgesetzbuches noch immer strafbar.

Schrupp: In unserer Kultur verlieren Menschen, die schwanger sind, das Recht auf körperliche Selbstbestimmung. Die Gesellschaft hat Anspruch auf einen Teil dieses Körpers, den Embryo. Das wurzelt noch immer in der alten aristotelischen Beschreibung des Vorgangs, laut der die Schwangere und der Uterus lediglich als Gefäß angesehen werden für den männlichen Samen. Bis heute sagt man ja etwa: Sie hat einen Braten im Ofen. Die Frau erbringt eine Dienstleistung für andere. Der Embryo gilt als ein von ihr getrenntes, eigenständiges Wesen, das eigentlich anderen gehört.

SPIEGEL ONLINE: Was müssen Politik und Gesellschaft für Menschen, die schwanger sind, tun?

Schrupp: Aktuell müssen wir vor allem überlegen, wie wir Sorgearbeit neu organisieren und wir können nicht erwarten, dass alle Menschen permanent auf dem freien Markt sind. Es ist normal, dass Menschen nicht arbeiten gehen können, weil sie schwanger sind oder weil sie sich um kleine Kinder kümmern. Und das muss nicht nur der Arbeitgeber auffangen. Wir müssen auch Vaterschaft neu diskutieren.

SPIEGEL ONLINE: Was meinen Sie genau damit?

Schrupp: Es kann nicht sein, dass eine schwangere Frau sich entscheiden muss, ein Kind entweder abzutreiben oder mit dem Samengeber, der ja vielleicht nur eine kurzfristige Bekanntschaft ist, das Leben lang verbunden zu sein. Ich bin dagegen, dass reines Samengeben bereits Vaterschaftsrechte konstituiert - weil das auch gegen den Willen der Schwangeren gehen kann.

SPIEGEL ONLINE: Das bedeutet im Umkehrschluss aber auch, dass der Mann nicht für das Kind zahlen muss.

Schrupp: Ja, das ist natürlich die Kehrseite. Die reine Samenspende darf keine finanziellen Verpflichtungen beinhalten. Die materielle Versorgung von Schwangeren und Kindern muss dann anders gewährleistet werden. Der Feminismus hat eingeklagt, dass Väter in jedem Fall Verantwortung übernehmen müssen, unabhängig von ihrer Beziehung zu der Mutter. Ich halte das für den falschen Weg, ich finde es richtig, dass Vaterschaft freiwillig sein muss, weil die erzwungene Vaterschaft viele negative Folgen für die betroffenen Mütter hat: Vaterschaft ist ein soziales Verhältnis. Sie tritt nur ein, wenn beide darin einwilligen.

SPIEGEL ONLINE: Würde das für die Schwangeren nicht bedeuten, erst recht mit der Belastung alleingelassen zu werden?

Schrupp: Das ist ein Problem, aber das lösen wir nicht, indem wir eine Vaterschaft erzwingen. Stattdessen müssen wir sagen: Du kannst abtreiben, das ist nicht sozial stigmatisiert. Du kannst auch das Kind bekommen und allein oder mit anderen Leuten großziehen. Es gibt dafür gesellschaftliche Unterstützung, du stürzt dadurch nicht in Armut. Oder du kannst das Kind zur Adoption freigeben, und auch dann erfolgt keine Stigmatisierung. Eine Frau soll keinen Mann brauchen müssen, um ein Kind zu gebären.

SPIEGEL ONLINE: Und was ist mit den Bedürfnissen der Männer? Sie möchten ja vielleicht auch gern Vater werden.

Schrupp: Das könnten sie doch, genau wie jetzt auch. Die allermeisten Frauen wünschen sich ja eine Elternschaft gemeinsam mit einem Mann. Männer, die sich verantwortlich um Kinder kümmern möchten, sind sehr begehrt. Es ist aber nicht sinnvoll, eine Co-Elternschaft auch dann zu erzwingen, wenn man schon vor der Geburt des Kindes nicht miteinander klarkommt. Es stimmt: Menschen, die nicht selbst schwanger werden können - und das können ja auch Frauen sein - können nur Eltern werden, wenn jemand ihnen Kinder anvertraut oder sie zu einer Co-Elternschaft einlädt. Aber für engagierte, verantwortungsbewusste Menschen dürfte das eigentlich nicht so schwierig sein.

Lesen Sie hier auch ein Interview zum Thema Abtreibungen und Frauenbild.

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