Fotostrecke

Offener Brief von Schwarzer: Wer ist hier die Großmutter?

Foto: DPA

Schwarzer attackiert Roche Häschen im Bett, Oma im Kopf

Alice Schwarzer schreibt einen offenen Brief an Charlotte Roche - und behauptet, die Autorin würde in ihrem Roman "Schoßgebete" ein "Oma-Beziehungsmodell" propagieren. Offenbar hat Roche ihre neue Gegnerin perfekt bei den erprobten Reflexen gepackt.

Was Alice Schwarzer als Sex empfindet, wissen wir natürlich nicht. Aber dass es in dem Buch "Schoßgebete" nur auf elf Seiten um dieses Thema geht, können wir nicht bestätigen. Das emanzipatorische Sturmgeschütz hat sich am Montag auf ihrer Homepage in einem offenen Brief  an die junge Bestsellerautorin Charlotte Roche gewendet und behauptet, dass das Buch vom Verlag zwar aus Verkaufsgründen mit Sex beworben wird, dass der Geschlechtsakt jedoch in Wirklichkeit eben nicht mal auf einem Dutzend Seiten vorkommt.

Wir wollen ja nicht kleinkariert wirken. Aber wir haben da jeweils mindestens 20 explizite Seiten über die unterschiedlichsten Sexualpraktiken gelesen: über Fellatio, über Analsex, über einen flotten Dreier. Aber durch die Brille der Betonfeministin gilt all das wahrscheinlich nicht als Liebesakt, sondern als reine männliche Unterdrückungsmaßnahme.

Womit wir mitten in Roches Roman wären, einer Reflexion auf das Leben einer modernen Selbstoptimiererin, die zwischen Emanzipation und klassischer Zweierbeziehung, zwischen Triebentfesselung und Bioküche den perfekten Lifestyle sucht. In einer höchst interessanten Stelle, wo sich die weibliche Hauptfigur Gedanken macht über Lust und Leid, über Korrektheit und Unkorrektheit von Analverkehr heißt es: "Mein Frauenbewegungshirn redet mir, mit dem Schwanz meines Mannes im Po, ständig aus, dass das geil sein kann, und währenddessen redet mein Enddarmausgang mir ein, dass das sehr wohl sein kann. Wem soll ich denn jetzt glauben?"

Anus fordert Alice heraus, so kann man das Duell im Körper der Romanheldin vielleicht auf den Punkt bringen. Und Schwarzer lässt sich nun tatsächlich von der Romanfigur, beziehungsweise von Roche, aus der Reserve locken. In dem offenen Brief teilt die "Emma"-Herausgeberin ordentlich gegen die ehemalige "Freundin" Roche aus. "Es wäre fatal", so Schwarzer, "wenn deine Leserinnen deine verruchte Heimatschnulze über Sex & Liebe für ein Rezept halten würden."

Mutti oder Großmutti, das ist hier die Frage

Davor macht Schwarzer eine Art weiblichen Familienkreislauf auf: Das Modell, das Roches autobiografisch beladene Heldin lebe, sei alles andere als neu. Und an die Autorin gewandt schreibt Schwarzer: "Du reagierst auf deine so forciert emanzipierte Mutter, die immer, wenn es Probleme gab mit Männern, das sinkende Schiff rasch verließ (auf Kosten der kleinen Charlotte und ihrer Brüder). Aber deine Mutter hat auch nur auf ihre Mutter, deine Großmutter, reagiert. Und du wiederum, du reagierst auf deine Mutter - und machst es wie die Großmutter. Soll diese fatale Wechselwirkung immer so weitergehen?"

Nun wendet sich die derart besorgte Schwarzer im Folgenden ihres Briefes nicht gerade mit allzu einfühlsamen Worten an Roche: Das einzig neue an deren "Oma-Beziehungsmodell" sei, dass sie ihren Lebenspartner nicht allein ins Bordell schicke, sondern mitgehe. "Wenn auch unter Bauchschmerzen und mit Durchfall. Dein Körper weiß eben mehr als dein Kopf."

Und Schwarzer weiß eben mehr über Roche als diese über sich selbst. Ihr Fazit: "Du hast nicht die Lösung, du hast das Problem."

Neben Alice Schwarzer meldete sich am Montag auch Roches Stiefvater Ulrich Busch, ein Ex-Mann ihrer Mutter Liz zu Wort. "Ohne Rücksicht, Skrupel und Respekt wird das Familienunglück zur Schau gestellt und vermarktet", sagte er stern.de. Und warf der Autorin vor, den Unfalltod ihrer Brüder werbewirksam auszuschlachten. Die waren 2001 auf dem Weg zu Roches Hochzeit in London tödlich verunglückt, ein sehr ähnlicher Unfall kommt auch in "Schoßgebete" vor.

Auch die Männer klatschen Beifall

Während die Familie darüber wohl noch im privaten Rahmen sprechen wird, lädt die öffentliche Tochter-Mutter-Großmutter-Aufstellung Schwarzers zu einer ebenso öffentlichen Auseinandersetzung ein: Wie leicht lässt sich der Urzeitfeminismus mit ein bisschen Blowjob und Poposex bei den Instinkten packen? Geht Feminismus und Fellatio immer noch nicht zusammen? Ist jede weibliche Lust in diese Richtung letztendlich männlich gesteuert?

Hat man den Brief von Alice Schwarzer gelesen, kommt man zu dem Schluss, dass Charlotte Roche in ihrem unkompliziert kalkuliertem Nachfolgewerk zum ähnlich expliziten Skandalbuch "Feuchtgebiete" alles richtig gemacht hat: Neue und alte Feinde werden perfekt bei den Reflexen gepackt.

So kam auch der Springer-Verlag, den die Autorin beim Versand von Rezensionsexemplaren boykottieren ließ, nicht darum herum, sich an prominenter Stelle mit Charlotte Roche zu beschäftigen. Mit Aufmacherbild auf Seite eins mokierte sich die zum Verlag gehörende "Welt" am Freitag ironisch darüber, dass "Frau Roche" nicht wolle, dass man ihren Roman bespreche - und veröffentlichte dann im Feuilleton derselben Ausgabe eine Hymne auf ihr Werk. Etliche Springer-Blätter druckten die Jubelbesprechung ebenfalls ab.

Geschrieben wurde die Springer-Hymne übrigens von einem Mann. Was uns noch mal zu der etwas schrägen Wahrnehmung von Alice Schwarzer führt. Die behauptet nämlich, dass die positiven Besprechung von "Schoßgebete" zumeist von Frauen stammten, die negativen aber von Männern - was grob gelogen ist. Neben den Springer-Blättern schrieben etwa auch in der "taz", der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" und auf SPIEGEL ONLINE Männer begeisterte oder zumindest teilbegeisterte Kritiken.

Nein, so leicht, wie Alice Schwarzer sich die Welt in gute Frauen und böse Männer, in stolze Mütter und schlappe Großmütter einteilt, geht es wirklich nicht.

Mit Material von dpa
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren