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Krise der Schwedischen Akademie: Schlammschlacht in der Alten Börse

Skandal um Literaturnobelpreis-Gremium "Die Schweden schauen sich das an wie Reality-TV"

Die Schwedische Akademie vergibt den Literaturnobelpreis. Doch nicht nur deshalb ist ihre Krise um Sex, Geld und Macht bedrohlich, findet die Forscherin Jenny Willner. Sie hat ein Misstrauensvotum unterzeichnet.

Im November 2017 haben 18 Frauen  den Vorwurf des sexuellen Missbrauchs gegen einen Mann namens Jean-Claude Arnault öffentlich gemacht, dessen Ehefrau Katarina Frostenson eines der 18 Mitglieder der Schwedischen Akademie ist - des Gremiums, das über den Literaturnobelpreis entscheidet.

In der Folge wurde der Umgang der Akademie mit den Vorwürfen scharf kritisiert. Drei Mitglieder zogen sich deswegen aus dem Gremium zurück. Sara Danius, die der Akademie seit 2015 vorsaß, wurde von ihrem Vorvorgänger Horace Engdahl (einem Freund Arnaults) in ihrer Amtsführung scharf kritisiert. Auf Druck der Fraktion um Engdahl legte sie in der vergangenen Woche ihr Amt als Ständige Sekretärin nieder.

Am Donnerstagabend sind nun über tausend Demonstranten auf den Platz vor dem Börsengebäude in Stockholms Altstadt zusammengekommen, in dem die Schwedische Akademie tagt. Viele von ihnen tragen eine Schleife um den Hals - eine Anspielung auf die Schluppenbluse,das modische Markenzeichen der gestürzten Vorsitzenden Sara Danius, die sie unterstützen. Ihr Misstrauen gegenüber den elf verbliebenen Akademiemitglieder taten auch über 200 Wissenschaftler in einer Petition  kund. Zu den Unterzeichnenden zählt auch die in München arbeitende Literaturwissenschaftlerin Jenny Willner.

Zur Person
Foto: Helena Heilig

Jenny Willner, 1977 in Turku geboren, studierte in Berlin und promovierte im Fach Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft über Peter Weiss. Derzeit arbeitet sie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München an ihrem Habilitationsprojekt "Neurose und Evolution". Die Finnlandschwedin unterzeichnete mit über 200 anderen Literaturwissenschaftlern ein Misstrauensvotum gegen die verbliebenen elf Mitglieder der Schwedischen Akademie, das von der Zeitung "Dagens Nyheter" veröffentlicht wurde.

SPIEGEL ONLINE: Darf ich Sie als Erstes einmal fragen - tragen Sie gerade eine Schluppenbluse?

Willner: Nein.

SPIEGEL ONLINE: Gehört haben Sie aber von der Schluppenbluse als Symbol der Solidarität mit Sara Danius, der zurückgetretenen Ständigen Sekretärin der Schwedischen Akademie?

Willner: Das Phänomen #knytblusförsara? Natürlich. Aber da habe ich nicht mitgemacht. Ich sehe keinen Grund für Personenkult. Da war ich jetzt nicht versucht, meine Garderobe zu durchwühlen.

SPIEGEL ONLINE: Sie haben allerdings mit über 200 Kolleginnen und Kollegen aus der Wissenschaft einen Aufruf  unterzeichnet, in dem unter anderem gefordert wird, dass Sara Danius ihre Reformarbeit fortsetzt. Wie würden Sie diese charakterisieren?

Willner: Sara Danius ist auch selbst Teil dieser ganzen Netzwerke der schwedischen Kulturelite. Aber das Gute ist: Sie hat die Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs und der Korruption ernst genommen und eine Ermittlung darüber in Auftrag gegeben, wie das alles zusammenhängt. Auch juristisch - bei jedem einzelnen Akademiemitglied: Welche finanziellen Verzweigungen es gibt, welche persönlichen Kontakte, wo man von Befangenheit oder Veruntreuung sprechen müsste. Dann gab es hinter verschlossenen Türen ein Treffen, bei dem es offenbar zum Eklat kam.

SPIEGEL ONLINE: Danach zogen sich drei Danius-Unterstützer aus der Akademie zurück, später dann auch sie selbst.

Willner: Sie wurde regelrecht herausbefördert, nachdem es zu einer richtigen Spaltung der Akademie gekommen war: die Personen um Horace Engdahl auf der einen Seite und sie auf der anderen. Viele, die diesen Aufruf, dieses Misstrauensvotum unterschrieben haben, haben den Eindruck, dass genau die falsche Seite gegangen ist. Dass man vielmehr mit Danius' Ansatz weiterarbeiten müsste, um diese Institution wieder funktionsfähig zu machen.

SPIEGEL ONLINE: Worin besteht diese Funktion eigentlich, über die Vergabe des Literaturnobelpreises hinaus?

Willner: Die Schwedische Akademie verteilt jährlich über 50 sehr angesehene, hoch dotierte Stipendien und Preise. Das ist also ein sehr großer Einfluss auf das literarische Leben in einem kleinen Land. An sich ist es gut, dass es das gibt: eine Institution, die nicht aus Politikern und Bürokraten besteht. Es geht außerdem um Herausgeberschaften von Klassikern, sie gibt das schwedische Wörterbuch heraus - all die Debatten, welche Wörter in die schwedische Sprache aufgenommen werden sollen, werden über die Schwedische Akademie geführt. Wer in Schweden mit Sprache und Literatur arbeiten will, kommt um sie überhaupt nicht herum. Wie sich immer mehr herausstellt, hat sie das Kulturleben mit sehr dubiosen Mitteln dominiert.

SPIEGEL ONLINE: Nun haben Sie ja den Satz unterschrieben, die nach den diversen Amtsniederlegungen übrig gebliebenen elf Mitglieder seien "nicht mehr in der Lage, die Geschäfte in würdiger und angemessener Weise zu führen". Liegt das daran, dass sie nur noch zu elft sind (statt 18)? Oder liegt es daran, welche elf Mitglieder verblieben sind?

Willner: Schon auch Letzteres, besonders mit Blick auf Sture Allén und Horace Engdahl. Der Artikel von Engdahl in "Expressen"  war ein Auslöser für diese Initiative, ein höchst aggressiver Text gegen Sara Danius, "die schlechteste Ständige Sekretärin seit 1786", wie er schreibt. Engdahl wiederum ist sehr eng befreundet mit Jean-Claude Arnault...

SPIEGEL ONLINE: ...dem französischen Fotografen, der im Umfeld der Akademie Frauen sexuell missbraucht haben soll.

Willner: Lange nachdem Vorwürfe gegen Arnault bekannt geworden waren - die gab es ja schon in den Neunzigern - , hat Horace Engdahl ihn noch zum Vorbild für junge Männer erkoren. Und jetzt versucht Engdahl, um jeden Preis die Schuld an der Krise auf diejenige zu verschieben, die versucht hat, der Sache auf den Grund zu gehen. Wenn seine Stimme, wie er sie in "Expressen" geäußert hat, den Ton angeben soll für die Haltung der Akademie gegenüber ihrer Vergangenheit, dann ist das schon ein Problem. Ein Kommentator  hat das sehr böse formuliert: Engdahls Artikel gegen Danius sei das letzte Lied eines Dinosauriers, "er brüllt über sein Jagdrevier, aber ein Licht blinkt in seinem Augenwinkel. Der Komet kommt. Seine Zeit ist vorbei." Ich glaube, die massive Reaktion gegen den Versuch, die Missstände aufzuklären, macht deutlich, dass #MeToo auch in Schweden notwendig war und ist. Aber es ist sehr komplex. Eine 232 Jahre alte Institution geht in einer Schlammschlacht unter, und fast stündlich gibt es neue Wendungen.

SPIEGEL ONLINE: Dabei ist doch eigentlich eines der Rituale, durch die die Schwedische Akademie geprägt ist: Alles ist sehr geheim. Nichts, was dort hinter verschlossenen Türen besprochen wird, darf heraus.…

Willner: Genau wie bei der Papstwahl.

SPIEGEL ONLINE: Und nun hören wir ständig und von fast jedem, der an diesem Tisch sitzt, was passiert ist und was er oder sie davon hält. Ein Schock für die Schweden?

Willner: Ja, im Kulturbereich auf jeden Fall. Aber man schaut sich das auch an wie Reality-TV, es befriedigt natürlich auch einen gewissen Voyeurismus. Es ist übrigens ein Mythos, dass das Wort "Schadenfreude" nur auf Deutsch existierte - es heißt "skadeglädje" auf Schwedisch, und man erkennt sehr viel davon in diesen Tagen. Und ein wohliges Gruseln ist auch dabei.

SPIEGEL ONLINE: Apropos gruselig: Die schwedische Schriftstellerin Lina Wolff sagte im Interview mit SPIEGEL ONLINE, dass sie Arnault kennt und auch seinen Ruf kannte. Wie ist es mit Ihnen? Hätten Sie sich denn solche Zustände wie sie dann beschrieben wurden, vorstellen können?

Willner: Es ist nicht so, dass ich da aus allen Wolken falle. Arnault betrieb dieses Forum, das von der Akademie finanziert wurde, gemeinsam mit seiner Frau, dem Akademie-Mitglied Katarina Frostenson. Sie müssen sich diesen Veranstaltungsort so vorstellen: eine Kulturbühne in einem etwas ruinenhaften Keller, wo man bezahlbaren Wein kaufen kann. Jean-Claude Arnault kam ja 1968 aus Frankreich nach Stockholm, er brachte auch so ein in Schweden ersehntes zentraleuropäisches Kultur-Flair mit. Im Forum standen alle locker herum mit ihren Gläschen - und gleichzeitig gingen da Akademiemitglieder ein und aus. Es war die Kombination: Einerseits die absolute Kulturaristokratie, andererseits eine irgendwie alternative, subkulturelle Stimmung. Klar fiel es auf, dass da im Dämmerlicht lauter junge Frauen den Wein serviert haben, über die wurde auch oft so etwas verächtlich gesprochen: "Forum-Mädchen". Jetzt im Nachhinein habe ich von Bekannten gehört, dass sie auch wirklich konkrete Dinge  wussten.

SPIEGEL ONLINE: Ministerpräsident Stefan Löfven hat ja nun sogar Schwedens Ruf in der Welt gefährdet gesehen. Ist dieser Skandal um die Akademie ein Punkt, wo das alte, monarchistische Schweden in Konflikt tritt mit dem neuen, als besonders fortschrittlich geltenden Schweden?

Willner: Auf jeden Fall sind solche Tendenzen da. Der König als Schutzpatron der Akademie, das repräsentiert das Erbe eines Schweden, das mal eine Großmacht war. Andererseits muss man sich auch anschauen, welche Literatur sie in den letzten Jahrzehnten gefördert hat, gerade mit dem Nobelpreis. Da kann man nicht sagen, dass das eine reaktionäre Institution ist. Es ist einfach sehr ambivalent.

SPIEGEL ONLINE: Nun hat ja König Carl XVI. Gustaf tatsächlich einen Vorstoß gemacht, die Statuten sollen geändert werden, so dass Austritte zu Lebzeiten möglich werden. Was halten Sie davon?

Willner: Eine solche Änderung ist überfällig, und im 18. Jahrhundert wurde tatsächlich festgelegt, dass nur der König die Statute ändern kann. Aber sind die Befugnisse eines schwedischen Königs im 21. Jahrhundert wirklich die gleichen wie damals? Wohl kaum. Und als Deus ex Machina kann er hier sowieso nicht niedersausen, die Krise ist so tief in Machtstrukturen verwurzelt. Da reicht es auch nicht aus, wenn sich jetzt alle auf angeblich ewige, reine Werte wie den wissenschaftlichen Ethos oder guten Geschmack zurückbesinnen. Es muss noch einiges durchgearbeitet werden.

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