
Graphic Soap aus Frankreich: Stell dir vor, du bist reich
Comic "Sechs aus 49" 30 Millionen im Lotto - und dann?
Was passiert, wenn man plötzlich 30 Millionen Euro von einem Fremden geschenkt bekommt? Genau das erlebt die Studentin Mathilde in der Fortsetzungs-Graphic-Novel "Sechs aus 49". Ein Unbekannter bittet sie im Café darum, ihm beim Ausfüllen eines Lottoscheins zu helfen - und teilt tatsächlich seinen Gewinn mit der jungen Pariserin.
Aus dieser Grundidee entsteht in "Sechs aus 49" eine Comic-Telenovela, die außerdem ein feines Generationsporträt der französischen Gesellschaft ist. Ähnlich wie in der brillanten Komödie "Der Name der Leute" wird hier die Kluft zwischen den Generationen lustvoll erkundet. Da gibt es Mathildes altlinken Vater, dem es nichts ausmacht, dass sein Sohn schwul ist, der aber kaum darüber hinweg kommen kann, dass dieser auch gleichzeitig rechtskonservativ ist. Und seine Tochter ist zu allem Unglück auch noch plötzlich reich.
Es gibt den geheimnisvollen Geldgeber Hyppoliyt, der seine großbürgerliche Herkunft verabscheut und sein Geld so schnell wie möglich unter die Leute bringen will. Liebesverwirrungen dürfen selbstredend auch nicht fehlen, und so drehen sich um Mathilde herum diverse Liebeskonstellationen aus Kommilitonen und Freunden, die gleichzeitig die Ausflüge in parallele Erzählstränge ermöglichen.
Graphic Designer und Art Director malen mit
Zwischenmenschliche Dramen, zerbrechende Freundschaften, empfindliche Familienkonstrukte - nichts fehlt dem Soap-Afficionado hier. Das ist natürlich auch als augenzwinkernde Hommage an das Genre zu verstehen, folgt aber dennoch relativ stringent den Regeln des Formats.
Aber "Sechs aus 49" ist durchaus nicht nur leichte amüsante Unterhaltung. Die Reihe bietet auch einen Querschnitt durch die französische Comicszene, von etablierten Künstlern bis zum hoffnungsvollen Nachwuchs tummelt sich in diesem Gemeinschaftsprojekt alles. Es dauert ein wenig, bis man sich an die ständig wechselnden Zeichenstile gewöhnt hat. Zur Erleichterung werden am Anfang jeder "Episode" die handelnden Personen vom jeweiligen Künstler neu vorgestellt, trotzdem ist es nach den ersten Wechseln nicht ganz leicht, der Geschichte zu folgen.
Erdacht hat das Experiment der Zeichner Thomas Cadène, der überdies das Comicfestival in Langlade ins Leben gerufen hat. So sind die Bände auch als Austausch der neuen Zeichnergeneration zu verstehen, die in Frankreich ja einer weitaus größeren Comictradition zu trotzen haben als in anderen europäischen Ländern. Die beteiligten Künstler kommen nicht nur aus dem Comicbereich, es sind Grafikdesigner, Hollywood Art Directors und Maler dabei, was den Reiz der Stilmischung noch verstärkt.
Das unruhig schlagende Herz der Grande Nation
Letztlich haben mehr als hundert verschiedene Zeichner zu "Sechs aus 49" beigetragen, das in Frankreich als Serie über zwei Jahre lang erschien. In Deutschland sind bislang die ersten vier Bände veröffentlicht worden, jeder fokussiert sich auf einen der Protagonisten. Die Geschichte von Mathilde und ihren Freunden erscheint zudem in deutscher Sprache als klassischer Strip auf faz.net .
Inhaltlich spannend werden die Kapitel immer da, wo sie einen kleinen Einblick in das unruhig schlagende Herz der Grande Nation gewähren. Im Hintergrund spielt immer auch der Gemütszustand der jungen französischen Generation mit. Wie stringent muss man sein Studium durchziehen, um eine Chance auf Karriere zu haben? Wie verbindlich sollen Beziehungen sein? Spielt Politik noch eine Rolle im Alltag? Und wo findet man im überdrehten Pariser Wohnungsmarkt eine Bleibe?
Doch im Vordergrund steht die Weiterentwicklung der Soap-Handlung, oft mit klassischem Cliffhanger am Ende jedes Kapitels. Wird Mathilde ihren Freunden den neuen Reichtum offenbaren? Hat der geheimnisvolle Geldgeber doch andere Beweggründe? Und gewinnt der schüchterne Emanuel ihr Herz oder doch der draufgängerische Arnaud? Die Bände bieten in jedem Fall einen unterhaltsamen Blickwinkel auf das aktuelle Frankreich und sind gleichzeitig ein kleines Schaulaufen einer talentierten Zeichnergeneration.