Krimi über verstrahlten Taxifahrer Unterwegs im Unheil

Irisches Taxi: Vielleicht ein paar Runden zu viel
Foto: fiorigianluigi/ Getty Images/iStockphotoKriminalromane sind die Literatur der Krise - je tiefer die Verwerfungen einer Gesellschaft, desto mehr Stoff gibt es für Autoren. Der irische Journalist und Schriftsteller Declan Burke schrieb "Slaughter's Hound" Anfang der Zehnerjahre, kurz nachdem die Finanzkrise den "keltischen Tiger" - seit den Neunzigerjahren boomte das bisherige Armenhaus Europas - jäh gestoppt hatte.
Besonders hart hatte es den Immobilienmarkt getroffen, der quasi pulverisiert wurde. Damals herrschte Stillstand auf den Baustellen, unvollendete Bürogebäude stachen wie Gerippe in den wolkenverhangenen Himmel. Und die Menschen befanden sich in Schockstarre.
"Slaughter's Hound" ist nach "Eight Ball Boogie" (im Original 2003 erschienen, auf Deutsch 2018) Burkes zweiter Krimi mit Harry Rigby als Held von der eher trostlosen Art. Die Fortsetzung spielt einige Jahre nach den Ereignissen in "Eight Ball Boogie", die darin gipfelten, dass Rigby seinen kriminellen Bruder umbrachte, was ihm einen längeren Aufenthalt in der Psychiatrie einbrachte.

Autor Declan Burke
Foto: Kathy Burke/ Edition NautilusRigby lebt wieder in seinem Heimatort, über den er nichts Gutes zu sagen hat: "Sligo nennt sich Stadt, weil es eine Kathedrale hat und Heroin. Die ausgedehnten Vorstädte sind nur die übrig gebliebenen Krümel des großen Goldrauschs." Inzwischen ist Rigby nicht mehr als Privatschnüffler und Gelegenheitsjournalist unterwegs, sondern fährt Taxi - er befördert nicht nur Passagiere, sondern auch die gelegentliche Ladung Dope und Kokain.
Einer seiner Stammkunden - und wenigen Freunde - ist Finn Hamilton, den er in der Psychiatrie kennengelernt hat. Hamilton, Hobby-DJ mit Hang zu elegischen Klängen von Tim Buckley bis Tindersticks, stirbt gleich zu Beginn des Romans. Und das ziemlich spektakulär: Er knallt nach einem Sturz aus dem 9. Stock direkt auf Rigbys Taxi, das sofort in Flammen aufgeht. Selbstmord, wie es zunächst aussieht.
Von Hamiltons Mutter wird Rigby nur damit beauftragt, einen möglichen Abschiedsbrief zu suchen - aber schnell kommen bei dem ehemaligen Detektiv die alten Instinkte durch. Irgendetwas passt hier nicht zusammen. Er beginnt auf seine eigene verstrahlte Art - man darf sich als Referenz den "Dude" aus "Big Lebowski" ohne dessen entspannten Optimismus vorstellen - zu ermitteln. Und bald bekommt er es mit der genreüblichen Mischung aus windigen Anwälten, skrupellosen Kriminellen und ruppigen Cops zu tun.
Rigby stößt auf fragwürdige Immobilienprojekte und einen groß angelegten Kunstschwindel, doch letztlich führt sein Weg ihn immer wieder zurück zu der Familie des Toten. Alter irischer Geldadel, der in seiner Lethargie und Dekadenz an die Sternwood-Familie aus Chandlers Klassiker "Der große Schlaf" erinnert. Abgehoben, egoman, mit einem Hang zur Selbstzerstörung, so wirken sowohl Hamiltons Mutter als auch seine Schwester. Aber ist eine von ihnen eine Mörderin?
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29.03.2023 10.23 Uhr
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Beide Rigby-Romane sind tiefe Verbeugungen vor Chandler und den Klassikern des Film noir, im Sound der Gosse geschrieben, mit viel Sinn für allerschwärzesten Humor. Das zentrale Motiv aus Chandlers "Der lange Abschied" gibt "Slaughter's Hound" sogar seine Struktur: Es geht um Männerfreundschaft und Verrat und Loyalität über den Tod hinaus.
Im Unterschied zu Chandlers Privatdetektiv Philip Marlowe ist Harry Rigby aber kein melancholischer Moralist. Er verdient sich alles Unheil, das ihm zustößt. Rigby schläft mit der Verlobten eines seiner besten Freunde, nimmt seinen zwölfjährigen Sohn mit auf einen Drogendeal und hat keinerlei Skrupel, einen Verdächtigen zu foltern.
Ein wandelnder Widerspruch ist dieser Rigby, denn bei allem Zynismus und aller Menschenverachtung, die er ausstrahlt, ist er auch belesen - so zitiert er unter anderem den US-Avantgardisten William Gaddis, Marx und Shakespeare - und besitzt einen, wenn auch ziemlich verqueren, Sinn für Gerechtigkeit. Außerdem ist er mit enormer Hartnäckigkeit ausgestattet. Ähnlich wie der titelgebende irische Wolfshund ist er von einer Spur nicht mehr abzubringen, wenn er einmal die Witterung aufgenommen hat.
Rigby wird geschlagen, belogen und betrogen und kommt immer wieder nur knapp mit dem Leben davon. Am Ende versinkt er in Verzweiflung: "Das Leben war nichts weiter als eine sinnlose blutige Farce, nur ein winziges Aufflackern, um anschließend wieder nichtige, tote Materie zu werden." Fröhlich ist das alles nicht. Aber stellenweise brutal komisch.
Vielleicht lässt Burke seinen Taxifahrer-Dealer-Detektiv ein paar Runden zu viel durch Sligo drehen, ihn einmal zu oft über die Verkommenheit der Welt lamentieren, sodass aus einem kleinen dreckigen Krimi ein 380-Seiten-Roman wurde. Aber trotz einiger Längen: "Slaughter's Hound" ist die bittere, knallharte und rasante Reflexion einer Gesellschaft in einer existenziellen Krise - und ein enormes Lesevergnügen, auch dank der Übersetzung des Hamburger Krimiautors Robert Brack, der Burkes einzigartigen Sound fast verlustfrei ins Deutsche übertragen hat.