Gesellschaftsanalyse "In Krisenzeiten steigt die Sehnsucht nach Superhelden"

Die Philosophin Lisz Hirn widmet sich in ihrem neuen Buch der dunklen Seite von Superhelden - und zieht Parallelen zu einer Realität, in der sich verängstigte Gesellschaften nach starken Männern sehnen.
Ein Interview von Britta Schmeis
Cover des "Trump Coloring Book" von M.G. Anthony: Auch der US-Präsident inszeniert sich als Superheld.

Cover des "Trump Coloring Book" von M.G. Anthony: Auch der US-Präsident inszeniert sich als Superheld.

SPIEGEL: Frau Hirn, in Ihrem Buch beschäftigen Sie sich mit Superhelden und dem Männlichkeitsideal, das diese verkörpern. Welche Eigenschaften zeichnen einen typischen Superhelden aus?

Hirn: Gutes Aussehen und eine gewisse Körperlichkeit - es handelt sich um einen starken Mann, der über eine oder auch mehrere übermenschliche Fähigkeiten verfügt und deshalb über dem normalen Menschen steht. Zudem agiert er moralisch und nicht um Ruhm, Reichtum oder auch Frauen zu erlangen. Es geht ihm um reine Pflichterfüllung, darum, das Richtige zu tun um jeden Preis.

Zur Person
Foto: Georg Hochmuth/ APA/ picture alliance

Lisz Hirn, 1984 in der Obersteiermark geboren und aufgewachsen, studierte Philosophie und Gesang in Graz, Paris, Wien und Kathmandu. Sie arbeitet als Publizistin und Philosophin in der Jugend- und Erwachsenenbildung, unter anderem an der Universität Wien. 2019 erschien ihr Buch "Geht’s noch? Warum die konservative Wende für Frauen gefährlich ist".

SPIEGEL: Was ist denn das Richtige?

Hirn: Die modernen Superhelden haben im Gegensatz zu den klassischen Helden mit globalen Problemen, ökologischen Katastrophen und technologischen Herausforderungen zu kämpfen, da braucht es übermenschliche Superkräfte. Was das Richtige ist, hat dabei auch immer viel mit Propaganda zu tun. Superman etwa wurde ja als Propagandafigur entworfen, um die US-Amerikaner zur Teilnahme am Zweiten Weltkrieg zu bewegen. Der Superheld, der in den Comics Hitler und Stalin abgewatscht hat, ist in den USA auf sehr offene Ohren gestoßen ist. Erst nach dem Krieg hat der US-Superman seinen Siegeszug um die Welt angetreten.

SPIEGEL: Woher kommt denn die Sehnsucht nach den Superhelden im Fiktiven wie im Realen?

Hirn: Man muss immer schauen, wovor die Menschen Angst haben: Krankheiten, Klimakrise, Migration, aber auch - wie ich in meinen Buch zu zeigen versuche - die Impfdebatte. Gegen all diese Probleme helfen aber keine übermenschlichen Kräfte, sondern es hilft, Vernunft walten zu lassen. Man muss Statistiken lesen und interpretieren. Die eigenen Ängste unter Kontrolle zu halten, erfordert aber einen hohen Energieaufwand und ein großes Maß an Selbstreflexion von jedem Einzelnen. Klar gibt es da Politiker, die sich die Idee des "Supermannes" , die ja so eine wirkmächtige Fantasie ist, zu Nutze machen. Der Wunsch nach einfacheren Antworten und schnellen Lösungen steigt in Zeiten von Krisen immer, wie sich auch jetzt bei Corona zeigt.

SPIEGEL: Sie schreiben auch, dass sich der Superheld perfekt als Untertan eignet. Widerspricht sich das nicht?

Hirn: Nein, es ist Teil des Konstrukts. Superman agiert nur in Maskerade als "Supermann", im Alltag ist er der brave, schüchterne Angestellte. Obwohl er übermenschliche Fähigkeiten und einen hohen moralischen Anspruch hat, hinterfragt er das bestehende System nicht, sondern tut alles, um dieses aufrecht zu erhalten.

SPIEGEL: Frauen kommen dabei nur als schmückendes Beiwerk, als Bedrohung oder gefährliche Amazonen vor - oder?

Hirn: Dieses Frauenbild stammt aus der Mythologie und hat sich fortgesetzt. Ebenso wie bei den Superhelden wirken sich Sexualität und Zuneigung zum anderen Geschlecht negativ auf ihre Superkräfte aus. Gleichzeitig gerät der Mythos des Mannes auch zunehmend ins Wanken, weil körperliche Stärke nicht mehr so entscheidend ist, die Frauen werden zur Konkurrenz. Was für sie auch gefährlich werden kann - auch hier sehe ich eine Parallele zwischen der Gewaltneigung des Superhelden und der Realität.

SPIEGEL: Wie meinen Sie das?

Hirn: Gewalt war und ist im realen Leben noch immer eine Männerdomäne. Das zeigt sich eben nicht nur in Superhelden-Comics, sondern auch im Militär, im Sport, auch in der Fortpflanzung. Gleichzeitig gerät der Mythos des Mannes zunehmend ins Wanken, weil körperliche Stärke nicht mehr so entscheidend ist, die Frauen werden zur Konkurrenz. Was für sie auch gefährlich werden kann.

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Lisz Hirn

Wer braucht Superhelden: Was wirklich nötig ist, um unsere Welt zu retten

Verlag: Molden Verlag in Verlagsgruppe Styria GmbH & Co. KG
Seitenzahl: 160
Für 22,00 € kaufen

Preisabfragezeitpunkt

03.06.2023 04.42 Uhr

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SPIEGEL: Das heißt, die Frauen sind selbst schuld?

Hirn: Von Schuld würde ich nicht sprechen, aber von Mitverantwortung. Frauen müssen teilhaben wollen, als Entscheidungsträgerinnen auftreten - und gerade ihren Söhnen andere Werte vermitteln. Es macht auch Sinn, den eigenen Partneranspruch zu überdenken. Auf der einen Seite ist der gebildete, emanzipierte Mann gefragt, auf der anderen Seite soll dieser im Fall des Falles den Beschützer spielen, der ganz selbstverständlich Gewalt anwendet. Da lassen übrigens auch die Frauen kaum andere Geschlechterrollen zu. Dann ist da noch die Sache mit dem Mann als Vater. Das Bild des fürsorglichen Vaters müssen wir auch medial stärken. Da müssen die Frauen den Männern mehr Erziehungsverantwortung geben, um Parität herzustellen, und zwar schon von der Geburt des Kindes an.

SPIEGEL: Nochmal zurück ins Comicuniversum: Immerhin gibt es inzwischen Wonder Woman - und gerade entsteht der Film "Supergirl".

Hirn: Figuren, die erneut von Männern geschaffen wurden und lediglich dazu dienen, ein breiteres Publikum anzusprechen. Sie verkörpern aber weiterhin die altbekannten Fantasien. Wonder Woman ist schön, schlank und stark, vor allem aber muss sie keusch sein, um ihre Kräfte nicht zu verlieren.

SPIEGEL: Ist es also für Sie die hegemoniale Männlichkeit, die den Weltfrieden gefährdet? Im Umkehrschluss, wäre die Welt eine bessere, wenn sie von Frauen dominiert würde?

HIRN: Ich glaube nicht, dass Frauen an sich die besseren Menschen sind. Männer an sich sind nicht das Problem. Problematisch ist vielmehr jene Art von Supermännlichkeit, die uns medial oder politisch vermittelt wird, die notfalls mit Gewalt die eigenen Interessen und Privilegien durchsetzen will. Und ja, diese Art von Männlichkeit kann uns gefährlich werden.

SPIEGEL: Wenn es nicht die Superhelden sind - wer oder was kann dann unsere Welt retten?

Hirn: Wir sollten Schwächen und Schmerzen zulassen. Vor allem aber glaube ich, dass wir sehr wohl sehen können - wie übrigens auch in einer Krise wie jetzt - dass Lösungen gut funktionieren können, die auf die Vernunft des einzelnen setzen. Das aber braucht ein gewisses Maß an Bildung und Verständnis. Jedem muss klar sein, dass nicht der einzelne das Problem lösen kann - sondern es eine kollektive Lösung braucht, die wiederum Eigenverantwortung voraussetzt. Der Individualismus hat ganz starke Grenzen, wenn wir auf große Krisen stoßen. Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, das zu realisieren und die richtigen Schlüsse für die Zeit danach zu ziehen.

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