Sven Regeners Buchmesse-Blog Bobo und Kindl
15. Oktober 2008
Bobo und Kindl
9.40 Uhr: Der Zug nach Frankfurt: so voll wie nie. Zu zweit, zu dritt sitzen die Literaturmenschen, sitzt die geistige Elite des Landes und seiner Hauptstadt übereinander und labt sich am überregionalen Feuilleton. Auch und gerade und überhaupt vor allem in der ersten Klasse, während zum Beispiel Frau Esther von Eichborn, die ja in der zweiten Klasse sitzt, um sich herum genug Platz für Dehn- und Streckübungen in jede Richtung hat. Daran sieht man, wie gut es der Buchbranche geht: Solange alle erster Klasse fahren, muß man nichts fürchten, hier sitzt die Made noch sicher im Speck, und das Kindle-e-Book wird die Geschäfte noch zusätzlich befeuern, da mach ich mir nichts vor, denn Millionen Menschen, die seit langem schon nur noch auf Bildschirme starren und für das klassische Buch für immer verloren sind, werden Kindle kaufen oder jedenfalls Kindl, um meinen gestrigen Kalauer gleich noch einmal aufs Neue in den deutschen Sprachgebrauch zu hämmern, denn man kann sich ja gut vorstellen, wie die Marketing- und Markenarchitekturleute von Amazon in Brainstorming-Meetings gesessen und darüber nachgedacht haben, wie sie das verdammte Ding bloß nennen sollen, ohne dass es in irgendeiner bekannten Sprache zu unangenehmen oder jedenfalls unerwünschten Assoziationen kommt.
Dieses Problem sollte keiner unterschätzen, DJ Bobo hat es zum Beispiel nach eigener Aussage! im ganzen asiatischen Raum nie auf einen grünen Zweig geschafft, weil Bobo dort in vielen Sprachen ein Wort für das weibliche Geschlechtsteil ist, und er, DJ Bobo also, davon nichts wußte, das muß man sich mal vorstellen, Millionen, Milliarden von CDs weniger verkauft wegen einer kleinen, sprachlichen Schlamperei.
Nun also: Kindle. An alles haben sie gedacht, nur an das Berliner Bier nicht. Und irgendwo in der Schweiz sitzt DJ Bobo und lacht laut und schäbig, mit dem dissonanten Unterton einer aus bitteren Erfahrungen gespeisten Schadenfreude!
Das wird teuer!
10.05 Uhr: Ich versuche noch, den letzten Satz inhaltlich zu verstehen, um ihn dann hemingwaygleich verschlanken zu können, da klingelt das Telefon. Hamburg-Heiner, laut und munter wie einer, der seit Stunden wach und in Ölzeug unterwegs ist, der Deichgraf der Veddel, wie sie ihn zwischen den beiden Elbarmen jetzt schon nennen, hält sich nicht lange mit Begrüßungen auf:
Hamburg-Heiner: Sven, bist du schon im Zug?
Sven: Ja klar.
HH: Schreib nichts drüber.
Sven: Wieso nicht?
HH: Auf keinen Fall irgendwas über Zugfahren schreiben. Kolumnisten, Blogger und andere Halbbegabungen haben striktes Verbot, über Zugfahrten, die Deutsche Bahn, H. Mehdorn oder auch nur die Architektur deutscher Bahnhöfe, insbesondere des Berliner Hauptbahnhofs zu schreiben.
Sven: Oh Mann, zu spät!
HH: Wie, zu spät?l
Sven: Schon gepostet, wie wir Blogger sagen: Zug, erste Klasse, Überfüllung. Gerade rausgegangen.
HH: Verdammt.
Sven: Ist aber das erste Mal überhaupt.
HH: Hast du die Taxifahrt erwähnt?
Sven: Nein.
HH: Nix von wegen was der Taxifahrer zur Buchmesse sagt und so?
Sven: Nee, der hat gar nichts gesagt!
HH: Da hast du aber Glück gehabt. Sonst wäre das teuer geworden. Taxifahrer zitieren ist das Schlimmste überhaupt.
Sven: Vielleicht sollte ich mit dem Bloggen wieder aufhören, das wird mir jetzt irgendwie zu heiß.
HH: Nix, das ist wie mit dem Berliner Hauptbahnhof: Wenn man einmal damit angefangen hat, dann muß man den auch zuende bauen, ganz egal, wie schwachsinnig das ist.
Sven: Vielleicht sollte ich die Sache weiterreichen an einen Kollegen, so schwarzerpetermäßig.
HH: Du meinst: So wie das Flaschenteufelchen bei Robert Louis Stevenson, ja? Ich meine, wenn man wg. Buchmesse bloggt, dann sollte man wenigstens ein bißchen auf literarisches Niveau achten!
Sven: Danke. Aber wer könnte es tun? Wer nimmt einem sowas ab?
HH: Thomas Brussig!
Sven: Geht nicht, der schreibt gerade die Autobiographie von Udo Lindenberg.
HH: Echt?
Sven: Ja, hab ich gehört, muß dann ja stimmen.
HH: Naja... immer noch besser als umgekehrt!
Damit legte er auf. Kein Wort des Abschieds. Er ist ein vielbeschäftigter Mann, und wer nicht will deichen muß weichen!