Tageskarte Buch Das Loch im Sack

Visionen einer Großstadt - sechs Kulturschaffende debattieren über ihr Berlin im 21. Jahrhundert. Dabei dreht sich alles um aktiven Widerstand, das Vergängliche - und um eine süße Saalrevolution.
Von Ilka Kreutzträger

Im Renaissance-Theater, dem einzigen erhaltenen Art-déco-Theater in Europa, lässt es sich gut über die Zukunft Berlins im 21. Jahrhundert und den Umgang mit Geschichte reden. Von November bis Februar stellen sechs Redner bei den 21. "Berliner Lektionen" ihre Vision der Stadt vor. Den Anfang machten zwei, die unterschiedlicher kaum sein könnten: Vivienne Westwood mit ihrem Vortrag "Active Resistance against Propaganda" und Roman Herzog mit einer Lektion über "Die Unsicherheit der Zukunft und die Antwort der Politik".

Marion Gräfin Dönhoff eröffnete 1987 die ersten "Berliner Lektionen". Diese Plattform für Auseinandersetzung mit Fragen der Gegenwart war ein Geburtstagsgeschenk des Medienhauses Bertelsmann und der Berliner Festspiele zum 750. Geburtstag Berlins – gefeiert wurde vor 20 Jahren auf beiden Seiten der Mauer. Dönhoff folgten Redner wie Wolf Biermann, Willy Brandt, Judith Kerr und Imre Kertész.

Am 2. Dezember spricht Deyan Sudjic über "The Uses of Memory in Architecture". Der Architekturkritiker und Direktor des Londoner Designmuseums analysiert den Wiederaufbau des Potsdamer Platzes und die Planungen für den Schlossplatz. Architekten wollen bauen, und die Mächtigen wollen sich in Bauwerken verwirklichen, und auch das, was in Berlin seit 1989 gebaut worden ist, ist ablesbare Geschichte. Sudjic erteilt den Berlinern eine Lektion über den Umgang mit dem historischen Erbe und über die Zukunft des öffentlichen Raums.

Der Autor und Essayist Durs Grünbein nennt sich selbst einen "Komplizen der Vergänglichkeit". Und wer könnte besser eine Lektion über das sich wandelnde Berlin im 21. Jahrhundert halten, als Grünbein, der Vergängliche? "Berlin ist ein Sack, hat aber zum Glück ein Loch" ist der Titel seiner Lektion am 13. Januar.

Der designierte Intendant des Deutschen Theaters Berlin Ulrich Khuon spricht am 20. Januar über "Theaterarbeit zwischen Autonomie und sozialer Verbindlichkeit". Seine Botschaft: Bloß keine Gemütlichkeit! Das lokale Theater darf nicht ruhen und muss nicht den Mechanismen des Marktes gehorchen.

Den Schlusspunkt setzt der Freak der internationalen Kunstszene: Jonathan Meese. Seine Lecture-Performance trägt den unendlich langen Titel: "Die BABYDIKTATORIN der Kunst 'CSCARLETTIERBABY' im 'PLATINSCHMUCKKÄSTCHEN' der SAALREVOLUTION, SÜSS. (SAFARISCARLETTIERKIND mit SÜSSESÜSSESÜSSESDIADEM als TOTALE KUNST, erzfrisch, üppig und lieb im STAHLSAAL=DEPOT der DEMUT, DU-DU-DU)". Denken Sie beim Aufruf zur Saalrevolution an Meeses eigene Worte: "Es geht nicht ums Verstehen, weil es nichts zu verstehen gibt."

Wer hingehen will:

Die Lektionen im Berliner Renaissance-Theater beginnen jeweils um 11.30 Uhr: 2. Dezember Deyan Sudjic; 13. Januar Durs Grünbein; 20. Januar Ulrich Khuon und am 10. Februar Jonathan Meese, http://www.berlinerfestspiele.de

Wer lesen will:

Manfred Lahnstein und Joachim Sartorius: "Berliner Lektionen. Eine politisch-kulturelle Chronik der Gegenwart". Transit Buchverlag; 240 Seiten; 16,80 Euro.

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