Thriller "So schöne Lügen" Glanz oder gar nicht

Matt Damon, Jude Law in der Verfilmung von "Der talentierte Mr. Ripley" (1999)
Foto: ddp imagesIn seinem aktuellen Essayband "Weiß" schreibt Bret Easton Ellis über die Generation Y: "Digitale Austauschbarkeit ist für sie kein Problem - sie kommen aus der Tradition der sozialen Medien, wo nur Oberfläche und Zurschaustellung zählen." So ähnlich ließen sich die Figuren in Tara Isabella Burtons Debütroman "So schöne Lügen" beschreiben. Millennials im New York von heute, ohne Geldsorgen und ein Reservoir an Gesten beherrschend, die sich mit größter Beliebigkeit aus der Schatztruhe der kulturellen Vergangenheit bedienen.
Man trägt Retro, zitiert Oscar Wilde, tanzt Charleston in dekorativ heruntergekommenen Locations, als würden Zelda und F. Scott Fitzgerald noch den Ton angeben. Was immer die Jeunesse dorée gerade feiert: Hauptsache, am Ende kommen ein paar schöne Schnappschüsse für Instagram dabei herum.
Anders als Ellis geht es Burton nicht darum, mit - tatsächlichen oder empfundenen -gesellschaftlichen Fehlentwicklungen abzurechnen. Die Journalistin mit einem Doktortitel in Theologie hat keinen Thesenroman geschrieben, sondern einen Thriller. "Social Creature" - der deutsche Titel "So schöne Lügen" erinnert etwas plump an den TV-Serienerfolg "Pretty Little Liars" - ist eine Aktualisierung von Patricia Highsmiths Bestseller "Der talentierte Mr. Ripley" in den Zeiten von Social Media.
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24.03.2023 09.59 Uhr
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Die Geschichte kann nur in New York spielen, dem Ort, an dem Menschen ihre Identität besonders performativ interpretieren: "If I can make it here, I'm gonna make it anywhere". Frank Sinatras Hymne vom unbedingten Willen zum Aufstieg dudelt leitmotivisch - eine von Burtons hübschen Erzählideen - an jeder Straßenecke und in jeder Bar.
Auf Sinatras "top of the list" wollten es schon viele schaffen, und nicht wenige davon waren bereit, dafür sehr, sehr weit zu gehen. Der Deutsche Christian Gerhartsreiter etwa, der sich als Mitglied des Rockefeller-Clans ausgab und dessen mörderische Manipulationen Walter Kirn zu seinem True-Crime-Buch "Blut will reden" inspirierten. Oder die Deutschrussin Anna Sorokin, die sich Zugang zur New Yorker High Society verschaffte, indem sie sich als reiche Erbin gerierte. Weil sie nebenbei noch rund 200.000 Dollar erschwindelte, wurde sie vor wenigen Wochen zu einer Haftstrafe von mindestens vier Jahren verurteilt.

Anna Sorokin im April vor Gericht
Foto: Richard Drew/ DPADen unbedingten Wunsch, es nach oben zu schaffen, hatte auch Louise, Burtons Protagonistin, nur fehlte ihr die kriminelle Energie. Ihr Traum, als Schriftstellerin New York zu erobern, ist nicht aufgegangen.
Stattdessen schlägt sie sich mit gleich drei Teilzeitjobs rum und weiß trotzdem kaum, wie sie die Miete für ihr Apartment im nicht gentrifizierten Teil von Brooklyn aufbringen soll. Das ändert sich, als sie Lavinia kennenlernt, ein rich girl, das gerade Studienpause macht, vorgeblich, um ihren ersten Roman fertigzustellen. Die beiden werden beste Freundinnen, Party-Queens, Social-Media-Heldinnen. Wichtigste Regel: nicht langweilen.
Was erst einmal nach "Aschenputtel in New York"-Kitsch à la "Der Teufel trägt Prada" klingt, entwickelt sich vollkommen anders - bereits auf den ersten Seiten des Romans verrät uns die Erzählerin, dass Lavinia sechs Monate, nachdem sie Louise in ihr Leben gelassen hat, tot sein wird.

Tara Isabella Burton
Foto: Rose Callahan/ DumontWie es dazu kommt, erzählt Burton in der ersten Hälfte von "So schöne Lügen" - und selten zuvor strahlte Manhattan so verführerisch wie in den Augen von Louise, die dem Rausch der Schönheit und der Schnelllebigkeit verfällt. Die selbst in New York aufgewachsene Burton, das erfährt schnell, wer ihre Social Accounts besucht, hat viel von ihrer Figur Lavinia. Beide teilen die Liebe zu Vintage-Kleidern, rauschenden Festen und mondänen Orten wie "Bemelmans Bar" im Carlyle Hotel, wo Louise sich zu einer ersten Verabredung mit Lavinia trifft und schockiert ist, dass ein Glas Wein 20 Dollar (ohne Steuern und Trinkgeld!) kosten kann.
Beeindruckend ist, mit welcher Verve Burton New York feiert, auch indem sie ihre Erzählhaltung ständig variiert. Sie bleibt zwar dicht an Louises Perspektive, lässt den Leser mit ihr staunen über all den Reichtum und die Verschwendung und die Leere, die sich auftut, wenn die Party vorbei ist (weshalb sie eigentlich nie enden darf), aber dann wechselt sie wieder in eine leicht spöttische Distanzposition.
In der zweiten Hälfte verdüstert sich der Ton des Roman. Louise wird - vielleicht nur zufällig -zur Mörderin und hat nun alle Daumen voll zu tun, Lavinias Tod zu vertuschen: Sie übernimmt ihre Social-Profile und wird zu Lavinias digitalem Doppelgänger. Wird sie sich wie Highsmiths Ripley eine ganz neue Existenz aufbauen? Zerbricht sie an ihrer Schuld? Oder ereilt sie das Schicksal von Gerhartsreiter und Sorokin? Diese Fragen bestimmen den zweiten Teil des Romans, in der die verspielte erzählerische Eleganz des Auftakts nach und nach einer Fiebrigkeit weicht und die Geschichte ins fast schon Surreale kippt.
"So schöne Lügen" ist ein halluzinatorischer Thriller über Menschen, die permanent die "Oberfläche der Dinge" hinabgleiten, wie es in Bret Easton Ellis' "Glamourama" heißt. Und insgeheim befürchten sie alle, dass es unter dieser Oberfläche nichts gibt.