Taschenbuch-Bestseller Blutige Marke Mafia
Es hat fast 150 Jahre gedauert, bis die Strukturen und die Geschichte der sizilianischen Mafia an die Öffentlichkeit gelangten: In den achtziger Jahren, als italienische Staatsanwälte in Sachen "Cosa Nostra" zu ermitteln begannen und 1987 rund 350 Mafiosi verurteilt wurden, trauten sich erstmals italienische Historiker an den Stoff, der nun unter anderem in Zeugenaussagen vorlag.
Auch John Dickie, der als Hochschulprofessor italienische Geschichte in London lehrt, leckte Blut. Mit "Cosa Nostra. Die Geschichte der Mafia" schrieb er die erste Gesamtdarstellung der Mafia von ihren Anfängen bis zur Gegenwart, die außerhalb Italiens erschienen ist. Das Buch wurde von der Kritik einhellig gelobt; Dickie berichtet darin von den Regeln, die die Gemeinschaft der "Ehrenmänner" zusammenhält, den Initiationsriten, den Strategien und Partnern in Gesellschaft, Staat und Kirche.
Ihren Anfang nahm die Mafia um 1850 in Palermo, der größten Hafenstadt Siziliens, von wo die Früchte der Zitrusplantagen aus dem Hinterland verschifft wurden. Der Anbau der Südfrüchte war aufwendig und risikoreich, warf zugleich aber hohe Gewinne ab. "Diese Kombination aus Gefährdung und hohen Profiten war ein hervorragendes Umfeld für die Schutzgelderpressung durch die Mafia", schreibt Dickie. Plantagenbesitzer, die sich der Mafia verweigerten das Wort "Mafia" bedeutete im Dialekt Palermos soviel wie "cool" wurden massiv bedroht und büßten manchmal mit ihrem Leben.
In den siebziger Jahren stieg die Mafia in das internationale Drogengeschäft ein; bis in die achtziger hinein konnte sie uneingeschränkt agieren. Weil der Staat sein Gewaltmonopol nicht durchsetzte, war das Treiben der "Ehrenmänner" Bestandteil der politischen Normalität geworden. Erst das mutige Auftreten des Staatsanwalts Giovanni Falcone, der 1992 zusammen mit seiner Frau und drei Leibwächtern bei einem Bombenattentat ums Leben kam, führte zu einem Umdenken in Politik und Gesellschaft.
Frauen haben eine Schlüsselrolle
Neben den Themen Korruption, Erpressung und brutalem Mord widmet sich Dickie der Psychologie der Mafiosi und lässt auch die Rolle der Frauen nicht außen vor. Seinen Beobachtungen zufolge weiß die Cosa Nostra genau über das berufliche und private Leben ihrer Mitglieder Bescheid und hat vor allem ein Auge auf deren Umgang mit dem weiblichen Geschlecht: "Mafiosi können wegen Ehebruchs aus der Vereinigung ausgestoßen werden, und das Herausschlagen von Profit durch Prostitution ist strengstens untersagt", weiß Dickie. Das kriminelle Geflecht baue auf die Treue und Verschwiegenheit der Frauen, die häufig alle Geheimnisse kennen und der Organisation größten Schaden zufügen könnten, würden sie von ihren Männern hintergangen.
Nicht nur die Ankündigung, sondern vor allem die Durchsetzung drakonischer Strafen ist das wohl wichtigste Mittel des Machterhalts, zeigt der Historiker. Eines der schrecklichsten Beispiele ist das Schicksal eines Mafioso-Sohnes, der vor Gericht auspackte, danach entführt und ein Jahr lang in einem Keller gefoltert wurde; bis man ihn erhängte und in Säure auflöste. Dickie vergleicht die kompromisslose Aufrechterhaltung der "Marke" Cosa Nostra mit dem Volkswagenkonzern, der für zuverlässig funktionierende Autos steht. "Mit dem Unterschied", so Dickie, "dass Markentreue im Fall Cosa Nostra bedeutet Menschen zu töten und damit fertig zu werden, statt Autos herzustellen, die auch an einem kalten Morgen anspringen."
Helge Rehbein, Buchreport
John Dickie: "Cosa Nostra. Die Geschichte der Mafia", Fischer, 9,95 Euro