Taschenbuch-Bestseller Runzelsex und Rheuma

Nee, klar: Rheuma ist kein Spaß, Sex im hohen Alter nicht unbedingt sexy. Weil Silvia Bovenschen die Nachteile des Alterns nicht verschweigt, ist ihr mit "Älter werden" ein so kluges wie poetisches Buch gelungen. Und ein Bestseller - in dieser Woche von Platz 18 auf 10.

Silvia Bovenschen, Literaturwissenschaftlerin und Essayistin, hat den demografischen Horrorszenarien, die seit Jahren kursieren, ein gelassenes Büchlein entgegengesetzt: In lockerer Folge hat sie ihre Gedanken zum Älterwerden aneinandergereiht, hat sich selbst und andere beobachtet. Statt eines reißerischen Buches ist ein poetischer Bericht über eines der zentralen Themen der Gegenwart entstanden.

Bovenschen erinnert sich an die Bücher ihrer behüteten Kindheit in einem wohlhabenden Frankfurter Elternhaus, an Hunde und Pferde, die sie durch ihre Mädchenzeit begleitet haben, an ihre Abneigung, in engen Geschlechterrollen zu denken. Und obwohl sie das Älterwerden als einen Prozess ansieht, der Menschen vor allem einschränkt, bringt sie ihre Leser dazu, ihr angstfrei zu folgen: Einige dürften sich über neues Selbstbewusstsein nach der Lektüre freuen können.

Die auch als Klagenfurter Literaturjurorin tätige Autorin, Jahrgang 1946, hat schon über Mode und Tiere Bücher geschrieben. Für fast unmöglich hat sie es jedoch lange gehalten, sich mit dem Thema des Alterns auseinanderzusetzen: Mit 24 wurde bei ihr Multiple Sklerose diagnostiziert. Bovenschen konnte daher nicht ihrem Wunsch folgen und ans Theater gehen, sondern widmete sich einer geisteswissenschaftlichen Laufbahn.

Spielerisches Vergnügen

Dabei hat sie sich immer zwischen die Stühle gesetzt. Ihr Buch "Die imaginierte Weiblichkeit" (1979), ein Meilenstein der feministischen Literaturgeschichte, huldigte keinem engstirnigen Feminismus – enge Röcke, hochhackige Schuhe und rot lackierte Fingernägel bedeuten für Bovenschen ein spielerisches Vergnügen, ohne das sie nicht leben will.

Auch "Älter werden" ist sie spielerisch angegangen: "In meiner Jugend hätte ich mir viel mehr Gedanken darüber gemacht, was die Welt zu meinem Buch sagt", bekennt sie. "Wenn es jetzt heißen würde: Oh, das kann sie leider nicht, würde ich sagen: Na gut, aber es hat mir Spaß gemacht." Und fügt hinzu: "Ich mache nur noch Sachen, die mir Spaß machen."

47 Jahre hat Bovenschen in Frankfurt am Main gewohnt, heute lebt sie in Berlin-Charlottenburg und fühlt sich in ihrem Kiez verwurzelt. Hin und wieder fährt sie in die Hessen-Metropole, um Freunde zu besuchen, und immer wieder fällt ihr dann auf, wie schnell Frankfurt ist. "Die Leute gehen rasch, man merkt, sie haben etwas vor", erzählt sie und ergänzt: "Wahrscheinlich zu großen Teilen nichts Gutes."

In Berlin hingegen herrsche eine angenehme Trägheit, eine Verlangsamung des Lebens, die jung halte. Bovenschen genießt gerne einen Plausch mit Taxifahrern oder Verkäuferinnen – "mir ist wichtig, mich auf Leute einzustellen und dafür zu sorgen, dass ich für sie verständlich bin" –, für sie ist das Gespräch mit ihren Mitmenschen eine Art geistiger Sport. Bovenschen freut sich über jeden Tag, den sie bei weitgehend uneingeschränkter Gesundheit verbringen kann - als MS-Patientin keine Selbstverständlichkeit.

Ihren 50. Geburtstag hat Bovenschen mit großem Pomp gefeiert, weil sie nicht mit Gewissheit davon ausgehen konnte, ihren 60. zu erleben: Ihr Buch über das Älterwerden sieht sie als Geschenk, das sie mit anderen teilen will.

Helge Rehbein, buchreport


Silvia Bovenschen: "Älter werden", Fischer, 8,95 Euro

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