"Tod eines Kritikers" Suhrkamp veröffentlicht Walser-Roman am 26. Juni

Der Frankfurter Suhrkamp Verlag hat sich trotz aller Kontroversen entschlossen, den Walser-Roman "Tod eines Kritikers" zu veröffentlichen. Das umstrittene Buch soll am 26. Juni erscheinen. Walser selbst zeigte sich erfreut über die Entscheidung, Marcel Reich-Ranicki äußerte sein Bedauern. Rückendeckung erhielt Martin Walser unterdessen durch Günter Grass und Bundeskanzler Schröder.

Suhrkamps Verlagsleiter Günter Berg habe sich "trotz kontroverser Diskussionen und Bedenken" im eigenen Haus entschlossen, den Walser-Roman zu veröffentlichen, teilte der Frankfurter Verlag am Mittwoch mit. Das Buch soll am 26. Juni erscheinen. Der Verlag halte auch nach den Antisemitismus-Vorwürfen gegen Walser an seiner Tradition fest, ein Forum für Debatten zu sein.

"Die politische Konstellation, in welche Walsers Manuskript geraten war, hat seine erste Rezeption mit Vor-Urteilen belastet, die der Verlag, bei allem Respekt für das Gewicht der Einwände und ihre Motive, für überzogen hält", heißt es in der offiziellen Suhrkamp-Erklärung. "Unter diesen Umständen tut der Verlag, was er seinem Autor und der Öffentlichkeit schuldig ist: Er publiziert den Roman in der von Martin Walser verantworteten Textform."

Martin Walser reagierte am Mittwoch erfreut auf die Entscheidung des Verlags, sie sei ein "Grund zur Freude", sagte er gegenüber der Nachrichtenagentur dpa. Der Schriftsteller kündigte außerdem an, sich zu der Debatte um sein Buch nicht mehr äußern zu wollen. Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki zeigte sich unterdessen enttäuscht von der Suhrkamp-Entscheidung. Er verstehe zwar, dass der Verlag sehr genau habe abwägen müssen, dennoch bezeichnete er die Veröffentlichung des Romans durch Suhrkamp am Mittwoch als "sehr bedauerlich".

Zuvor hatte der Reich-Ranicki in seiner TV-Sendung "Solo" Walser mit deutlichen Worten bedacht: "Mein Verdacht, schon seine Rede in der Frankfurter Paulskirche 1998 sei antisemitisch gewesen, ist durch seinen neuen Roman leider bestätigt worden", sagte der 81-Jährige am Dienstagabend sichtlich bedrückt. Ihm und seiner Frau sei während der Nazizeit nach dem Leben getrachtet worden. Daher fühlten sie sich - obgleich leidgeprüft - durch die Mordfantasien in Walsers Roman tief getroffen. Reich-Ranicki und seine Frau Teofila hatten die Verfolgung durch die Nazis im Warschauer Getto überlebt, viele Familienangehörige wurden ermordet.

Reich-Ranicki vermutet Ränkeschmiede bei der "Süddeutschen"

Reich-Ranicki hatte in der TV-Sendung noch einmal an den Suhrkamp Verlag appelliert, das Buch nicht in sein Programm aufzunehmen. Dies sollte in dem Haus, in dem die Werke etwa von Ernst Bloch, Paul Celan und Walter Benjamin erschienen, nicht möglich sein. Walsers Roman sollte aber anderswo unbedingt erscheinen, damit jeder lesen könne, was und vor allem wie der Autor es geschrieben habe, sagte der Kritiker. Den Antisemitismus-Vorwurf begründete Reich-Ranicki mit der Darstellung des Kritikers in dem Roman als "Monster an Korruptheit, Vulgarität, Eitelkeit und Geilheit", wie es in der "Welt" beschrieben worden sei.

Weiterhin äußerte sich der Literaturkritiker skeptisch über die aktuelle Berichterstattung in der "Süddeutschen Zeitung". In dem Münchner Blatt waren positive Besprechungen von "Tod eines Kritikers" erschienen. Die Artikel seien "intelligent", sagte Ranicki. Er hege jedoch den Verdacht, dass die positiven Artikel einen anderen Hintergrund haben könnten. Bei den drei Redakteuren der "Süddeutschen Zeitung" handele es sich um ehemalige "FAZ"-Mitarbeiter, die im Streit mit Frank Schirrmacher ausgeschieden seien.

In dem Roman, dessen Vorabdruck die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" wegen antisemitischer Klischees abgelehnt hat, geht es um einen vermeintlichen Mord an einem jüdischstämmigen Kritiker in Deutschland. Walser hat eingeräumt, Marcel Reich-Ranicki als Vorbild für den Roman genommen zu haben. Das Werk habe aber keinerlei antisemitische Tendenzen, sondern es handle sich um eine satirische Darstellung zum Thema Machtausübung im Literaturbetrieb im Fernsehzeitalter.

Grass spricht von "Feuilletonkrieg"

Rückendeckung erhielt Walser unterdessen von Günter Grass und Bundeskanzler Gerhard Schröder. In der ARD-Sendung "Boulevard Bio" sagte der Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger Günter Grass am Dienstagabend, Martin Walser sei kein Antisemit. In dem umfassenden Werk des Schriftstellers gebe es keine einzige antisemitische Zeile. Grass sprach von einem "Feuilletonkrieg" zu Lasten Walsers. Es handele sich um einen "unfairen Vorgang ersten Ranges". Er habe zwar das neue Buch von Walser nicht gelesen, aber er kenne den Autor persönlich lange und in Walsers umfangreichem Lebenswerk finde sich "keine einzige Zeile, die auch nur einen Hauch von Antisemitismus hat".

Der ebenfalls in die Sendung eingeladene Bundeskanzler wollte sich zu dem neuen Buch Walsers nicht äußern, da er es nicht kenne. Der Autor habe jedoch in früheren Diskussionen "in seltener Klarheit seine Verurteilung des Holocaust deutlich gemacht", so Schröder.

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