Romandebüt von Frédéric Schwilden Nur ein toxisches Männlein

In Frédéric Schwildens Roman »Toxic Man« will ein Mann nicht werden wie sein Vater und ist es doch längst. Doch es fehlt die kritische, ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema.
Mann oder Männlein?

Mann oder Männlein?

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wundervisuals / Getty Images

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Die Zigarette schmeckt ihm nicht. Das Bier auch nicht. Er fühlt sich dick, hat cholerische Anfälle, zetert, zaudert, zweifelt und flüchtet sich in Drogen und Partys, um sich selbst zu zerstören. In Frédéric Schwildens Romandebüt »Toxic Man« kämpft der Ich-Erzähler dagegen an, nicht wie der eigene Vater zu werden.

Der liegt nach einem Schlaganfall gleich zu Anfang des Buches im Sterben; der Sohn, ein erfolgreicher Fotograf, reist mit seiner Verlobten zu ihm in die Bretagne. Auf dem Weg erinnert er sich an einen durchaus gewaltbereiten Mann, der ihm auf dem Weg zum Frankreich-Urlaub auch mal mit der flachen Hand ins Gesicht schlug. Oder ihm an einem Wochenende Geld gab und ihm mitteilte »ich solle im Hotel schlafen, weil er mich nicht mehr sehen wollte«.

Der Vater, ein Mann, der »eigentlich immer ein Weinglas in der Hand« hatte. So will der Ich-Erzähler, der selbst bald Vater wird, auf keinen Fall werden: Ein »Toxic Man«, ein »gescheiterter Superheld«, »ein Mensch dessen Superkraft darin besteht, Gift zu sein.«

Der Ich-Erzähler und der Autor scheinen dabei eine ähnliche Biografie zu teilen. Auch der »Welt«-Journalist Schwilden ist in Bonn in eine akademische Mittelschichtfamilie geboren, und in der Fränkischen Schweiz aufgewachsen. Beide Orte sind wichtige Schauplätze des Romans und werden so detailliert beschrieben, dass eine Nähe zum echten Erleben fast unabdingbar scheint. Zudem arbeiten sowohl Schwilden als auch der Ich-Erzähler neben der journalistischen Tätigkeit als Fotograf.

Zynische Monologe, betrunkene »MeToo Gespräche«

Ein Gift, das auch der Ich-Erzähler selbst versprüht. Rastlos schlittert er durch eine Geschichte, in der er laut Klappentext zwar dem »Terror der Mittelschicht« entkommen will, in der das dramatische Leben des Erzählers allerdings ziemlich undramatisch erzählt wird. Der Ich-Erzähler heiratet und eröffnet seine bisher größte Fotoausstellung. Er bekommt ein Kind und erlebt eine depressive Phase. Schließlich betrinkt sich sein Cousin bis zum Organversagen und bei einem gemeinsamen Urlaub verschwindet sein bester Freund Elias im Meer. Trotz vorhandenen Tragikpotenzials ähnelt der Spannungsbogen des Romans einer unkommentierten Diashow. Es gibt einzelne Schlaglichter, aber wenige Übergänge.

Zwischendurch hält er zynische Monologe über den Rest der Gesellschaft, in der »Krankenschwestern aus Jena« und »Tourismuskaufmänner aus Braunschweig« Fotos von Avocado-Toasts machen und sie, mit englischen Texten versehen, auf Instagram stellen. Schließlich wird der Ich-Erzähler im Rahmen einer ausschweifenden, kokainberauschten Feier nach seiner eigenen Eröffnungsausstellung Opfer einer Vergewaltigung in seinem eigenen Hotelzimmer. Der namenlose Bekannte seines Freundes Safi geht zu ihm ans Fenster. Es kommt zu folgender Szene: »Er fragt: Willst du knutschen? Und ohne die Antwort abzuwarten, küsst er mich«. Es bleibt nicht beim Kuss, der Unbekannte berührt ihn, dringt in ihn ein.

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Frédéric Schwilden

Toxic Man

Verlag: Piper
Seitenzahl: 288
Für 22,00 € kaufen

Preisabfragezeitpunkt

10.06.2023 13.47 Uhr

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Zwar bringt der Ich-Erzähler seine eigene Sprach- und Hilflosigkeit zum Ausdruck: »Ich stehe einfach da am Fenster und lasse alles geschehen«, allerdings stolpert man als Leser bereits wenige Seiten später, wenn der Erzähler in »irgendeinem dieser betrunkenen MeToo Gespräche« eben jene Vergewaltigungserfahrung reflektiert und zu dem Schluss kommt, dass Körper zu »Inhaltsmenschen« werden. Es gehe nicht mehr um den Körper, sondern um die Idee dahinter. Die Idee von Miley Cyrus habe beispielsweise den Körper von Miley Cyrus überwunden. Dieses Gedankenspiel mag ein Weg des Ich-Erzählers sein, mit diesem traumatischen Erlebnis umzugehen, mündet aber in dem sprachlich handwerklich viel zu platt ausformulierten Resümee: »Deswegen finde ich eine Vergewaltigung auf körperlicher Ebene fast banal und nicht der Rede wert.« Na dann. Es darf weiter gekokst werden.

Dabei gibt es im Roman vor allem am Anfang durchaus starke Momente. Das Heranwachsen im oberfränkischen Dorf wird glaubhaft beschrieben. Der Unfalltod eines Bekannten auf einem Bahnhof, nach der geplanten Rückfahrt von einem Volksfest in Forchheim, wird zu einer literarisch-schmerzenden Schönheit verdichtet. »Micha war oben auf dem Mast. Und ein Lichtbogen war zwischen ihm und der Oberleitung. Der Zug fuhr ein. Es war ein roter Doppeldecker. Wie eine Feder segelte Michas Körper nach unten, ehe er auf dem grauen Boden von Gleis vier aufschlug.«

Schwilden beschreibt eine provinzielle Mittelschicht, bei der auf den ersten Blick alles nach heiler Welt aussieht, in der aber niemand hinsehen will, wenn der Vater ein Cognac-Glas nach seiner Tochter wirft. Und auch nicht, wenn der Ich-Erzähler als Teenager Crystal Meth schnupft.

Kein Faserland in Sicht

In der Produktbeschreibung bewirbt der Verlag das Buch »Für Leser:innen von Christian Kracht, Benjamin von Stuckrad-Barre«. Pop-Literaten, die kurz vor der Jahrtausendwende zeitgeistkompatibel und unterhaltsam über die Themen schrieben, denen sich auch Schwilden annimmt. Sehnsucht, Selbstzerstörung, Selbstfindung, Drogenkonsum. »Toxic Men« scheint der Versuch zu sein, alte Themen in ein neues, zeitgemäßes Gewand – nämlich der Diskussion um toxische Männlichkeit – zu hüllen. Schade nur, wenn bei diesem literarischen Taschenspielertrick vor allem das eigentliche Thema, toxische Männlichkeit, hinten abfällt. Der Versuch des Autors, in den Popliteratur-Himmel aufzusteigen scheitert allerdings auch deshalb, weil die Stärke der selbst benannten Vergleichsautoren in ihrer Schmerz- und Kompromisslosigkeit besteht. Aber wo man auch hinschaut, in »Toxic Man« ist kein Faserland in Sicht. Denn »Toxic Man« nähert sich dem Zerfall stets nur an – am Ende ist die liebende Frau immer an der Seite des Ich-Erzählers und rettet ihn.

Nicht ausgeschlossen, dass eine Verschmelzung zwischen Autor und Romanfigur vorliegt, ganz in der Tradition moderner Popliteratur. Trotzdem bleibt der Erzähler stets in der Rolle des Beobachtenden. Der Figur fehlt es an einer Introspektion, die über ein Schlaglicht oder ein Dia hinausgeht. Zu oft flüchtet sich der Ich-Erzähler bei der Auseinandersetzung mit dem eigenen Ich und dem eigenen toxischen Verhalten in Zynismus und Ironie. Und tritt dabei zugleich als eine Art aufgedrehtes Rumpelstilzchen auf, das sich seiner eigenen cholerischen Anfälle zwar bewusst ist, sich ihnen aber bis zuletzt nicht als Problem stellen kann. Er scheint weniger toxischer Mann als toxisches Männlein zu sein.

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