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"Trainspotting"-Autor Irvine Welsh: Drogentrips und Schreibräusche

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Irvine Welsh im Interview "Ich dusche nicht, bin unrasiert und rieche schlecht"

"Trainspotting" machte Irvine Welsh zum gefeierten Bestseller-Autor. In "Skagboys" erzählt er nun die Vorgeschichte der Junkie-Truppe. Mit Drogen kennt er sich auch persönlich bestens aus - und weiß daher genau, was einen Schreibrausch von einem Drogenrausch unterscheidet.
Von Jörg Böckem

Ein Hotel in der Hamburger Innenstadt am frühen Nachmittag. Irvine Welshwirkt angeschlagen. Der Jetlag, vielleicht. Der gebürtige Schotte, seit dem großen Erfolg seines Debütromans "Trainspotting" ein Literatur-Star, lebt mittlerweile in den USA. Möglich aber auch, dass sein Zustand andere Gründe hat: Die vergangene Nacht, sagt der 55-Jährige, habe er mit Freunden in einer Berliner Bar mit dem Namen "Das Gift" verbracht. Im Gespräch ist Welsh, dessen Roman "Skagboys" gerade auf Deutsch erschienen ist, dennoch konzentriert und freundlich.

SPIEGEL ONLINE: Herr Welsh, Sie sind als Sohn eines Hafenarbeiters in Edinburgh in einfachen Verhältnissen aufgewachsen, als kleiner Junge sind Sie häufig von zu Hause weggelaufen. Vor was oder wem?

Welsh: Stimmt, da war ich zwischen sechs und acht Jahre alt. Meine Eltern haben mich damals zum Psychologen geschleppt, sie dachten, sie hätten etwas falsch gemacht. Aber ich bin gar nicht vor etwas oder jemandem davongelaufen. Ich hatte keine traumatische Kindheit, im Gegenteil. Meine Kindheit war schön. Ich war einfach nur neugierig und abenteuerlustig, wollte erkunden, was hinter unserem Viertel, hinter dem Horizont lag, ich wollte Schiffe sehen und den Ozean. Diese Seite in mir ist heute noch sehr stark. Ich mag es sehr, als Journalist und Autor Konfliktgebiete wie Afghanistan oder den Sudan zu besuchen, mit Taliban oder Rebellen zu reden, Menschen deren Leben und Denken völlig anders ist als meines.

SPIEGEL ONLINE: Waren Neugier und Abenteuerlust auch der Grund dafür, dass Sie als junger Mann exzessiv mit Drogen experimentiert haben?

Welsh: In gewisser Weise ja. Drogen verändern alles - Wahrnehmung, Verhalten, Denken und Fühlen. Ich wollte wissen, wie es sich anfühlt, das Altbekannte hinter mir zu lassen. Außerdem brachten Drogen neben dem Rausch auch eine gehörige Portion Drama und Abenteuer in mein Leben. Auf eine ziemlich abgefuckte Weise, zugegeben. Es gab ja auch viele negative Erfahrungen, man begibt sich in lebensbedrohliche Situationen, das Leben als Junkie ist am Ende ziemlich elend. Aber das ist es, was mich auch als Autor interessiert: Wie wir bewusst Entscheidungen treffen, die unser Leben ruinieren können.

SPIEGEL ONLINE: Haben Sie sich in Ihrer Jugend vorstellen können, Ihre Erfahrungen mit Drogen, Sucht und Kriminalität irgendwann als Schriftsteller zu nutzen?

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Welsh: Nein. Als Kind wollte ich Raumfahrer werden oder so etwas, als Teenager Fußballprofi oder Boxweltmeister, aber das waren eher Hirngespinste, keine Ziele oder Pläne, die ich verfolgt habe.

SPIEGEL ONLINE: In "Skagboys" erzählen Sie die Vorgeschichte zu "Trainspotting". Das Buch spielt in der Junkie-Szene Ihrer Heimatstadt Edinburgh Mitte der Achtziger. Sie leben seit Jahren in den USA, wie schwierig war die Rückkehr zu den alten Figuren?

Welsh: Gar nicht. Zum einen bin ich immer noch häufig in London, Dublin und natürlich Edinburgh. Wenn ich zu lange am Stück in den USA bin, leide ich an einer Art Trennungsangst. Spätestens wenn ich in Edinburgh mit meinen Kumpels beim Bier in einer Kneipe sitze, ist alles sofort wieder da. Außerdem habe ich für "Skagboys" auf Material zurückgegriffen, das ich geschrieben habe, als ich an "Trainspotting" arbeitete. Damals war mein Manuskript viel zu lang, ich habe nur den mittleren Teil verwendet.

SPIEGEL ONLINE: Sie bezeichnen sich als Binge-Writer, in Anlehnung ans Binge-Drinking. Wie muss man sich diesen Schreibzustand vorstellen?

Welsh: Ich sitze für Tage wie weggetreten an meinem Schreibtisch und arbeite, die Augen quellen aus meinem Schädel, ich wechsle meine Kleidung nicht, dusche nicht, bin unrasiert und rieche schlecht.

SPIEGEL ONLINE: Ist der Zustand vergleichbar mit einem Drogenrausch?

Welsh: Nicht wirklich. Wenn ich mich in diesem Schreibzustand befinde, bin ich mir nicht vollständig bewusst, dass ich in meinem Arbeitszimmer an meinem Schreibtisch sitze. Ein eher meditativer, paradoxer Zustand, in gewisser Weise ist mein Geist leer, ich bin nicht ganz bei mir, entpersonalisiert. So ungefähr stelle ich mir den Zustand kurz vor der Geburt vor. In den besten Momenten erledigt dann mein Unbewusstes die Arbeit, dann entstehen meine stärksten Texte. Den Drogenrausch erlebe ich anders - beim Schreiben verlasse ich einen Raum, auf Droge betrete ich einen Raum.

SPIEGEL ONLINE: Sie sind kürzlich 55 geworden. Wie stellen Sie sich Ihr Leben in 15 Jahren vor?

Welsh: Ich denke nicht über die Zukunft nach. Im Mai erscheint mein neues Buch, im August bin ich auf eine Hochzeit von guten Freunden eingeladen, weiter gehen meine Pläne nicht. Genausowenig denke ich über die Vergangenheit nach. Eigentlich bin ich ein eher unreflektierter Typ. Vielleicht ist das ein Fehler, möglicherweise würde es mich davor schützen, immer wieder die gleichen Fehler zu machen.

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