Trauer in Portugal Literatur-Nobelpreisträger Saramago ist tot

José Saramago: Wichtigster Schriftsteller Portugals
Foto: Ander Gillenea/ Getty ImagesHamburg/Lissabon - Als einmal nach dem Grund für sein ewig düsteres Weltbild gefragt wurde, antwortete er mit derselben Ironie, die sich in vielen seiner Bücher findet: "Ich bin kein Pessimist, sondern bloß ein gut informierter Optimist." Doch sofort wurde der portugiesische Literaturnobelpreisträger ernst. "Wir stecken alle in der Scheiße. Optimist kann eigentlich nur sein, wer gefühllos, dumm oder Millionär ist." Die Welt sei eine Hölle: "Millionen Menschen werden geboren, um zu leiden. Kümmern tut dies kaum jemanden."
Am Freitag ist Saramago im Alter von 87 Jahren in seinem Haus auf der spanischen Kanareninsel Lanzarote gestorben. Das berichtet die spanische Tageszeitung "La Vanguardia" unter Berufung auf Saramagos Familie. Der 1922 geborene Saramago hatte 1998 den Literaturnobelpreis erhalten. Er lebte seit Jahren auf Lanzarote.
Der überzeugte Kommunist Saramago wurde 1922 in der Ortschaft Azinhaga nahe Lissabon als Sohn eines Landarbeiters und späteren Polizisten geboren. Nach dem vorzeitigen Schulabgang wurde er Maschinenschlosser, arbeitete später als technischer Zeichner, Angestellter in der Sozialbehörde, in einem Verlag und als Journalist.
Erst mit etwa 40 Jahren fand er zur Schriftstellerei. 1966 erschien unter dem Titel "Os poemas possíveis" (Die möglichen Gedichte) sein erstes Buch.
Seit 1969 Mitglied der Kommunistischen Partei Portugals, versuchte er eigenen Angaben zufolge mit seinen "bescheidenen Mitteln" gegen die Zensur des Salazar-Regimes anzukämpfen und setzte sich u. a. für Meinungsfreiheit ein. "Ich bin nicht inhaftiert und auch nie verhaftet worden", so Saramago, "aber ich musste geheim arbeiten, im Untergrund" sagte er 1987 in einem Interview. Nach der portugiesischen Nelkenrevolution im Jahre 1974 arbeitete er im Ministerium für Kommunikation und wurde 1975 stellvertretender Chefredakteur der Zeitung "Diário de Notícias". Nachdem sich die sozialistische Perspektive der Revolution zerschlagen hatte, finanzierte er eine Zeit lang seinen Lebensunterhalt mit Übersetzungen.
Aus Protest Portugal verlassen
Heute zählt Saramago zu den meistgelesenen und meistübersetzten portugiesischen Schriftstellern. In seinen parabelhaften Büchern zeigte er sich als kritischer Kommentator des Weltgeschehens. Charakteristisch für den Erzählstil seiner mit Franz Kafka oder Gabriel García Márquez verglichenen und um die Entwicklung des bäuerlichen Proletariats an der Peripherie der Industriegesellschaft kreisenden Romane ist nach Kritikermeinung eine bilderreiche, oft barock anmutende Sprache, die meist in feiner Ironie oder auch ätzendem Sarkasmus gebrochen wird. Saramagos erster Roman, "Manual de pintura e caligrafia", zu deutsch "Das Handbuch der Malerei und der Kalligraphie" erschien 1977.
Der internationale Durchbruch gelang Saramago mit Romanen wie "Hoffnung im Alentejo" (1980), "Das Memorial" (1982) oder "Das Todesjahr des Ricardo Reis" (1984), die durch die bildhafte und barock anmutende Sprache bestechen.
Der siebte Roman des bekennenden Atheisten, "Das Evangelium nach Jesus Christus" (1991), führte zu kontroversen Diskussionen in den portugiesischen Feuilletons. Das Buch, das Christus nicht nur als lebenshungrigen und wissbegierigen Jüngling zeichnet, sondern auch an Glauben und Wundern zweifeln lässt, wurde auf Veranlassung eines Unterstaatssekretärs wegen angeblicher "Verletzung religiöser Gefühle" von der Vorschlagsliste für den Europäischen Literaturpreis gestrichen. Als Reaktion darauf siedelte Saramago nach Spanien über. "Wenn so etwas zu Zeiten der Salazar-Diktatur geschehen wäre, hätte ich es ja noch verstehen können. In einer Demokratie aber empfand ich diese Zensur beschämend", sagte der Autor.
1995 veröffentlichte er mit "Die Stadt der Blinden" einen seiner berühmtesten Romane. 2008 verfilmte der Regisseur Fernando Meirelles das Buch für das Kino.
Im April 2010 wurde bekannt, dass der Schriftsteller seinen deutschen Verlag Rowohlt verlässt und zu Hoffmann und Campe geht - Hintergrund des Verlagswechsels war ein Streit um das Erscheinen von Saramagos Blog in Buchform.
In Portugal hatte Saramago zuletzt unter dem Titel "Die kleinen Memoiren" eine Art Autobiografie herausgebracht, die mit dem 15. Lebensjahr endet. "Diese Zeit hat mich am meisten geprägt, im Grunde bin ich ein Bauernjunge geblieben", sagte er. In dem Buch erfährt der Leser auch, dass Saramago eigentlich José de Sousa heißt. Sein richtiger Familienname wurde beim Eintrag ins Geburtenregister nicht notiert, weil der zuständige Beamte betrunken war.