
Tuvia Tenenbom in Israel Jüdischer Selbsthass, deutsche Selbstgerechtigkeit
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Egal, ob es um Attentate, um den Gaza-Krieg, Siedlungen oder die Situation arabischer Bauarbeiter geht, über Israel fühlt man sich in Deutschland gut informiert. Man schenkt den Krisen im Nahen Osten mehr Aufmerksamkeit als einem Großteil der Krisen in der restlichen Welt - und fällt doch immer wieder in die gleichen Erklärungsmuster zurück: Die Palästinenser sind Opfer, die Israelis rachedurstige Radikale, der Westen ist hilflose Stimme der Vernunft.
Es bedarf einer gewissen Neugier und Unerschrockenheit, um die Geschichte anders zu erzählen. Einer Neugier und Unerschrockenheit wie sie Tuvia Tenebom bei der Recherche für sein Buch "Allein unter Deutschen" an den Tag gelegt hat. Damals reiste er unter anderem zum Neonazitreff "Club 88". Das Buch war ein Bestseller - obwohl sein Deutschlandbild dem Selbstbild vieler Deutscher entschieden widersprochen hat.
Nach dem Muster von "Allein unter Deutschen" ist "Allein unter Juden" eine Reportage in Ich-Form: Hier schreibt ein Mensch, der sich nicht mit vorgegeben Sichtweisen und Sprachregelungen abspeisen lässt - und dabei seinen Humor behält. Tenenbom, der in Israel als Sohn eines Rabbiners aufgewachsen ist, das Land aber vor 33 Jahren verließ, ist von Mitte 2013 bis Anfang 2014 kreuz und quer durch Israel und Palästina gereist. Hauptdarsteller seines Buchs ist er selbst, häufig unter dem Tarnnamen Tobias. Von den Rollen, die er angenommen hat, um seine Gesprächspartner aus der Reserve zu locken, ist Tobias die, mit der er am meisten Erfolg hat: weil Tenenboms Gesprächspartner diesen Tobias für einen Deutschen halten.
"Abu Ali" steht für Adolf Hitler
Auch die palästinensischen Funktionäre. Sie erscheinen Tenenbom wenig glaubwürdig, weil sich wohlfeile offizielle Statements für die Öffentlichkeit und hinter vorgehaltener Hand Geäußertes so sehr unterscheiden. "Es wäre sehr gut gewesen, wenn Rommel sein Ziel erreicht hätte", wird ihm in einer geselligen Runde beschieden. Gemeint ist der NS-"Wüstenfuchs", der im Zweiten Weltkrieg den Versuch unternahm, auf das Gebiet des heutigen Israel vorzustoßen. Dschibril ar-Radschub, graue Eminenz der Fatah, verleiht dem vermeintlichen Deutschen wenig später gar einen Ehrentitel: "Abu Ali" - es ist der umgangssprachliche palästinensische Ausdruck für Adolf Hitler.
Trotzdem schreibt Tenenbom: "Ich persönlich liebe die Palästinenser. Weil die Palästinenser stolz auf ihre Identität sind." Sätze, die im Kontext zuerst rein rhetorisch wirken, aber zu den zentralen Fragen des Buchs führen. Tenenbom hat Palästinenser und israelische Araber eigentlich abgehakt: Als Bevölkerungsgruppen, die sich bestens in ihrer Opferrolle eingerichtet haben, auch dank großzügiger finanzieller Alimentation aus Europa.
Im Mittelpunkt von "Allein unter Juden" stehen zwei andere Aspekte - die Auseinandersetzung mit den Israelis und mit dem, was Tenenbom "jüdischen Selbsthass" nennt. Und die Schilderung der europäischen, besonders der deutschen Rolle im Nahost-Konflikt. Tenenbom hält sie weder für friedensstiftend noch für neutral.
"Holocaust" in Israel
Ein Musterbeispiel jüdischen Selbthasses erlebt Tenenbom ausgerechnet in der Holocaust-Gedenkstätte Jad Vaschem. Ein sich selbst als "Ex-Jude" vorstellender Reiseleiter ist im Rahmen einer von der EU finanzierten Bildungsreise mit einer Gruppe italienischer Teenager unterwegs. Der Reiseleiter hat keine Mühe, eine historische Linie von der Judenvernichtung während des Zweiten Weltkriegs bis in die Gegenwart zu ziehen: "In Israel werden heute Afrikaner in Konzentrationslager gesteckt", behauptet er. Was sich im Land abspiele, sei "ein Holocaust", ein Befehl Hitlers zum Judenmord hingegen sei nicht überliefert.
Die Szene mag ein Beispiel sein, in der die historischen Fakten besonders mutwillig verdreht werden. Doch Tenenbom ist auf zahlreiche Fälle bis hin zur Selbstverleugnung gehender Israelkritik von jüdischer Seite gestoßen.
Das Fazit, das sich nach seinem Buch aufdrängt, ist bitter. Über Jahrhunderte waren Juden Hass, Verfolgung und Vernichtung ausgeliefert - nun gibt es ein einfaches Mittel, um von der westlichen Öffentlichkeit respektiert zu werden: indem man sich gegen Israel wendet.
Dabei werden immer wieder die gleichen Schlagwörter benutzt: Israel als Besatzungsmacht, als Apartheidstaat, als Ursache aller Konflikte in der Region. In ihrer Eindimensionalität wirkt diese Israelkritik wie eine geopolitische Variante des Antisemitismus.
"Zu viele Juden auf der Karte"
In Tenenboms Buch sind es besonders Mitarbeiter der NGOs, von Hilfsorganisationen und politischen Stiftungen, aber auch Dokumentarfilmer und Medien, die dieses eindimensionale Israelbild verbreiten - weil sie die Darstellung der palästinensischen Seite viel zu selten infrage stellen, die israelische dagegen fast generell anzweifeln. Die Folge: eine einseitige Parteinahme - als Verstärker israelkritischer Stimmung.
Die Abgesandte der Heinrich-Böll-Stiftung geht einem Gespräch mit Tenenbom ebenso aus dem Weg wie der gerade in Israel weilende Chef der Konrad-Adenauer-Stiftung. Die Vertreterin von Ärzte ohne Grenzen gibt sich flapsig, als Tenenbom ihr Büro in Jerusalem besucht: Wenn man die Landkarte Israels betrachte, werde einem "ganz schlecht". Tenenboms trockene Interpretation: "Es sind zu viele Juden auf der Karte".
Die europäische Selbstgerechtigkeit ist größer als die europäische Fähigkeit zur Selbstkritik. Die Europäer neigten dazu, Petitionen für die Guten zu unterschreiben, gegen die Bösen zu demonstrieren und am Abend, wenn sie zu Bett gehen, mit sich selbst zufrieden zu sein, meint der Schriftsteller Amos Oz, als ihn Tenenbom befragt. Er selbst wird von Europäern in Israel deshalb häufig als "Rechter" abgetan. Die israelische Regierung sieht das ganz anders. Weder der Premierminister Netanyahu noch Außenminister Lieberman wollen mit ihm sprechen - weil man ihn für einen "linken Querulanten" hält.
Auch die israelische Realität ist vielschichtig. Davon kommt wenig bei uns an. Europa, besonders Deutschland ist aufgrund seines starken Engagements längst eine Konfliktpartei in der Region, die eigene Rolle aber wird dabei moralisch verbrämt. Es gehe, so Amos Oz, in Israel aber nicht um den Kampf Gut gegen Böse - sondern um "zwei vollkommen berechtigte Ansprüche auf dasselbe Land."
Dieses Land hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert. Und mit ihm der Blick, den Europäer und Deutsche auf Israel haben. "Als ich ein Teenager war", schreibt Tenenbom, "lagen die Europäer, die ich in Israel sah, nackt am Strand. Die Europäer, die ich dieser Tage in Israel sehe, sind voll bekleidet und rennen wie die Besessenen auf der Suche nach einem schlechten Juden herum."
Im englischsprachigen Original hieß "Allein unter Juden" deshalb "Catch The Jew" - fang den Juden.
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Tuvia Tenenbom posiert in Lederhose: Für sein Buch "Allein unter Juden" ist der New Yorker durch Israel gereist, das Land, in dem er aufgewachsen ist und das er vor 33 Jahren verlassen hat - und hat sich dort als Deutscher ausgegeben.
In Israel erlebt Tenenbom, wie sich Palästinenser und israelische Araber bestens mit ihrem Status als Opfer eingerichtet haben, wie Israelis sich in Selbsthass ergehen - und Europäer in Selbstgerechtigkeit.
Tenenbom mit dem damaligen israelischen Staatsoberhaupt Simon Peres: "Der Präsident gibt sich Selbsttäuschungen hin", schreibt Tenenbom über dessen selbstgewählte Rolle als Friedensstifter.
Tenenbom in Jad Vaschem. Hier erlebt der Autor, selbst Nachfahre von Holcaust-Opfern, wie ein "Ex-Jude" als Reiseleiter einer Gruppe italienischer Teenager abstruse antiisraelische Theorien vorträgt - finanziert von der EU.
Tenenbom begleitet Palästinenser zu einer Demonstration in Bilin - und kommt zu dem Schluss, dass es sich dabei um eine eigens für westliche Medien inszenierte Show handelt, deren Charakter von den Berichterstattern allerdings nicht infrage gestellt wird.