Progressive US-Bewegungen Linkes Aufbegehren

Protest gegen Schuldenmodelle für Studierende: »Aufbruchstimmung von unten«
Foto: STEFANI REYNOLDS / AFPDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Die Sachbücher, die in letzter Zeit zu Politik und Gesellschaft in den USA erschienen sind, konzentrieren sich häufig auf den dortigen Rechtsruck. Der US-Journalist Ezra Klein schrieb dazu, der Titel des Buches von Elmar Theveßen, dem Leiter des ZDF-Studios Washington, lautet »Die Zerstörung Amerikas – Wie Donald Trump sein Land und die Welt für immer verändert«. Und die Historikerin und Journalistin Annika Brockschmidt schrieb über »Amerikas Gotteskrieger«. Das sind nur einige von vielen Beispielen.
Lukas Hermsmeiers Debüt »Uprising – Amerikas neue Linke« fällt da aus der Reihe. In dem Buch analysiert der Journalist die Anfänge und Ursachen der verschiedenen heutigen linken Bewegungen in den USA, gibt aber auch einen Ausblick darauf, ob diese auch für Deutschland Vorbilder sein könnten. Hermsmeier, 1988 in Berlin geboren, lebt seit 2014 in New York, von wo aus er für deutsche, Schweizer und US-Zeitungen schreibt.
Zu Beginn stellt Hermsmeier fest, die USA seien eben nicht nur nach rechts, sondern auch nach links gerückt. »Die Wiedergeburt der amerikanischen Linken lässt sich nicht von der enormen Entfremdung und Verelendung trennen, die dieses Land bestimmen«, schreibt er. Allerdings habe die neue Linke in den USA, die sich auch in einer neuen Arbeiterbewegung zeigt, letztlich noch nicht den politischen Einfluss, der erforderlich wäre, um nötige Sozialreformen auf Bundesebene umzusetzen.
Obama enttäuschte – Occupy Wall Street entstand
Als Nährboden für neue linke Kräfte in den USA macht Hermsmeier Enttäuschung über die Politik des ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama aus, die die Machtverhältnisse bewahrte. Daraus entstand 2011 die Occupy-Bewegung im New Yorker Zuccotti Park. Zwar existiert sie aktuell nicht mehr, doch es gingen andere Organisationen aus ihr hervor: Black Lives Matter, Graswurzelbewegungen, die die Präsidentschaftsvorwahlkampagnen von Bernie Sanders unterstützten, und Klimaaktivismus – um nur einige zu nennen.
Hermsmeier stellt die Ursprünge dieser Initiativen dar, dabei finden auch unbekanntere linke Organisationen Erwähnung, etwa das Debt Collective , die erste US-Gewerkschaft für Schuldner, der sich sogar Republikaner anschließen. Das Schuldnerkollektiv handelt Finanzverträge seiner Mitglieder neu aus oder bringt Sammelklagen auf den Weg, um gegen missbräuchliche Schuldenvereinbarungen vorzugehen. Zwischen 2014 und 2020 konnte es den Erlass von Schulden im Wert von über 1,5 Milliarden Dollar erstreiten.
Die bekanntesten Personen, die Amerikas neue Linke politisch vertreten, sind der Senator Bernie Sanders und die Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez. Hermsmeier analysiert treffend, weshalb Sanders gegen seine parteiinternen Konkurrenten Hillary Clinton und Joe Biden unterlag und welche Rolle dabei die Parteispitze der Demokraten, die US-Leitmedien und Sanders selbst spielten: Die Parteiführung sah in dem selbst ernannten demokratischen Sozialisten eine Bedrohung ihrer Macht, für die etablierten Medien war er ein »idealistischer Destabilisator«, und Sanders selbst griff die Demokratische Partei in einer Art und Weise an, die insbesondere ältere Wählerinnen und Wähler und Schwarze verschreckte.

Der Berliner Lukas Hermsmeier, Journalist und Autor, lebt seit 2014 in New York
Foto: Antonia PolkehnHermsmeier zeichnet auch den Weg nach, den die New Yorkerin Ocasio-Cortez vom Aktivismus gegen die Dakota Access Pipeline, die Erdöl durch Stammesgebiet amerikanischer Ureinwohner leitet, bis in den Kongress nach Washington, D.C. führte. Er erörtert plausibel den Gewinn für die Demokratische Partei, wenn ehemalige Aktivistinnen und Aktivisten in den Kongress gewählt werden, die ihren Wahlkampf mit Kleinspenden ihrer Anhängerschaft finanzieren – und deshalb anstelle der Wirtschaftslobby progressiven Initiativen Rechenschaft schulden.
Dennoch fehlt in dem Buch die kritische Auseinandersetzung mit einer Person wie Ocasio-Cortez, die nicht nur von rechts, sondern auch von links Kritik ausgesetzt ist, weil sie sich sehr öffentlichkeitswirksam inszeniert, aber etwa die Vehemenz, mit der sie sich dem Kulturkampf widmet, in der Regierungsarbeit vermissen lässt.
Neue linke Bewegungen – bald auch in Deutschland?
Die Antwort auf die Frage, ob die amerikanischen Bewegungen ein Vorbild für Deutschland sein könnten, fällt dann durchwachsen aus. Hermsmeier beklagt zum einen den mangelnden Willen zum Wandel, der sich im Koalitionsvertrag der Ampelregierung zeige. Zum anderen sieht er in dem Berliner Volksentscheid »Deutsche Wohnen & Co. enteignen« aber auch »eine der beeindruckendsten Initiativen der vergangenen Jahre«. Darin fänden sich Elemente neuer linker Bewegungen aus den USA: zeitaufwendige Vorarbeit durch direkten Kontakt zur Wählerschaft, in Teams organisiert von Tür zu Tür ziehen, um so möglichst viele Menschen zu erreichen.
Zurück bleibt die Erkenntnis, dass die Methoden der linken US-Bewegungen in Deutschland noch nicht wirklich angekommen sind – vielleicht ist der direkte Vergleich, auch wenn er hier aufgeworfen wird, aber auch schlicht nicht zielführend. Obwohl es durchaus interessant ist, nach Parallelen zwischen linken Bewegungen zu suchen, ist die Situation in den zwei Ländern einfach zu unterschiedlich. Der Abbau des Sozialstaats in den USA seit der Reagan-Ära versetzt das Land heute in eine andere Ausgangssituation als Deutschland.
Wie Hermsmeier selbst zutreffend anmerkt, kämpft die neue amerikanische Linke für Grundsätzliches wie eine gesetzliche Krankenversicherung, bezahlte Elternzeit oder kostenfreie Universitäten – in Deutschland sind das längst Selbstverständlichkeiten. Erst wenn beispielsweise die Mietpreise auf ein existenzbedrohendes Niveau ansteigen, setzt dies vielleicht auch in Deutschland andere, neue linke Kräfte frei.
Über Deutschland lernt man also wenig; wer über die neue Linke in den USA bisher aber nichts oder kaum etwas wusste, weil abgesehen von einigen Einzelstars noch immer wenig über sie berichtet wird, lernt in »Uprising« einiges dazu. »Zum ersten Mal seit langer Zeit spürt man in den USA so etwas wie eine Aufbruchstimmung von unten«, schreibt Hermsmeier über die neuen Bewegungen. »Alles andere als permanent, aber immer wieder, an immer mehr Orten, immer stärker.«