
US-Wahlen: Wen wählen die Promis?
US-Bestsellerautor John Irving "Die Republikaner lügen"
München - John Irving ist sauer. Ein bisschen vielleicht auch, weil er die US-Präsidentschaftswahl nicht im heimischen Vermont verfolgen kann, denn er ist noch bis Donnerstag auf Lesereise in Deutschland. Ganz sicher aber, weil es die Demokraten den Republikanern seiner Ansicht nach zu leicht gemacht haben: "Bei jeder Wahl ärgere ich mich mehr über meine Partei als über die Opposition", sagte der Bestsellerautor ("Garp und wie er die Welt sah") SPIEGEL ONLINE.
Der als liberal bekannte Schriftsteller findet harte Worte für den politischen Gegner: "Ich weiß, dass die Republikaner lügen und worüber. Sie überraschen mich nicht, weil sie es so machen wie immer: Wenn sie unter sich sind, können sie gar nicht laut genug tönen. Aber wenn sie in der Öffentlichkeit reden, haben sie plötzlich nichts mehr zu sagen, sie verstecken sich. Und warum? Weil sie nicht wollen, dass du etwas über ihre drakonische Haltung zum Abtreibungsrecht erfährst, weil sie nicht wollen, dass du etwas über ihre drakonische, Dinosaurier-hafte Haltung zu Schwulenrechten weißt."
Gleichzeitig, so Irving, sei es "verstörend", wie es den US-Demokraten mehr und mehr peinlich sei, sich für liberale Themen stark zu machen. "Bill Clinton war kein Liberaler. Ich habe ihn gewählt, ich mag ihn, er ist ein guter Mann. Aber er ist kein Liberaler nach meiner Definition, er ist der Mitte viel näher als ich. Und Obama ist sogar noch näher an der Mitte als Clinton. Auch Obama ist ein guter Mann, und ich will, dass er gewinnt. Aber er ist ein Zentrist, ein Mann der Mitte", sagte Irving zu SPIEGEL ONLINE. Rechts und Links seien aber ohnehin keine Begriffe, mit denen der Durchschnittsamerikaner etwas anfangen könne. Klar sei hingegen, dass "liberal" inzwischen als "böses Wort" gelte, das selbst Demokraten nur hinter vorgehaltener Hand auszusprechen wagen.
Mit Romney geht es schneller bergab
Die Hasenfüßigkeit der Demokraten und die Unaufrichtigkeit der Republikaner sind aus der Sicht des 70-jährigen Schriftstellers jedoch eher Symptome als Ursache - der geringe Bildungsstand seiner Mitbürger sei das eigentliche Problem. Ihn ängstige die hohe Zahl von Leuten, die gar kein Interesse haben dürften, die Republikaner zu wählen, aber von ihnen an der Nase herumgeführt würden. "Es gäbe gar keine republikanische Partei in den USA, wenn die Republikaner nicht immer wieder in der Lage wären, Leute gegen ihr ureigenstes Interesse für sich zu gewinnen", so Irving zu SPIEGEL ONLINE.
Wie weit man das Bildungsniveau in den Staaten anheben müsste, um den Zustand zu ändern? Eine Frage, auf die Irving auch keine Antwort weiß. Für ihn sei jedoch klar erkennbar, dass die Anzahl der Menschen, denen Mitt Romney und Paul Ryan wirklich helfen wollen, verschwindend gering ist: "Die Mehrheit der Leute, die Romney wählen, schießt sich damit in den eigenen Fuß."
Große Hoffnungen auf eine Gesundung der angeschlagenen US-Volkswirtschaft verknüpft Irving ohnehin nicht mit der Wahl - denn es gehe gar nicht so sehr um die Krise: "Ich glaube nicht, dass Obama oder Romney irgendetwas tun können, damit die Rezession schneller vorbei geht. Andererseits wird Amerika mit Mitt Romneys Strategie, einfach gar nichts zu tun, schneller den Bach heruntergehen als mit Obamas Ansatz, zumindest einige soziale Probleme lösen zu wollen."
Irvings neuestes, jetzt auf Deutsch erschienenes Buch "In einer Person" erzählt die Geschichte eines bisexuellen Mannes, der als Teenager die Verklemmtheit der späten fünfziger Jahre ebenso erlebt wie die Verheerungen von Aids als Erwachsener in den Achtzigern. Irvings 13. Roman ist ein energisches Plädoyer für Toleranz gegenüber sexuellen Minderheiten. Genau solche Themen sollten Amerika viel mehr bewegen als die Wirtschaft: "Die Intoleranz, die Romney und Ryan gegenüber sozialen Fragen, Frauen- und Schwulenrechten zeigen, ist inakzeptabel", sagte Irving, sie lasse "die katholische Kirche wie einen Ballsaal voller Liberaler" wirken.
John Irving ist Autor zahlreicher internationaler Bestseller, darunter "Garp und wie er die Welt sah", "Owen Meany" und "Hotel New Hampshire". Für sein Drehbuch zur Verfilmung seines Romans "Gottes Werk und Teufels Beitrag" erhielt der von den Gesellschaftspanoramen Thomas Hardys und Charles Dickens' beeinflusste Autor einen Oscar.