Väter im Roman Lächerliche Figur, Herrscher über den Sohn

Der schwierigste Vater ist immer der eigene: John Burnside kämpft gegen einen saufenden Familientyrannen. Thomas Harlan sucht einen Weg, von seiner Beziehung zum "Jud Süß"-Regisseur zu erzählen. Wolf Wondratschek wechselt die Perspektive. Sein Held Chuck hat jetzt einen Sohn.
Romanthema Vaterbeziehung: "Riese meiner Kindheit"

Romanthema Vaterbeziehung: "Riese meiner Kindheit"

Foto: Frank Leonhardt/ dpa

Am Sterbebett des Vaters: Thomas Harlans "Veit"

Wie geht man damit um, der Sohn eines solchen Vaters zu sein? Der Sohn Veit Harlans, dessen Film "Jud Süß" per Befehl Heinrich Himmlers sämtlichen SS-Leuten im Reich gezeigt werden sollte, ein Film "wie ein Mordwaffe" - so hat es Thomas Harlan einmal ausgedrückt.

Mit ihm wird der Leser in diesem autobiografisch gefärbten Buch Zeuge einer höchst intimen Situation: Im April 1964 liegt der einstmals berühmte Regisseur auf Capri im Sterbebett, von Hustenanfällen erschüttert, von katholischen Krankenschwestern umsorgt. Seine Frau, die Vorzeigeschauspielerin des "Dritten Reichs", Kristina Söderbaum, probiert vor dem Spiegel schon mal die Witwentracht, die sie sich vom Quelle-Versand aus Deutschland hat schicken lassen.

Thomas Harlan  schildert die Halluzinationen seines Vaters in aller Zurückhaltung - was sie nicht minder eindrücklich macht: ein schwarzer Schwan, der Rand des Totenreiches. Schließlich meint Veit Harlan, die eigene, längst verstorbene Mutter stünde an seinem Bett. Die Szene wirkt wie eine Erscheinung in der Erscheinung: Thomas Harlan war selbst schwer krank, zum Schreiben nicht mehr fähig, als er "Veit" in seinen letzten Lebensmonaten in einer bayerischen Lungenklinik diktierte, und sich damit den toten Vater am eigenen Krankenlager noch einmal vor Augen rief.

Waren Thomas Harlans vorige Romane "Rosa" und "Heldenfriedhof", der Erzählband "Ys", geprägt von der literarischen Avantgarde des 20. Jahrhunderts, wie auch von der detaillierten Recherche der Verbrechen in den deutschen Vernichtungslagern, so ist die Erzählstruktur von "Veit" deutlich einfacher; sein Stoff eine letzte, kondensierte Variation der lebenslangen Auseinandersetzung mit dem Vater, die er in Filmen, Büchern, Theaterstücken und Interviews betrieben hat.

Es scheint für Thomas Harlan dabei fast unmöglich, die verachtenswerte, gehasste öffentliche Figur Veit Harlan zu trennen von jener Privatperson, die er geliebt und bewundert hat: "dem Riesen, der Eiche seiner Kindheit". Die klassischen Mittel der literarischen Auseinandersetzung mit dem Vater, die Abrechnung, der Vorwurf, aber auch Nostalgie und Liebeserklärung sind für ihn dabei untauglich.

Tastend bewegt sich Thomas Harlan in "Veit" durch die Geschichte der eigenen Familie, wie durch die des 20. Jahrhunderts. Er ist auf der Suche nach seinem Vater - wie auch nach einem eigenem Weg, von ihm zu erzählen. Sein Buch zeigt, dass er diesen Weg gefunden hat. Sebastian Hammelehle

Britischer Proll als Familientyrann: John Burnsides "Lügen über meinen Vater"

Zuerst begegnet man in diesem Buch einer starken Figur: dem Ich-Erzähler, der Gestalt annimmt allein durch die Art seines Erzählens. Vertrauenerweckend souverän findet er die Wörter, fügt sie sicher wie ein Maurer die Ziegel aneinander. Bedrückend und befreiend zugleich erzählt er von der verheerenden Kindheit in einer schottischen Arbeiterfamilie, von Enttäuschungen, Armut und Ohnmacht.

Dieser Erzähler schreibt lebensklug und mit jener bedächtigen Vorsicht, die aus dem Wissen um die Fragilität jedes Gefüges entsteht - sei es die Konstruktion eines Satzes oder das Konstrukt eines Lebens. Beides ist eins bei diesem Erzähler, und bald wird deutlich, dass diese Einheit, die er selber erschafft, sein einziger Halt ist über dem Abgrund seiner Herkunft, in dem der verabscheute Vater nach seinem Tod zerstörerisch sein Unwesen treibt. Mit ihm sucht er in diesem Buch die Konfrontation.

Doch der Vater ist auch dem Leser das, was er dem Sohn zeitlebens war: eine einzige Enttäuschung. Allenfalls die Karikatur eines britischen Prolls ist dieser alkoholkranke Mensch dem reifen Sohn als Familientyrann einfach nicht satisfikationsfähig. Natürlich weiß das auch der Erzähler, den man John Burnside nennen darf: Kaum verschlüsselt speist sich das Buch aus seiner Biografie.

Dass er wider alle vorgebliche Schicklichkeit des abgeklärten Erwachsenen auf seinem Sohnesrecht besteht, den schwachen Vater anzuklagen, verleiht diesem Buch seine ungeheure Fallhöhe. Um in der lächerlichen Figur die beherrschende Gestalt seines Lebens zu finden, muss Burnside in einem gleichsam regressiven Akt wieder die geduckte Haltung seiner Kindheit einnehmen, und aus diesem Hineinhocken in Ohnmacht und Erniedrigung entsteht mit den Worten des Erwachsenen große Literatur.

Penibel wie nur ein Kind sein kann, das sich ungerecht behandelt fühlt, listet Burnside das Versagen des Vaters auf: die Lügen und haltlosen Versprechen des Ernährers, der seinen Kindern eine rosige Zukunft ausmalte und seinen knappen Lohn als Handlanger auf dem Bau meistens verzechte. Der seiner Familie ein ärmliches Leben aufzwang und seine Frau zu nur mühsam kaschierten Bettelgängen trieb. Der im Suff Gewalt androhte, nüchtern Liebe entzog und verkatert Reue zeigte. Und ungerecht wie nur ein Sohn sein kann, der sich um seinen Vater betrogen fühlt, fokussiert Burnside all seinen gerechten Zorn auf den Erzeuger, in dem er sich wiedererkennt und dessen Schwächen, Abstürze und Suchtverhalten er als junger Mann kopiert.

Ja, auch Selbsthass, Verachtung, Vernachlässigung: Das ganze Programm einer aus den Fugen geratenen Familie hakt Burnside en passant ab, während er sein Leben rekonstruiert, doch was einem schlechteren Autor zu einer ungewollten Parodie auf Sozialklischees verrutscht wäre, gerät ihm zu einer dicht gefügten Selbstbehauptung, die Satz für Satz bis zum Ende gelangt. Zu verdanken ist das diesem erstaunlichen Erzähler, der vielleicht einzigen Fiktion in diesem Buch düsterer Wahrheiten. So ruhig, aufmerksam und bestimmt wünschen sich Jungs einen echten Vater. Hans-Jost Weyandt

Ringen mit dem verstockten Sohn: Wolf Wondratscheks "Geschenk"

Poesie wird Heilmittel, Donald Duck ein Held, und der Joint ist ein Freund: Wolf Wondratschek bleibt der Bohemien von nebenan. In seinem neuen Buch "Das Geschenk" lustwandelt er auf einem Memoiren-Pfad, gepflastert mit ziemlich abgetretenem Kopfsteinen. Es geht immerhin um die Lebensbilanz, ein erprobtes literarisches Genre.

Doch ganz so einfach will es sich der Autor nicht machen: Das neue Buch des 1943 in Thüringen geborenen und nun in Wien lebenden Schriftstellers Wondratschek belebt einen alten Helden und seine Erlebnisse neu, den er mit dem erfolgreichen Gedichtband "Chucks Zimmer" 1974 aus der Taufe hob. Als kaum jemand zeitgenössische Gedichte las, servierte Wolf Wondratschek mit dieser Lyrik, oft auch in knapper Liedform, einen Grund, sich die Welt mal wieder in Versen vorzustellen. Mit Prosabänden wie "Früher begann der Tag mit einer Schusswunde" hatte er 1969 Popliteratur definiert, noch bevor jemand den Begriff kannte. Heute begibt er sich, fast 30 Jahre später, mit seinem Protagonisten und Alter Ego Chuck auf Spurensuche eines fiktiven Daseins und quetscht ihn aus: Wie wird man anständig alt?

Die Enttäuschung beim Lesen stellt sich schnell ein: ein ganz und gar unoriginelles Thema, dann auch noch überraschend wehleidig ausgebreitet. Dem versierten Schreiber Wondratschek fehlen auch 2011 durchaus keine Worte, doch seine redselige Nabelschau aus dem Munde Chucks in Sachen Beziehungen, Kindererziehung, Liebes- und Drogen-Reue tönt sehr allerweltsklug und von Selbstmitleid durchtränkt.

Die Pose sitzt: Einer kämpft sich durch sein Künstlerleben, und er kokettiert heftig mit dem in melancholischen Farben ausgepinselten Scheitern. Altern als Thema ist offenbar für Belletristiker wie eine literarische Krankheit: Irgendwann erwischt sie jeden, natürlich auch en detail. Chucks Probleme beim Urinieren und sein Ringen mit dem verstockten Sohn, der die geschenkte Gitarre verschmäht - wer das wirklich wissen will, wird gut bedient.

Dass Wondratschek bei einer bedeutungsschwanger dargebotenen Grateful-Dead-Sequenz dann die Instrumente von Bob Weir und Phil Lesh verwechselt, mag verzeihbar sein. Dass er praktisch keine Standardsituation des Dichterlebens auslässt, schon weniger. Vieles meint man, schon woanders gelesen zu haben. So schmerzt es, dass diese ehrlich gemeinten und ungeschönten Geschichten um den alten Chuck so dumpf tönen. Oder unfreundlich gesagt: langweilig.

Auf Wondratschek trifft das Reich-Ranicki-Zitat über Elias Canetti gleichfalls zu: Man muss sich schon sehr für die Person des Autors interessieren, damit man das "Geschenk" als ein solches für den Leser goutieren kann. Es ist nicht das schlechteste Kompliment, das man einem gealterten Literaten überreichen kann. Aber in diesem Fall auch das einzige. Werner Theurich

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