Verstehen Sie Haas? Die Schrankwand der Postmoderne

So sieht die Zukunft aus: Massive Sesshaftigkeit statt flottierender Zeichen
Foto: Bernd Settnik/ picture-alliance/ dpa/dpawebGerade sind die neuen Blockbuster des Bücherherbstes auf meinem Schreibtisch gelandet. Betonung auf Block. Roberto Bolaños Roman "2666": 1094 Seiten. Andre Dubus' "Der Garten der letzten Tage": 600 Seiten. David Foster Wallaces Hauptwerk "Unendlicher Spaß": 1648 Seiten. Bücher so groß wie Schuhkartons und schwer wie Backsteine.
Sieht man sich die Frequenz der Besprechungen an - "Unendlicher Spaß" kommt nach rund drei Wochen bereits auf 19 Rezensionen -, wird klar: Das sind die Bestseller der Saison. Fragt sich nur: Wer soll die Schinken lesen? Wer kann sich durch Hunderte Seiten postmoderner, aus zahllosen Storyfragmenten zusammengesetzter Prosa wühlen?
Die Antwortet lautet: niemand. Diese Bücher werden, von den Kritikern mal ausgenommen, kaum gelesen. Sie sind ein Event, das man mitmacht, ein Phänomen, zu dessen Wirkung man selber beitragen kann.
Schwerwiegender Trend
Aber das reicht nicht aus. Es muss noch mehr dran sein an der Begeisterung für diese Buchbrocken. Schon bei Thomas Pynchons "Gegen den Tag" (1760 Seiten) und Jonathan Littells "Wohlgesinnten" (1392 Seiten) war das so: Alle kauften die Wälzer, als seien es Lesehäppchen aus der "Für Sie", und machten die Texte zu Ereignissen des Kulturbetriebs.
Man muss einfach hingucken, dann begreift man's. Die Bücher sind dick, sie sind schwer, man kann sie nirgendwo mit hinnehmen, es sei denn, man beschäftigt einen Lakaien für das Gepäck. Damit widersprechen sie einem allgemeinen Trend: Alles wird kleiner, leichter, beweglicher.
Ob Handy, Fernseher oder Computer: die Hersteller überbieten sich mit Schlankheitsversprechen. Die Dinge schrumpfen, heute passt eine Plattensammlung auf einen USB-Stick. Bald werden die Dinge so klein sein, dass man sie nicht mehr sieht. "Irgendwo hab ich 8000 CDs rumliegen lassen. Schatz, hilfst du mal suchen?" Das Ziel ist die Vernichtung der dritten Dimension.
Dem stemmen sich die Buchmonster entgegen: Literatur muss im Weg sein - diese Wahrheit übersetzen sie in tausend Seiten starke Sperrigkeit. Sie sind Ausdruck einer Allergie gegen das Digitale. Sie verkörpern eine Kampfansage an die flexible, flüchtige Gegenwart, sie rufen: Nieder mit der Häppchenkultur! Weg mit der Twitter-Prosa! Vergesst E-Mail und SMS!
Ich habe die Zeichen der Zeit schon früh erkannt und den Leuten von Samsonite eine David-Foster-Wallace-Collection vorgeschlagen. Ins Bordgepäck kann man den Brocken ja nicht packen, man muss das Buch extra einchecken. Bei Ikea sollte es eine Schrankwand geben, Modell "Bolaño", mit bruchfesten Regalböden.
In die Röhre schauen
Überhaupt müsste die Schrankwand an breiter Front zurückkehren, das ist ganz wörtlich gemeint. Die Schrankwand wäre das Monument einer neuen Solidität und Statik, mit der wir Kulturkämpfer der rasenden Flexibilisierung den Kampf ansagen. In der Schrankwand stünde ein riesiger Röhrenfernseher, der schon bei der Erwähnung des Wortes Schnittstelle den Geist aufgibt. Und natürlich der Littell, der Bolaño, der Pynchon.
Da würden sich viele Probleme von selber lösen. Umziehen, sich trennen, einen Job in Übersee annehmen? Nicht, wenn man dafür ein Objekt zerlegen muss, für das ein mittlerer Regenwald dran glauben musste und das so komplex ist wie ein Roman von David Foster Wallace.
Da haben wir's: Der Superwälzer ist die Schrankwand der Postmoderne. Was für ein Slogan. Und nur 42 Zeichen lang. Perfekt für einen Eintrag bei Twitter. Wie gut, dass ich meinen Blackberry schon Anfang der Woche weggeworfen habe.