Vorgelesen Die wichtigsten Bücher der Woche
Thilo Bock: "Die geladene Knarre von Andreas Baader"
(Kiepenheuer & Witsch Paperback, 448 Seiten, 9,95 Euro)
Linker Terrorismus in Deutschland im Jahr 2005? So richtig mit Mord und Manifest und Weltveränderungs-Impetus? Wie kann denn das sein? Die RAF ist doch längst Geschichte und die heutige Jugend bekanntlich völlig apolitisch. Und doch kommt Thilo Bocks über 400 Seiten starker Debütroman "Die geladene Knarre von Andreas Baader" zunächst wie ein politischer Agitationsroman mit einem Schuss Protest-Romantik daher: Drei Berliner Studenten beschließen kurz vor den vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder erzwungenen Neuwahlen, "etwas zu tun". Sie wollen jemanden erschießen, einen Politiker, egal welchen, denn schließlich "sind die ja alle Verbrecher".
Doch je länger man Sebastian, Rieke und Leander durch ihren Semesterferien-Alltag folgt, der vor allem aus "sich in den Park hängen", Saufen, Sex und Schwadronieren besteht, desto klarer wird, dass der ganze Plan geradezu lächerlich undurchdacht ist. Denn eigentlich haben alle drei ganz andere Dinge im Kopf, und für Politik interessieren sie sich nur, weil es sich so gehört, wenn man jung ist und in Berlin studiert. Ist also das ganze Komplott eine Nullnummer? Ja, aber mit katastrophalem Ausgang.
Das Buch ist ein ambivalentes Porträt der Generation der "Nullfünfer", einer Generation, die das schale Gefühl nicht los wird, in einer Welt zu leben, in der alles schon mal dagewesen ist, in der alles relativ und nichts wirklich schlimm ist. Es zeigt Twentysomethings, die von den Eltern gesponsert ein angenehmes Leben führen, aus Bequemlichkeit politisch korrekt sind und mit angelesenen Halbwahrheiten um sich werfen. Utopien sind für diese gelangweilten Großstadtkinder ebenso weit weg wie wirkliche Sorgen.
Doch wäre es zu einfach, diese Figuren und damit das ganze Buch als dämlich abzuqualifizieren. Denn dieser "Historische Gegenwartsroman" verrät sein Personal in keiner Zeile. So gnadenlos oberflächlich es auf der einen Seite ist, so sympathisch ist es in seiner naiven Direktheit auf der anderen.
Der 1973 geborene Thilo Bock hat dieser Dünnbrettbohrer-Jugend Lebensgefühl und Sprache ("Ach Menno!") abgelauscht und zu einem schier endlos mäandernden Gedanken- und Sprachstrom verdichtet. Die dekadente Selbsterkenntnis des Erzählers trifft genau ins Schwarze: "Wir sind schön und klug und verdammt faul, aber weil wir das erkannt haben, lässt sich das einigermaßen ertragen." Jenny Hoch
Claudia Sewig: "Bernhard Grzimek. Der Mann, der die Tiere liebte"
(Gustav Lübbe Verlag, 447 Seiten, 24,95 Euro)
Als das Fernsehen noch Puschenkino hieß, zählte er zu dessen Stars: Bernhard Grzimek (1909-1987) wusste vom Kuschelfaktor junger Orang-Utans und anderer tierischer Studiogäste zu profitieren, aber die Betulichkeit, mit der er viele Jahre lang seine Sendung "Ein Platz für Tiere" moderierte, täuscht bis heute. Grzimek war ein umtriebiger, karrierebewußter Mann, ein Frauenheld mit einem Hang zu simplen Scherzartikeln. Er war der erste deutsche Oscar-Preisträger nach dem Weltkrieg, doch bei den Dreharbeiten zum prämierten Dokumentarfilm "Serengeti darf nicht sterben" (1959) war sein Sohn Michael ums Leben gekommen.
Dass Grzimek sich nach 1945 seiner NSDAP-Mitgliedschaft nicht entsinnen konnte, verbindet ihn mit den Gedächtnisstörungen anderer Prominenter unserer Tage. Mag sein, dass dies für den aufstrebenden jungen Veterinär damals zu der verhassten und später verdrängten "Vereinsmeierei" gehört hatte, mit der man leben musste, wenn man vom "Reichsnährstand" mit der Standardisierung von Eiern beauftragt war.
Claudia Sewig beschreibt die Licht- und Schattenseiten des Mannes, "der die Tiere liebte", auf höchst anschauliche Weise. Ihre Biographie würdigt die imponierende Lebensleistung des Tierfilmers und langjährigen Frankfurter Zoodirektors, der als Herausgeber von "Grzimeks Tierleben" wie selbstverständlich an "Brehms Tierleben", das große zoologische Hausbuch des 19. Jahrhunderts anschloss. Sie zeigt allerdings auch den Preis, den Grzimek und seine Angehörigen dafür zahlten. Am Ende starb Grzimek, der Tiere und sich selbst so gut ins Licht zu setzen wusste, sehr einsam - während einer Zirkusvorstellung. Begraben wurde er in Afrika neben dem Sohn, den er sich als Nachfolger gewünscht hatte. Ulrich Baron
Nigel McCrery: "Kaltes Gift"
(Aus dem Englischen von Ilse Bezzenberger. Droemer, 381 Seiten, 16,95 Euro)
Nein, einen Tee aus Christrose wird Violet so schnell nicht noch einmal verwenden. Zu widerlich sind die Symptome gewesen, bis die alte Daisy endlich an deren Gift gestorben war. Doch im Garten wächst ja noch vieles, was - in Tees oder Keksen verabreicht - fatale Wirkung entfaltet. Dann heißt es aufräumen, abrechnen und weiterziehen, weil Daisy nicht die einzige einsame alte Dame in England ist.
Aber diesmal kommt es anders. Ein tödlicher Verkehrsunfall hat der Polizei neben der Leiche des Fahrers auch noch eine andere beschert. Die hat schon länger im Waldboden gelegen, kann aber identifiziert werden. Violet Chambers war ihr Name, doch erstaunlicherweise scheint diese Violet noch immer geschäftsfähig zu sein, zahlt Steuern und kassiert Miete für ihr Haus, das sie vor Monaten mit unbekanntem Ziel verlassen hat. Und Violet war offenbar nicht die einzige mit diesem Ziel...
Nicht von ungefähr zitiert der 1953 geborene Ex-Polizist und Drehbuchautor Nigel McCrery den Klassiker "Arsen und Spitzenhäubchen", denn auch in "Kaltes Gift" geht es um gnadenlose alte Frauen. Diese schwarze Parodie der englischen Tee-und-Kekse-Gemütlichkeit präsentiert im Mutterland der Gartenkultur eine chamäleonhafte Mörderin mit grünem Daumen. Man ist entzückt, wird sich den nächsten Kaffee aber lieber selbst zubereiten.
Gleich zu Beginn zeigt der Autor, was für ein schmutziges Geschäft ein Mord ist, um die Spannung dann auf subtilere Weise zu steigern. Dabei gewinnt "Kaltes Gift" klassisches Format, beschwört den Fluch der bösen Tat, die fortzeugend Böses muss gebären. Auf rein biologischer Basis versteht sich - dank Christrose, Poleiminze und Rittersporn und all der anderen grünen Killer, die geduldig vor der Haustür lauern. Ulrich Baron