Vorgelesen Die wichtigsten Bücher der Woche
Jocho Yamamoto: "Hagakure"
(Zusammengestellt von Tsuramoto Tashiro. Aus dem Japanischen übersetzt und kommentiert von Max Seinsch. Reclam Verlag, 312 Seiten, 19,90 Euro)
"Mir ist klar geworden, dass der bushido, der Weg des Kriegers, seine Erfüllung im Sterben findet." Dieser Satz des Samurai Jocho Yamamoto (1659-1719) passt zum Bild, das man sich von Japans Kriegern, den "bushi", macht. Jochos vielzitierter Satz betont aber nicht nur "shinigurui", Todesentschlossenheit, ja "Todeswahn", sondern unterstreicht auch, dass dieser Weg ein gesamtes Leben umspannt.

"Erfüllung im Sterben" - das Ziel unsterblicher Helden (Szene aus Kurosawas "Sieben Samurai")
Foto: CinetextNicht Todes- oder Lebensphilosophie propagiere dieses Werk, schreibt der Herausgeber Max Seinsch, "sondern ein 'Rezept zum geschickten (Über)-Leben' in einer von Kriegeridealen beherrschten Gesellschaft von Bürokraten".
Der Weg des Kriegers Jocho umfasste weit mehr als Schwertstreiche, für die die eher friedliche Edo-Zeit (1603-1868) ohnehin nicht mehr die gloriosesten Gelegenheiten bot. So musste er jahrelang für seinen geliebten Fürsten Mitsushige nach einem geheim überlieferten Kommentar der klassischen Gedichtesammlung "Kokin wakashu" suchen.
Die letzte Lieferung konnte er dem erfreuten Fürsten auf dessen Totenbett überreichen. Das markierte den Gipfel-, aber auch den Endpunkt in der Karriere dieses treuen Samurai. Doch statt seinem toten Herrn durch rituellen Selbstmord zu folgen, wählte Jocho einen Tod im Leben, wurde Mönch und zog in eine Einsiedlerklause am Fuße des Berges Kinryu.
Da hatte er Zeit zum Nachdenken - und dazu, seine Gedanken weiterzugeben. Entstanden ist so ein kulturhistorisches Dokument von hoher Brisanz, zu dessen Kommentatoren auch der Schriftsteller und politische Fanatiker Mishima Yukio (1925-1970) zählte.
Jocho selbst aber scheint an der Wirkungsmacht seiner Worte gezweifelt zu haben. Hätte der alte Haudegen sonst bis "in die Tiefen meines Herzens die Entschlossenheit eingraviert, bis zu sieben Mal als Nabeshima-Samurai wiedergeboren zu werden und dem Land Frieden zu bringen"? Ulrich Baron
Nick Brownlee: "Mord in Mombasa"
(Thriller. Aus dem Englischen von Wiebke Kuhn. Knaur Taschenbuch, 397 Seiten, 8,95 Euro)
"Seit den Wahlen Ende 2007 und dem anschließenden Beinahe-Bürgerkrieg waren Ernies in diesem Teil Kenias selten geworden", denkt Jake Moore. "Zu viele Morde."
Ernies sind die zahlenden Nachfolger eines Ernest Hemingway, die der britische Ex-Polizist auf seinem Zehnmeterboot "Yellowfin" zum Hochseefischen vor Mombasa fährt. Ernies wollen angeln und/oder viel Bier trinken, aber nicht als Fischfutter enden. Doch da sind die Grenzen fließend geworden.
Gerade ist das Boot eines Kollegen explodiert, und zwei verstümmelte Leichen sind an Land gespült worden. Ein Unfall, hat die Polizei aus Malindi festgestellt. Detective Inspector Daniel Jouma aus Mombasa ist da nicht so sicher. Das wird ihm beinahe zum Verhängnis. Aber Jouma, der mit Anzug und Burberrys wie ein gepflegtes kenianisches Gegenstück zum schlampigen Inspektor Columbo daherkommt, scheint einen Schutzengel zu haben.
Den braucht er auch, am besten gleich einem ganzen Schwarm, denn im Ermittler-Duo mit Moore kommt er einem Virtuosen des Mordens in die Quere, für den auch Mombasas Unterweltbosse und deren Killer nur kleine Fische sind.
Die in den Krimiprogrammen mächtig anschwellende Afrikawelle bringt hier einen klassischen Thriller mit sich, der seinem Originaltitel "Bait" (Köder) alle Ehre macht: spannend, exotisch und mit einer Prise Humor. Ulrich Baron
Steven Millhauser: "Ein Protest gegen die Sonne"
(Short Storys. Aus dem Amerikanischen von Eike Schönfeld. Berlin Verlag, 320 Seiten, 22 Euro)
Der Roman sei der Unglaubliche Hulk, der "Jumbo Jet" der Literatur, hat Steven Millhauser in einem Essay geschrieben. Die Short Story gieße nur die Geranien auf dem Fensterbrett. Aber je knapper und konzentrierter, desto mächtiger sei sie auch. Ja, die Short Story wolle sich solange reduzieren, bis sie nur noch eine magische Silbe sei, die den gesamten Kosmos entflammen könne.
Millhausers neue Kurzgeschichten-Sammlung umfasst mehr als ein paar Silben, aber Reduktion und Verdichtung sind hier sowohl Stilmittel als auch Gegenstand. Da gibt es den Spielzeugmacher, der für einen König Miniaturwelten erschafft, die immer kleiner werden, bis sie nur noch mit der Lupe, am Ende gar nicht mehr sichtbar sind.
Es gibt den Modemacher, dessen Kreationen den weiblichen Körper erst ins Phantastische vergrößern, um ihn dann ganz überflüssig zu machen. In einer Story wird die Topografie eines Museums entworfen, in dem es vor Kuriositäten nur so wimmelt und in dem gerade Alltagsgegenstände mit magischer Fremdheit erscheinen.
Vor allem die Sprache hat es dem Pulitzer-Preisträger und Literaturdozenten Millhauser angetan. Die rätselhaften Geschichten kreisen immer wieder um die Grenzen des Sagbaren, wie Begriffe und Zeichensysteme sich auflösen, wenn der Körper die Regie übernimmt. Oder der Wahnsinn alle Abstraktionen zersetzt.
In der Geschichte "Gefährliches Lachen", einem der Glanzstücke der Sammlung, bilden gelangweilte Teenager so genannte Lachclubs, wo man sich durchkitzelt und anderweitig stimuliert, um eine Kultur des Lachens zu erschaffen. Star dieses Clubs ist die blasse, gehemmte Clara, die in einer Orgie des Gelächters ihr Leben lässt. Mit schrecklicherer Ambivalenz hätten auch Kafka oder Borges die Wonnen des Ich-Verlusts nicht schildern können.
Mag der Roman der Hulk sein, diese Stories sind Gremlins, kleine fiese Geschöpfe, die unsere Phantasie mit schrecklicher Raffinesse bevölkern. Daniel Haas