Vorgelesen Die wichtigsten Bücher der Woche
"Die Kunst, Chanel zu sein" Aufgezeichnet von Paul Morand
(Aus dem Französischen von Annette Lallemand. SchirmerGraf Verlag, 260 Seiten, 19,80 Euro)
Weltberühmt und kaum gekannt: Die 1883 geborene Modeschöpferin Coco Chanel revolutionierte schon im Ersten Weltkrieg die Frauenmode der Belle Epoque (mit Jersey, Tweed, korsettfreien Kleidern, "Sweatern", dem "kleinen Schwarzen") und stieg in den zwanziger Jahren zur Weltmarke auf.

Der Stoff, aus dem Mythen sind: Audrey Tautou als Coco Chanel im Film
Foto: Warner Bros.1946 traf die 63-Jährige im Schweizer Exil den gleichfalls exilierten Schriftsteller Paul Morand und erzählte ihm ihre märchenhafte Lebensgeschichte. Beide hatten sich kompromittiert: Morand als hoher Diplomat des Vichy-Regimes, Chanel, weil sie bei den deutschen Besatzern Sonderstatus genoss und ihrem Geliebten, einem deutschen Attaché, bei Kriegsende in die Schweiz gefolgt war. Beide kehrten später nach Frankreich zurück: Morand wurde Mitglied der Académie Française, Chanel erfand das legendäre "Chanelkostüm" und blieb als Haute-Couturière in Paris tätig, bis sie 1971 starb.
Morand wartete mit der Veröffentlichung der "Beichte" bis 1976. Sie ist voller Anekdoten, Mythen, witziger Maximen und ätzendem Tratsch. In der Mode war Chanel visionär; in ihren Ansichten zeitgebunden. Aber - einem ähnlich epochemachenden "Herrn Chanel" hätte man den Genie-Status längst dauerhaft zuerkannt; Mademoiselle Chanel (sie hat nie geheiratet) muss alle paar Jahre neu entdeckt werden (wie auch ihre immer wieder neuaufgelegte Lebensbeichte).
Wer sich jetzt auf eine besonders interessante Chanel-Renaissance einstimmen möchte - am 13. August startet die deutsche Fassung des schönen Films "Coco Chanel - der Beginn einer Leidenschaft" mit Audrey Tautou als hinreißend widerborstiger Coco -, dem könnte dieses Buch mit den prächtigen Schwarzweißfotos, der Zeittafel und den weiterführenden Anmerkungen gefallen. Sibylle Mulot
Knut Hamsun: "Pan"
(Aus dem Norwegischen übersetzt von Ingeborg und Aldo Keel. Manesse, 251 Seiten, 17,90 Euro)
Wäre da nicht Shakespeares "A Midsummer Night's Dream", so könnte man meinen, der norwegische Literaturnobelpreisträger Knut Hamsun (1859-1952) habe die Mittsommernacht erfunden. Leutnant Glahn, Held und Ich-Erzähler dieses Romans, hat sich als Jäger in die Wälder des hohen Nordens zurückgezogen. Haust mit dem Hund Äsop in einer Hütte, durchstreift endlose Tage und lichte Nächte, provoziert Frauen wie Männer mit seinem "Tierblick". Glahns weiblicher Widerpart ist Edvarda, die Tochter des Fjordbarons Mack, die in diesem Mittsommernachtsdrama als Fräulein, Femme fatale und Furie auftritt.
Hamsun schreibt wie ein junger Gott, launenhaft, unberechenbar: bald naturpoetisch säuselnd, bald erotisch aufflammend, bald rabiat gebrochen.
1894 veröffentlicht, zählt der Roman zu den literarischen Höhepunkten einer Ära, in der Nietzsche den Tod Gottes ausrief. Während das Christentum kaum noch ein Salongespräch abgibt, feiert der Held von Hamsuns Roman ein neues Heidentum. Das wird vom antiken Wald- und Hirtengott Pan regiert, dem bocksfüßigen Herrn der lüsternen Satyrn und Nymphen, der damals die Phantasien vieler Künstler entfachte.
Ein guter Regent war der große Pan nicht. Am Ende berichtet ein Zeuge vom erbärmlichen Ende Glahns durch einen inszenierten "Jagdunfall". Dass der gefeierte Autor Hamsun später gesellschaftlichen Selbstmord beging, indem er die Nazis hofierte, erscheint vor dem Hintergrund dieses Ausgangs als böse Schicksalsironie. Ulrich Baron
Peter Robinson: "Im Sommer des Todes"
(Kriminalroman. Aus dem Englischen von Andrea Fischer. Ullstein, 456 Seiten, 19,90 Euro)
Der Mord an einem Musikjournalisten scheint mit einem Verbrechen aus dem Jahre 1969 verknüpft zu sein. Nach einem Open-Air-Konzert in Yorkshire war damals die Leiche eines jungen Mädchens entdeckt worden; der Fall galt seit langem als gelöst. Aber nun planen die "Mad Hatters", die in der Mordnacht gespielt hatten, eine Revival-Tour, und so pendelt die Handlung zwischen Gegenwart und den wilden sechziger Jahren.
Solche Verschränkungen von Einst und Jetzt geben Peter Robinsons Inspector-Banks-Reihe einen besonderen Reiz. Aus der kriminalistischen Langzeitperspektive heraus beschreibt er den Wandel des ländlich-kleinstädtischen Yorkshire. Und damit den Verfall gesellschaftlicher Beziehungen in Großbritannien - von der Jugendrevolte der Sechziger bis zu den minderjährigen Müttern des neuen Jahrtausends.
So ist "Im Sommer des Todes" auch die Geschichte zweier besorgter Väter, die Polizisten sind. Während Banks sich damit abgefunden hat, dass sein Sohn als Rockmusiker arbeitet, hatte sein Vorgänger an diesem vertrackten Fall verzweifelt versucht, seine Tochter vor der neuen Zeit zu beschützen, die er als Bedrohung empfand. Und das mit allen Mitteln.
1950 in Yorkshire geboren, doch seit Jahrzehnten in Kanada lebend, kratzt Peter Robinson gehörig am Mythos jener Jahre, in denen er jung war und in denen auf den "Summer of Love" die Ritualmorde der Manson-Family folgten. Das aber tut er ganz ohne wehleidig-selbstgefälliges 68er-Bashing.
Und mörderisch spannend ist dieses Buch auch noch. Ulrich Baron