Vorgelesen Die wichtigsten Bücher der Woche

Mit Fangzähnen Blut saugen - wie soll das eigentlich gehen? Ein neuer Vampirroman gibt Aufschluss. Genauso spannend: ein irisches Familiendrama, in dem weibliche Schönheit zum Verhängnis wird - und eine prickelnde Geschichte des Champagners.
Von Ulrich Baron
Wie kriegt man eigentlich Blut durch die Zähne geschlürft? (Szene aus "30 Days of Night")

Wie kriegt man eigentlich Blut durch die Zähne geschlürft? (Szene aus "30 Days of Night")

Foto: Concorde

Guillermo del Toro und Chuck Hogan: "Die Saat"
(Aus dem Amerikanischen von Jürgen Bürger und Kathrin Bielfeldt. Heyne, 524 Seiten, 19,95 Euro)

Kurz nach der Landung von Flug 7-5-3 in New York bricht die Funkverbindung ab. An Bord gehen alle Lichter aus, es herrscht Totenstille. Das Rätsel dieser gespenstischen Ankunft weckt Erinnerungen an eine ähnliche Szene aus der Schauerliteratur des 19. Jahrhunderts. Damals war es ein Geisterschiff, das in einen englischen Hafen steuerte, der Titel des Buchs war "Dracula". Bram Stoker hat damit 1897 ein ganzes Genre geprägt.

Heute erfreut sich die bissige Brut des alten Blutsaugers größter Beliebtheit, aber einen würdigen Nachfolger sucht man vergeblich. Auch "Hellboy"-Regisseur Guillermo del Toro und Thriller-Autor Chuck Hogan setzen als Autorenteam von "Die Saat" eher auf filmische Effekte als auf psychologische Tiefe.

Origineller als in den meisten Vampirgeschichten aber ist ihre biologische Grundlagenarbeit, die ein wenig an "Alien" und an die alten "Körperfresser" erinnert. Denn zum Vampir wird man ja nicht geboren. Zum Vampir wird man gemacht.

Hatte man sich angesichts der klassischen Vampirzähne immer schon gefragt, wie man damit jemanden um sein Blut erleichtern sollte, ohne kostbaren Lebenssaft zu verschwenden und eine Riesensauerei anzurichten, so überzeugen del Toro und Hogan durch intelligentes Design, das eher an Blutegel als an Fleischfresser denken lässt. Daher gilt: Wer jetzt noch alte Vampirbeißer in der Schublade hat, sollte sie an Halloween lieber aufbrauchen. Im nächsten Jahr könnte man damit wohl nur noch für Haftpulver werben. Ulrich Baron

Sebastian Barry: "Ein verborgenes Leben"
(Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser. Steidl, 392 Seiten, 19,90 Euro)

Ein Pianino, ein Motorrad, ein Friedhof und ein Turm fallen der fast hundertjährigen Roseanne McNulty ein, wenn sie an ihre irische Kindheit zurückdenkt. Das Musikinstrument und das Motorrad standen im kleinen Haus ihrer Eltern, und auf dem Friedhof hob ihr Vater den Leuten von Sligo ihre Gräber aus. Der Turm aber war da, seit er vor Jahrhunderten von Mönchen und Maurern errichtet worden war. Doch haben sich die Geschichten, die Roseanne mit diesen Dingen verbindet, wirklich so zugetragen?

Eines Tages im Jahre 1922 hatte der Bürgerkrieg ihnen einen Toten ins Haus gebracht, den man nur im Geheimen bestatten konnte. Hatte damit das Unglück ihrer Familie begonnen? Insgeheim auch hat die alte Roseanne damit begonnen, ihre Jugend- und Lebenserinnerungen niederzuschreiben. Das Leben, vor allem aber ein selbstherrlicher katholischer Priester hat der einstigen Schönheit übel mitgespielt. Seit Jahrzehnten lebt sie in einer psychiatrischen Anstalt, die noch hinfälliger ist als sie selbst. Und selbst deren Leiter Dr. Greere weiß nicht, was seine geistig vollkommen klare Patientin dort hineingebracht hat.

In den Erinnerungen einer alten Frau und durch die Nachforschungen eines nicht mehr jungen Mannes wird hier ein Jahrhundert irischer Geschichte lebendig - und das Schicksal eines Mädchens, dem seine Schönheit zum Verhängnis wurde. Am Ende führt der 1955 in Dublin geborene Sebastian Barry seine beiden Erzählstränge über ein Jahrhundert irischer Einsamkeit hinweg auf verblüffende Weise zusammen. Ulrich Baron

Tilar J. Mazzeo: "Veuve Cliquot. Die Geschichte eines Champagner-Imperiums und der Frau, die es regierte"
(Aus dem Amerikanischen von Andreas Wirthensohn. Hoffmann und Campe 320 Seiten, 19,99 Euro)

"Wie lieb und luftig perlt die Blase/Der Witwe Klicko in dem Glase", reimte Wilhelm Busch, um der Kaufmannstochter aus dem französischen Reims dann nachzurufen "Gelobt seist du vieltausendmal!"

Barbe-Nicole Clicquot, geborene Ponsardin (1777-1866) hat dieses Lob verdient. Sie hat das 1772 von ihrem Schwiegervater begründete Champagnerhaus nach dem Tod ihres Mannes François im Jahre 1805 zu einem der führenden Unternehmen ihrer Zeit gemacht. Wie sonst nur noch der Mönch Dom Pérignon, um den sich der Schöpfungsmythos des Champagners rankt, hat die als Geschäftsfrau nüchtern kalkulierende Grande Dame dieses Luxusgut verkörpert.

Die amerikanische Kulturhistorikerin Tilar J. Mazzeo hat nach den Spuren der "ersten Großunternehmerin Europas" gesucht. Doch für Töchter aus gutem Hause war es nicht schicklich, Spuren zu hinterlassen. Mag sein, dass die kleine Barbe-Nicole einmal als Bauernmädchen verkleidet durch die vom revolutionären Mob erfüllten Gassen ihrer Heimatstadt geirrt ist. Mag sein, dass das eine Legende ist, doch sicher bleibt, dass ihre Karriere nicht vorgesehen war. Erst der Tod ihres Mannes bot die Chance, ihre Talente frei zu entfalten, ihre genialen Marketing- und Produktionskonzepte durchzusetzen.

Was bleibt, ist die Geschichte einer außergewöhnlichen Frau, die den Stil einer Epoche durch Esprit und Leidenschaft mitgeprägt hat: "Die Welt ist ständig in Bewegung und wir müssen die Dinge von morgen erfinden", schrieb sie ihrer Urenkelin Anne: "Lass Deine Intelligenz Dein Leben leiten. Handle verwegen." Ulrich Baron

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