Vorgelesen Die wichtigsten Bücher der Woche

Neubrandenburg in der Südsee? Gab's wirklich, lernt Ulrich Baron in einem schädelreichen Thriller. Außerdem: Eine Kulturgeschichte über Geizhälse, die zu Schnäppchen des Teufels werden und eine mit Aufputschmitteln vollgepumpte Ärztin, die ein bisschen zu neugierig ist.
Ab in die Südsee - Schädel einsammeln!

Ab in die Südsee - Schädel einsammeln!

Foto: Hulton Archive/ Getty Images

Jürgen Petschull: "Der letzte Tanz im Paradies"
(Osburg, 560 Seiten, 22,90 Euro)

Manche bevorzugen Reisen im Lehnstuhl, andere die vom Schreibtisch aus. Im 19. Jahrhundert lebte in Hamburg ein König der Südsee, der sein Reich nie betrat. Der Kaufmann Johan Cesar Godeffroy ließ auf seinen Frachtseglern Auswanderer nach Australien bringen und zeigte, wie man mit kleinteiliger Plantagenwirtschaft am Welthandel teilnehmen konnte. Zudem handelte er mit exotischen Naturalien und gründete ein Museum, dessen reich illustrierte Zeitschriften auch als Verkaufskataloge fungierten.

Leider zählten zu den Naturalien auch menschliche Überreste, und als eines Tages eine Sammlung neuer Schädel in Hamburg eintrifft, macht man eine peinliche Entdeckung: Ein Vorbesitzer hatte sich zu Lebzeiten in der Hansestadt zahnärztlich behandeln lassen; vor einem Jahr erst, als sich dort ein junger, später verschollener Naturforscher im Auftrag des Hauses Godeffroy auf den Weg ins vermeintliche Südseeparadies machen wollte. Nicht nur auf Köpfe sollte Jagd gemacht werden, sondern auch auf Diamanten. Und als Godeffroys Gegenstück residiert dort die Samoanerin "Queen Emma" als reichste Frau des Pazifiks.

Im Gewand eines historischen Thrillers erzählt Jürgen Petschull ein ebenso seltsames wie faszinierendes Kapitel der kurzen und nicht sehr ruhmreichen deutschen Kolonialgeschichte, als es in den Weiten der Südsee ein Neupommern und ein Neubrandenburg gab.

Volker Reinhardt: "Mein Geld! Meine Seele! Die größten Geizhälse und ihre Geschichten"
(Beck'sche Reihe, 224 Seiten, 12,95 Euro)

Vor einigen Jahren sollte die "Geiz ist geil"-Kampagne die Leute überzeugen, am liebsten die teuersten Sonderangebote zu kaufen, weil man dabei ja am meisten Geld sparte. Der Slogan schaffte es in den alltäglichen Sprachgebrauch. Früher aber galt Geiz als Todsünde. Prediger und Maler wurden nicht müde, Schreckensbilder vom Tod des Geizigen zu entwerfen: Seine Seele wird zum Schnäppchen des Teufels, während Verwandte und andere Neider schamlos die Geldtruhen des Sterbenden plündern.

Der Historiker Volker Reinhardt stellt einige beispielhafte Geizkragen vor. Etwa den Bankier, Kurz- und Eisenwarenhändler James "Jemmy" Woods aus Gloucester. Der brachte es mit Hinterzimmergeschäften zu einem sagenhaften Vermögen. Er inspirierte Charles Dickens zur Gestalt des Ebenezer Scrooge, der wiederum zum Vorbild der reichsten Ente der Welt wurde: Scrooge McDuck, den man in Deutschland als knauserigen Onkel Dagobert kennt. Jemmy umgab schon zu Lebzeiten ein so reicher Anekdotenkranz, dass er sich den Grabschmuck sparen konnte. Einem anderen wurden Geschäftsinn und Geiz zum Verhängnis: Am 18. September 1589 wurde der Tübinger Dr. Dietrich Flade zum Tode verurteilt, erwürgt und verbrannt; er hatte in Zeiten von Not und Teuerung Geld und Korn gescheffelt. Vor Gericht hatten Zeugen glaubhaft versichert, dass dabei der Teufel im Spiel gewesen sei. Dass sein Landesherr zugleich sein Hauptschuldner war, war erschwerend hinzugekommen.

Nicht nur wer ständig von Schuldenbremsen oder Steuererleichterungen spricht, findet hier eine Fülle von Anregungen und Warnungen. Zudem ist das Buch dank seines relativ günstigen Preises auch als Geschenk geeignet.

Michael Katz-Krefeld: "Die Anatomie des Todes"
(Aus dem Dänischen von Knut Krüger. Heyne Taschenbuch, 493 Seiten, 8,95 Euro)

Es gibt angenehmere Jobs als im Krankenhaus einer norwegischen Kleinstadt 24-Stunden-Schichten zu schieben. In einem Land, das im Winter nur aus sturmgepeitschter Westküste zu bestehen scheint, und wo wegen ein paar Schneeverwehungen nicht gleich der Notstadt ausgerufen wird.

Andererseits ist das eine ausgezeichnete Vorlage für einen Krimi, und die junge dänische Ärztin Maja Holm hat es ja nicht anders gewollt: Allein, chronisch übernächtigt und mit Aufputschmitteln vollgepumpt scheitert sie beim Versuch, einen Junkie wiederzubeleben. Den hatte angeblich eine Überdosis ins Koma befördert. Oder steckt etwas anderes hinter seinem Tod? Und warum wird Maja kurz darauf überfallen?

Der 1966 geborene Michael Katz-Krefeld entwickelte daraus einen atmosphärisch dichten Thriller, dessen Kulisse provinzielle Beschaulichkeit und Bedrohlichkeit verbindet. Wie ein Raumschiff überragt eine in Bau befindliche Ölplattform den Hafen, während die Bewohner des "Heringsviertels", wo Maja ein Zimmer gemietet hat, zu den Verlierern oder zu den "Fremdarbeitern" zählen. Hier wird ein Projekt betrieben, das für eine Kleinstadt ein paar Nummern zu groß und nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist. Und durch die Winternacht dröhnt der V-8-Motor eines schwarzen Vans, dessen Fahrer nichts von neugierigen Ärztinnen hält.

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