Vorgelesen Die wichtigsten Bücher der Woche

Moskitos? Schlangen? Sein Humor war giftiger: Mark Twain (1835 - 1910)
Foto: Ernest H. Mills/ Getty Images
Mark Twain: "Post aus Hawaii"
(Herausgegeben und übersetzt von Alexander Pechmann. Mareverlag, 368 Seiten, 24 Euro)
Gerade drei Jahre alt war sein Pseudonym Mark Twain, als Samuel Langhorne Clemens (1835-1910) im März 1866 begann, seine "Post aus Hawaii" für die Zeitung "Sacramento Daily Union" zu schreiben. Hatte er sich zuvor als Journalist quer durch Amerika bis an die Westküste durchgeschlagen, so perfektionierte er auf dem Sandwich-Inseln genannten Archipel eine ihm gemäße Existenzform: die des reisenden Schriftstellers, der später mit Büchern wie "Die Arglosen im Ausland" und "Bummel durch Europa" brillieren sollte.
Bei seiner Ankunft in Honolulu ist das noch Zukunftsmusik. Der König Kamehameha V. glänzt durch Abwesenheit, soll am Vortag jedoch auf einer "Tonne am Kai gesessen und geangelt haben". Die Insulaner aber, die kaum ein Jahrhundert zuvor den Kapitän Cook zuerst freundlich empfangen und später totgeschlagen haben, machen einen missionierten, manierlichen und sympathischen Eindruck.
Die einheimische Tierwelt - Moskitos, spucknapfgroße Spinnen und giftige Hundertfüßer - bedrängen den Gast; kaum weniger giftig ist allerdings der Humor, mit dem Mark Twain seine Reisebeobachtungen versetzt. Hier schreibt ein ausgekochter Geostratege und Geschäftsmann, der Hawaii mit seinen hohen Zollerträgen als natürliches Interessengebiet der USA versteht und darüber nachdenkt, wie San Francisco den weit erfolgreicheren Walfanghafen Honolulu ausbooten könnte. Ein köstliches, doppelbödiges Lesevergnügen. Ulrich Baron
Martin Cruz-Smith: "Die Goldene Meile"
(Aus dem Amerikanischen von Rainer Schmidt. C. Bertelsmann, 255 Seiten, 19,95 Euro)
Mit seinem neuen Arkadi-Renko-Krimi hat sich Martin Cruz-Smith beeilen müssen, weil in dieser Woche seine Deutschland-Tournee beginnt. So ist das Buch um ein Drittel kürzer ausgefallen als angekündigt. Aber gerade in der Verknappung zeigt sich Cruz-Smith als Meister der mörderisch spannenden Dramaturgie.
Im Zentrum des auf Englisch konsequenter "Three Stations" genannten Thrillers steht ein Verkehrsknotenpunkt aus drei Moskauer Bahnhöfen und einer Metro-Station. Hier überkreuzen sich Zug- und Schicksalslinien. Hier machen Banden obdachloser Kinder Jagd auf betrunkene Touristen und kommen dabei Drogenhändlern und Schlimmeren in die Quere. Hier sucht die aus einem Bordell geflohene Maja nach ihrem Baby, das jemand aus dem Zug zum Jaroslawler Bahnhof entführt hat.
Derweil steht der leitende Ermittler Arkadi Renko wieder kurz vor dem Rausschmiss, was ihn nicht daran hindert, sich überall einzumischen - in den Fall eines angeblichen Prostituiertenmordes ebenso wie in die Suche nach dem vermissten Säugling.
Moskauer Händler wundern sich über Ladendiebe mit Hang zu Babynahrung, und Renkos introvertierter Sohn Schenja entdeckt, dass es mehr auf der Welt gibt als Schach. Das drängt geradezu nach einer familiären Lösung, doch leider sind Maja zwei mörderische "Gärtner" auf den Fersen. Die ziehen eine blutige Schneise durch Moskau, die meilenweit und bis zu Renkos Datscha reicht.
Ulrich Baron
Carlos Ruiz Zafón: "Der Fürst des Nebels"
(Aus dem Spanischen von Lisa Grüneisen, Fischer, 270 Seiten, 16,95)
"Herr der Ringe", "Harry Potter", "Der goldene Kompass": In jedem guten Jugendbuch schlummert ein Schmöker für Erwachsene. Das gilt auch für "Der Fürst des Nebels", Zafóns Romandebüt.
Hierzulande kennt man den Spanier als Autoren süffiger Romanzen, seine Teen-Prosa ist stilistisch schlichter, der Plot aber hat's in sich. Eine englische Familie, die vor dem Zweiten Weltkrieg aus der Stadt an die Küste flieht, sich dort in einem malerischen Landhaus einrichtet, schnell aber schlimme Entdeckungen macht.
In der Nähe befindet sich ein magischer Skulpturengarten, die Figuren gehören zur Entourage des mysteriösen Mr. Cain, der Wünsche in Erfüllung gehen lässt, dafür aber einen schrecklichen Preis fordert.
Vor allem auf ein Kind hat er es abgesehen, und alle Vorsichtsmaßnahmen seiner Beschützer bewahren es nicht vor jener Schicksalsmechanik, durch die Verbrechen und Sühne ineinander greifen.
Anders gesagt: Man betrügt den Teufel nicht - und man kann auch den Zeitläuften nicht entkommen. Deshalb gibt es kein friedliches Landidyll für die Helden, sondern ein Drama, in dem sich Kids - der mit detektivischem Spürsinn begabte Max, die zartfühlende und dabei tigerhaft tapfere Alicia - buchstäblich der Geschichte stellen. Das heißt: die Vergangenheit begreifen und ihre Folgen anerkennen.
"Der Fürst des Nebels" ist ein milde gruseliges, aber messerscharf didaktisches Buch. Der moralische Zeigefinger ist hier gut verkleidet. Er erscheint als teuflische Klaue, an der man Mut und Klugheit schärfen kann - und das egal, wie alt man ist. Daniel Haas