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Weihnachts-Kinderbücher: Kollektiver Eltern-Alptraum

Foto: Nathalie Dargent/ arsEdition

Weihnachts-Kinderbücher Oh, diese Gans ist ja ein Truthahn!

Die Adventszeit ist Hochsaison für Buchverlage, die allerlei Werke mit dem Thema Weihnachten zum Vorlesen und Anschauen auf den Markt bringen. Leider soll manche Neuerscheinung offensichtlich mehr zum guten Geschäft beitragen als zur guten Literatur.

Am Freitag ist Nikolaus, und da drängt sehr die Frage, was man in diesem Jahr den kleinen Kindern in den Stiefel stecken könnte. Es soll ja nicht nur Schokolade sein, sondern gerne auch ein Buch, und am besten eines über Weihnachten, weil das gut in die Zeit passt. Dafür bieten sich dann Neuerscheinungen an, vor allem für entferntere Verwandte, die die vorhandene Bibliothek nicht kennen und daher nicht wissen, ob das Kind Klassiker wie "Die kleine Hexe feiert Weihnachten" von Lieve Baeten oder "Wo der Weihnachtsmann wohnt" von Mauri Kunnas (beide Oetinger Verlag) schon besitzt.

Der Verlag arsEdition hat in dieser Saison das lustige Bilderbuch "Wie sich die Weihnachtsgans vor dem Ofen rettete" auf den Markt gebracht. "Der Wolf, der Fuchs und das Wiesel wollen dieses Jahr ein großes Weihnachtsfestessen machen. Natürlich kümmert sich der Fuchs um den Braten. Er macht sich gleich auf den Weg, um die schönste Gans dafür zu klauen" - so beginnt die Geschichte.

Die Gans hat wenig Interesse daran, verspeist zu werden, und so kommt sie auf einen Trick, um ihr Leben zu retten: Sie macht sich unentbehrlich. Erst bläst sie den drei Fleischfressern den Marsch, weil es bei ihnen zu Hause so unordentlich ist; dann sorgt sie unter dem Vorwand, sie müsse gemästet werden, dafür, dass es immer etwas Leckeres zu essen gibt. Und schließlich freunden sich Wolf, Fuchs und Wiesel beim Mau-Mau-Spiel so mit der Gans an, dass sie Weihnachten lieber mit ihr zusammen feiern, als sie zu verschmausen.

Muss Kulturimperialismus an Weihnachten wirklich sein?

Sehr fröhlich und mitreißend gezeichnet ist das unterhaltsame Bilderbuch, und nach der Lektüre möchte man Weihnachten auch lieber ohne Gänsebraten verbringen. Nur: Wieso hat die Gans eigentlich so einen rosafarbenen Hals? Und wieso diesen rosafarbenen Kropf? Weil die Gans ein Truthahn ist. Autorin Nathalie Dargent und Illustratorin Magali Le Huche sind Französinnen, und in Frankreich isst man an Weihnachten nun mal Truthahn und nicht Gans. Und so hat arsEdition ein Buch über einen Truthahn auf den Markt gebracht und das Tier wohl aus marktstrategischen Gründen in Gans umbenannt und aus Sparsamkeitsgründen darauf verzichtet, den Truthahn in eine Gans umzeichnen zu lassen. So etwas nennt man eine Mogelpackung. Schade um die schöne Geschichte.

Mit einer flotten Übersetzung eines Buches zu Weihnachten noch ein hübsches Geschäft zu machen, scheint eine beliebte Verlagsstrategie zu sein. Dressler bringt "Ein klitzekleines Weihnachtswunder" des Briten Richard Curtis heraus. Erster Satz: "Es war Heiligabend, der Abend vor der Bescherung." Wie bitte? Das soll man nun allen Ernstes in Deutschland kleinen Kindern vorlesen, die der Bescherung am Heiligabend entgegenfiebern? Muss dieser Kulturimperialismus an Weihnachten wirklich sein?

Einen Sammelband mit 24 Vorlesegeschichten vom 1. bis zum 24. Dezember auf den Markt zu bringen, ist auch eine plausible Geschäftsidee. Zum Glück finden sich in "Die 24 schönsten Vorlesegeschichten zur Weihnachtszeit" wenigstens einige, die man gut und gerne unter dem Adjektiv "schön" verbuchen kann. E.T.A. Hoffmanns Klassiker "Nussknacker und Mausekönig" oder Kirsten Boies Geschichte "Jule ist verschwunden" über das Gewusel beim Museumsbasar, in dem das kleinste Familienmitglied plötzlich verschollen ist - wohl ein kollektiver Eltern-Alptraum. Leider können bei weitem nicht alle Geschichten dieses Niveau halten. Und das Buch ist so sparsam konzipiert, dass es nicht mal für eine Illustration auf jeder Seite gereicht hat. Sicher, Kinderbuchverlage machen nicht das große Geschäft, aber muss man deshalb Bücher so lieblos zusammenklatschen?

Was also soll man am Nikolaus denn in den Stiefel stecken? Vielleicht am besten doch die Klassiker. Oder das beste Weihnachtsliederbuch mit CD, das an dieser Stelle Jahr für Jahr gepriesen wird, bis ein noch besseres auf den Markt kommt: "Am Weihnachtsbaume" von Nils Kacirek und Franziska Biermann. Ein witzig gezeichnetes Bilderbuch, originelle, moderne Interpretationen von Weihnachtsliedern, was will man mehr?


Buchangaben:
Nathalie Dargent (Text)/Magali Le Huche (Illustrationen): Wie sich die Weihnachtsgans vor dem Ofen rettete. Aus dem Französischen von Kristin Iozzo. arsEdition, München; 32 Seiten; 12,95 Euro.

Richard Curtis (Text)/Rebecca Cobb (Illustrationen): Ein klitzekleines Weihnachtswunder. Aus dem Englischen von Sabine Ludwig. Dressler Verlag, Hamburg; 48 Seiten; 12,95 Euro.

Cornelia Funke/Paul Maar/Otfried Preußler u.v.a.: Die 24 schönsten Vorlesegeschichten zur Weihnachtszeit. Bilder: Renate Cossmann. Thienemann Verlag, Stuttgart; 212 Seiten; 14,95 Euro.

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