"Wein und Ocker" Lyriker Mario Luzi gestorben
Im Jahr 2000 war er noch nach Deutschland gereist, um einen seiner seltenen Auslandsauftritte zu absolvieren. Immerhin war er schon 86, eine Institution der italienischen Lyrik, ein Grandseigneur der Weltliteratur.
Damals, im Berliner Literaturhaus in der Fasanenstraße, hatte Mario Luzi aus "La Barca" (Die Barke) gelesen, jenem frühen Gedichtzyklus, mit dem der 1914 in Castello bei Florenz Geborene bereits 1935 seine berühmten Kollegen Montale, Quasimodo und Gadda begeistert hatte. "Das war in den Jahren, in denen die Dichter vor dem Faschismus die Flucht antraten, sich vom öffentlichen Leben abwandten und sich dem Geheimnis, der Innenschau und der Suche nach der Tiefe zuwandten. In dieser Art innerer Emigration schotteten wir uns gegen die verlogene Großmäuligkeit des Regimes ab", so Luzi im Interview.
Die Abkehr von einer korrupten Wirklichkeit und der artistische Stilwillen trugen dem ehemaligen Gymnasiallehrer und Hochschulprofessor für romanische Literaturen den Vergleich mit Frankreichs großem Symbolisten Stephane Mallarmé ein. Doch anders als der elitäre Poet, der die Lyrik als abstrakte, nur der Musikalität und der Form verpflichtete Gattung begriff, freute sich Luzi, dass er "zu einer Sprache gemeinsamer menschlicher Sensibilität gefunden habe".
Er fühle eine Verpflichtung zu persönlicher Verantwortung angesichts der "fragilita", der Zerbrechlichkeit allen Seins, erklärte Luzi 1989 der "Süddeutschen Zeitung". Liebe und Caritas wurden die Schlüsselbegriffe im Werk des Humanisten und Autors, dessen Lyrik spekulative Tiefe mit sinnlicher Anschaulichkeit verband. Dabei tauchen vor allem seine Liebe zu Florenz, zu Siena, zu den sanften Hügellandschaften der Toskana und der Umgebung des Monte Amiata immer wieder in seinen Versen auf - so vor allem in den teils wehmütigen, von lebensvoller Sprache geprägten Gedichten des Bandes "Wein und Ocker".
Wehmut war allerdings nicht die Tonart, auf die der Dichter gestimmt war. Noch im hohen Alter setzte er sich mit jungen italienischen Schlagersängern zusammen und diskutierte mit ihnen über indianische Mythen. Auch soll er die lateinamerikanischen Autoren und deren zupackenden Fortschrittsgeist geschätzt haben. Dichtung galt ihm bis zuletzt als "Hoffnung für den Menschen", die auch die "Epoche der Unsicherheit und des Terrorismus" zu überwinden vermag.
Während der insgesamt sechs Mal für den Nobelpreis nominierte Dichter in Frankreich höchstes Ansehen genoss, hielten sich deutsche Verleger lange zurück. Neben "Wein und Ocker" erschien erst 2001 der Band "Und ein Lächeln, das alles verwirrt - Ein Dichter in China". Das Buch schildert die weit reichenden Umwälzungen im größten Land Asiens auf dem Weg zu einem politischen Neuanfang.
Heute ist Mario Luzi im Alter von 90 Jahren in seiner Heimatstadt Florenz gestorben.