Zufallsbegegnung Sie ist ein Snob, er will ein neues Leben

Lawrence Osborne begann als Reisejournalist. Auch die Schauplätze seiner Romane beschreibt er genau, in "Welch schöne Tiere wir sind" ist es die griechische Insel Hydra. Dort lauern menschliche Abgründe.

"Die Schauplätze meiner Bücher sind alles andere als zufällig, sondern ein ganz entscheidender Teil meiner Arbeit" erläuterte der englische Schriftsteller Lawrence Osborne 2014 in einem Gespräch mit dem US-Journalisten Peter Gordon. "Und manchmal muss ich mich jahrelang an einem bestimmten Ort aufhalten, bis er mir seine Geheimnisse offenbart und ich anfangen kann, zu schreiben."

So hat der ruhelose Brite es im Fall seines 2017 auf Deutsch unter dem Titel "Denen man vergibt" erschienenen Romans "The Forgiven" gehalten, als er dessen marokkanische Schauplätze monatelang sondierte, um ein Gespür für das nordafrikanische Leben unter einer scheinbar alles versengenden Sonne zu bekommen. Und auch sein neues Meisterwerk "Welch schöne Tiere wir sind" besticht durch Intimkenntnisse, die Osborne sich während ausgiebiger Sondierungen auf der griechischen Insel Hydra, auf der das Buch spielt, angeeignet hat.

Lawrence Osborne

Lawrence Osborne

Foto: Chris Wise/ Piper

Nicht nur darin erinnert der 1958 geborene Brite, der in Cambridge und Harvard studierte und Reisereportagen für den "New Yorker" oder das "Wall Street Journal" schrieb, an den 1999 verstorbenen Amerikaner Paul Bowles. Jenen berühmten Reisenden, der ebenfalls jahrelang rastlos über die Kontinente zog, ehe er in den späten Dreißigerjahren in Tanger hängenblieb und Werke schrieb wie "Himmel über der Wüste" (1990 von Bernardo Bertolucci verfilmt).

Denn ebenso wie in Bowles' Romanen sind es auch bei Osborne von einer metaphysischen Unruhe getriebene Wesen, die ameisenhaft über die exotischen Schauplätze irren, um am Ende ihren nur schwer durchschaubaren Obsessionen und Delirien zu erliegen. Zudem regiert auch bei ihm ein oft unverhohlen zur Schau gestellter Snobismus, der seine Figuren - so, als entstammten sie einem Adelsgeschlecht - stets leicht geringschätzig auf ihre Umwelt blicken lässt.

"Meine Figuren haben etwas zutiefst Verzweifeltes, und mich interessiert, was sie daraus machen. In der Regel leider nichts Gutes", sagt Osborne mit Blick auf seine in der Regel von ihrem Dasein angeödeten Egozentriker. So handeln all seine Romane von der dunkle Seite im Menschen: Von seinen Abgründen, Obsessionen und der fatalen Neigung, seiner latenten Verzweiflung in jähen Gewaltausbrüchen Ausdruck zu verleihen.

"Die Süße eines notwendigen Verrats"

In "Denen man vergibt" war es ein Unfall, der eine Lawine der Gewalt und des Unheils lostrat und das britische Paar David und Jo unter sich begrub. In Osbornes neuem Meisterwerk "Welch schöne Tiere wir sind" ist es der Ennui der vom Luxus ihres Daseins als Tochter eines tumben britischen Jet-Setters angewiderten 24-jährigen Australierin Naomi Codrington, der unheilvolle Prozesse in Gang setzt. An deren Ende breitet die griechische Sonne ihre langen Schatten über die Leichname.

Dabei versteht es Osborne glänzend, ein Klima der Langweile und des gefahrvollen Überdrusses zu evozieren. Dessen Diktat gehorcht Naomi, die gemeinsam mit ihrer verhassten Stiefmutter Phaine und ihrem Vater Jimmie die Sommermonate auf Hydra zubringt, als sie einer Idee verfällt, die Gewalt und Tod freisetzen wird.

Um Kick und ein wenig Abwechslung in ihren von Sonnenbädern, gutem Essen und Zeittotschlagen bestimmten Rhythmus zu bringen, stiftet sie den obdachlosen Syrer Faoud an, den sie am Rand der Insel aufspürt, in die Villa ihres Vaters einzubrechen. "Es wäre die Süße eines notwendigen Verrats. Er könnte das Haus ausrauben, während sie schliefen", sagt sie einmal zu ihrer neuen amerikanischen Freundin Sam, die ihre Ferien ebenfalls mit ihren Eltern auf Hydra verbringt. Und Faoud, mit dem sie sich auf ein kurzes sexuelles Abenteuer einlässt, erklärt sie hinterher: "Es wäre klug von dir, darauf einzugehen, Faoud. Ich gebe dir ein neues Leben. So einfach ist das."

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Osborne, Lawrence

Welch schöne Tiere wir sind: Roman

Verlag: Piper
Seitenzahl: 336
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Preisabfragezeitpunkt

30.03.2023 06.40 Uhr

Keine Gewähr

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Und so folgenreich für den jungen Mann, der schließlich in Naomis Plan einwilligt, so dass Osbornes eben noch vom grellen Licht Hydras durchwirkter Roman jäh in eine faszinierend finstere Meditation über Verstrickung, Amoral, Schuld und ausbleibende Sühne umschlägt. Am Ende, das ist die beunruhigende Pointe dieses grandiosen existenzialistischen Romans, wird es wirken, als sei all das, was auf Hydra geschah, nicht mehr als ein schlechter Traum zur falschen Zeit gewesen. Vergessen und vorbei.

"All meine Romane sind auf ihre Weise Kriminalromane", sagte Osborne einmal. "Denn es geht in ihnen um Leute, die von einer sehr speziellen Art, die Welt zu sehen, geleitet werden." In seinem neuen Roman hat er ihr einmal mehr auf unvergessliche Weise Ausdruck verliehen.

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