Gang-Roman "Wonder Valley" Willkommen in der Hölle von L.A.

Mit "Wonder Valley" ist Ivy Pochoda der wohl beste L.A.-Roman der letzten 25 Jahre geglückt. Nun liegt das Buch der einstigen Profi-Squash-Spielerin über die Verdammten der Skid Row endlich auf Deutsch vor.
Obdachlose in Los Angeles

Obdachlose in Los Angeles

Foto: imago images/ UPI Photo

Jugendliche Gangs, die nach Touri-Opfern Ausschau halten. Mit Narben übersäte Obdachlose, die auf ihren bis aufs Blut verteidigten Pappdeckeln schlafen. Stinkende Müllhaufen, in denen Ratten hausen. Auf den Gehsteigen aufgeschlagene Zelte, in denen Dealer ihre Crackvorräte sichten - und über Donald Trumps Versprechen von einem besseren Amerika zahnlos grinsen: Das ist das Elendsquartier Skid Row - die Meile der Verlorenen in Los Angeles, auf der jene hausen, die den sogenannten amerikanischen Traum als irdisches Fegefeuer erleben, das sie langsam verbrennt. Von 34.000 Seelen, die dort ihren monströsen Überlebenskampf führen, ist inzwischen die Rede.

Von dort erreicht uns Ivy Pochodas Episodenroman "Wonder Valley" - ihre erste Veröffentlichung auf Deutsch, die kein Geringerer als der ungekrönte Krimi-König von Los Angeles, Michael Connelly, schon jetzt als einen "Klassiker der L.A.-Literatur" preist. Denn tatsächlich ist Ivy Pochoda schon heute das für die Skid Row, was Daniel Woodrell für die Ozarks ist. Oder Michael Farris Smith für das Mississippi-Delta: DIE literarische Stimme ihrer Region.

Blicklüstern hinter einem Jogger her

Nach einer mehr als ansehnlichen Karriere als Profi-Squash-Spielerin - die 1977 in Brooklyn Geborene schaffte es mit ihrem flinken Spiel bis unter die Top Ten der Welt - wandte sich Pochoda dem Schreiben zu. Und was sie, die in der Skid Row Interessierten kreatives Schreiben beibringt, in ihren durchweg multi-perspektivisch erzählten Büchern verhandelt, liest sich wie ein Amalgam aus den Büchern von Denis Johnson und Don DeLillo, dessen Meisterwerk "Underworld" sie, wie sie sagt, zu ihrem Roman inspirierte: "DeLillo versteht es wie kein Zweiter, in kurzen kompromisslosen Snapshots ganze Leben zu bannen".

In "Wonder Valley" macht sie es ihrem Vorbild auf atemberaubende Weise nach. Sie tut es in Form einer den Auftakt des Romans bildenden Kamerafahrt, wie sie der Meister der Kameraführung, Robert Altman, wahrscheinlich nicht besser hingekriegt hätte. Blicklüstern jagt sie einem nackt und scheinbar ziellos durchs hitzeflirrende L.A. hetzenden Jogger hinterher, der - verfolgt von aufgeregten Cops und einem Helikopter, der Live-Bilder davon in die US-Haushalte bringt - um sein Leben rennt.

"Als Bild ist es schön", heißt es da. "Sein Oberkörper ist nackt. Er ignoriert die Autofahrer, die in ihre klimatisierten Wagen eingekapselt sind, gefangen im ersten Nachrichtenzyklus und der Leier von Radio Top 40. Er zieht vorbei an den Verzweiflungen des Morgens."

Was folgt, ist ein mitreißendes Potpourri aus Geschichten, die allesamt mehr oder weniger direkt durch einen Mord mit der des Joggers verlinkt werden. Da ist der in seinem Wagen im Stau festsitzende, von seinem bürgerlichen Familienleben ausgehöhlte Anwalt Tony, der, fasziniert vom Anblick des Rennenden, kurzerhand aussteigt. Und den Jogger verfolgt. Wenig später, von der Polizei gestellt, erklärt er den verdutzten Beamten sein Tun: "Ich wollte er sein!"

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Ivy Pochoda, Sabine Roth (Übersetzung), Rudolf Hermstein (Übersetzung)

Wonder Valley: Roman

Verlag: ars vivendi
Seitenzahl: 400
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Preisabfragezeitpunkt

25.03.2023 09.42 Uhr

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Oder die beiden über die Schauplätze marodierenden Kriminellen Sam und Blake, die ins Wonder Valley vorstoßen - wo sich ihre Schicksale auf blutige Weise mit dem von Tony und den anderen vermengen. Und dann sind da noch die auf einer Hühnerfarm strandende Britt, die in die Fänge eines charismatischen Predigers gerät. Und der eben aus dem Gefängnis entlassene Renton.

Der wagt sich auf der Suche nach seiner Mutter ins Herz der Skid Row vor - und erlebt dort, zwischen Crack rauchenden Teenagern, selbsternannten Heiligen und gewaltbereiten Amerikahassern eine unerwartete Transformation. "Wenn Du dich lange genug hältst", sagte mal seine Mutter, "kapierst du ziemlich bald, dass deine Geschichte das Einzige ist, was dir wirklich gehört."

Bildern von unvergesslicher Schönheit und Dichte

So hart und mitleidlos, wie sie die Bälle an die Wände der Squash-Kabinen drosch, treibt Pochoda auch ihre Figuren aufeinander zu - hinein in den blutigen Sonnenuntergang ihres mit Versatzstücken des Krimis operierenden Romans. "Ich bin immer neu davon fasziniert, wie nah sich unsere Existenz tagtäglich an der Grenze von Untergang und Verzweiflung abspielt", sagt sie. In ihrem Buch führt sie vor, wohin es den Einzelnen führt und was es mit ihm macht, wenn er diese Grenze, freiwillig oder gewaltsam durch andere herbeigeführt, überquert.

Irgendwann heißt es stellvertretend: "Morgens wachst du noch in einem Hotel auf. Duschst wie nie in deinem ganzen Leben. Und am Abend wirst du fertig gemacht, auf Null gebracht, und bist so kaputt und pleite wie alle anderen hier draußen."

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