Neuer Roman von Yasmina Reza Glücklich die Lesenden

Er kauft immer den falschen Käse. Sie weigert sich, nachts das Licht auszumachen. Yasmina Reza hat in ihrem neuen Roman "Glücklich die Glücklichen" die Kunst der Eskalation perfektioniert. Und das Glück ziemlich gut versteckt.
Autorin Reza: Meisterin der Eskalation

Autorin Reza: Meisterin der Eskalation

Foto: Hanser/ Pascal Victor/ ArtComArt

Entgegen dem Eindruck, den Yasmina Rezas neuer Roman vermitteln mag, ist es doch nicht so schwer mit dem Glücklichsein. Es geht zum Beispiel so: Man lasse abends den Fernseher aus, vergesse nervende Kollegen, schlage diesen Roman auf und beginne zu lesen, obwohl man vielleicht längst schlafen wollte. Man staune über all die Formen, die das Unglück annehmen kann und über die Geschwindigkeit, mit der in den Geschichten Yasmina Rezas jeder Streit eskaliert. Nur acht Sätze braucht Reza von einem alltäglichen Einkauf im Supermarkt bis zum ersten geschrienen Satz. So schnell geht das nicht einmal im Dschungelcamp.

"Glücklich die Glücklichen" heißt Yasmina Rezas neuer Roman und natürlich wird er ein Erfolg werden. Das liegt zum Einen an seiner Autorin: Die Französin Yasmina Reza ist mit ihren Theaterstücken berühmt geworden. "Wunder" wurde 1994 uraufgeführt, "Der Gott des Gemetzels" 2011 mit Kate Winslet und Jodie Foster in den weiblichen Hauptrollen von Roman Polanski verfilmt.

Genau die eine Nichtigkeit

Aber es liegt vor allem am Buch selbst. Dieser Roman - der dritte nach "Eine Verzweiflung aus dem Jahr 2001 und "Adam Haberberg" aus dem Jahr 2005 - ist kein klassischer Roman. Das Buch ist nicht einmal zweihundert Seiten dick. Es besteht aus 21 Kapiteln. Und es kommen 18 Erzähler zu Wort, die über verschiedene Ecken alle miteinander bekannt oder verwandt sind. Und alle demselben Milieu angehören: der gebildeten, oberen Mittelschicht. Sie sind Ärzte, Journalisten, Politiker, Schauspielerinnen oder Berater. Ihre Beziehungen bilden ein komplexes Netz, und ein Teil der Freude beim Lesen resultiert daraus, plötzlich in das Innenleben einer früheren Nebenfigur eingeweiht zu werden oder eine frühere Nebenfigur wieder zu erkennen. Der größte Teil der Freude rührt von Rezas Talent, immer genau die eine Nichtigkeit zu finden, die die kultivierte Fassade ihrer Figuren nach Jahren der Anstrengung einstürzen lässt.

"Dem Einfachen entspringt Pathetisches", hat Yasmina Reza über ihr eigenes Schreiben im Gespräch mit dem SPIEGEL gesagt. Dem falschen gekauften Käse entspringt ein körperliches Ringen um die Autoschlüssel. Der Weigerung das Licht auszumachen, entspringt die Drohung, ins Hotel zu ziehen. Rezas Figuren streiten sich, betrügen sich, enttäuschen sich. Hinter perfekten Fassaden lauern unglückliche Geschöpfe. Philip Chemla - eine Koryphäe auf dem Gebiet der Onkologie - sucht nach Praxisschluss verzweifelt nach dem Ägypter, der ihn als einziger Liebhaber gegen Geld nicht nur geschlagen, sondern auch getröstet hat. Ernest Blot besteht darauf, nach seinem Tod verbrannt zu werden und verwehrt seiner Ehefrau auch noch das gemeinsame Grab als Symbol ihrer Symbiose. Raoul Barnèche isst aus Wut einen König auf, als seine Frau bei einem Kartenturnier die falsche Karte legt.

Tango mit Männern mit Sauerstoffflaschen

Dabei ist es nicht einmal so, dass das Glück gar keinen Platz hat in der Welt dieses Buches. Das Glück kommt nur nicht automatisch mit Karriere, gutem Aussehen und zwei Kindern. Das Glück ist schwer zu entdecken in diesem Roman, weil es sich an so unerwarteten Plätzen aufhält und so unerwartete Formen annimmt. Das Glück liegt nicht im Erfolg, nicht im sorgfältig kuratierten Design-Wohnzimmer, nicht in Schönheit, noch nicht einmal in der zwei-Kinder-Stadtwohnung-Pseudo-Idylle. Das Glück ist es, Kindern auf dem Parkplatz Autogramme schreiben zu dürfen, wenn man glaubt, Céline Dion zu sein, wie es der Sohn zweier Hauptfiguren dieses Buches tut. Das Glück ist es, bei einem Bankett in einem Provinznest mit einem ehemaligen Metallgießer mit Rippenfellkrebs über zersägte Wellbleche zu reden, während die Geliebte mit Männern mit Sauerstoffflaschen eine Art Tango tanzt. Das Glück kann ein Glas Johannisbeersaft nach dem Zähneputzen sein. Das Glück ist da, wo man es am Wenigsten erwartet. Das ist das eigentlich Charmante an diesem Buch. Und das was beim Lesen glücklich macht.

Yasmina Reza: Glücklich die Glücklichen. Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel, Frank Heibert. Carl Hanser Verlag, München; 176 Seiten; 17,90 Euro. Bei Amazon  erhältlich.

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