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Blumenbach und Foster Wallace: Einsame Helden

Foto: Klaus Brinkbäumer

Zehn Wahrheiten von... Ulrich Blumenbach "Ich musste das Falsche richtig falsch übersetzen"

Das Buch ist schwer wie ein Ziegelstein, gewichtig ist auch die Übersetzung: Sechs Jahre brauchte Ulrich Blumenbach für David Foster Wallaces Großroman "Unendlicher Spaß". Wie übersteht man diesen Kraftakt? Klaus Brinkbäumer hat Blumenbach in der Schweiz besucht.

David Foster Wallace, von Lesern und Kollegen verehrter Autor von Essays und Romanen, erhängte sich im September 2008 in Kalifornien. In Basel war damals ein einsamer Held gerade auf den letzten 100 Seiten seines monströsen Projekts angekommen. Nun, nach sechs Jahren Arbeit, hat der Übersetzer Ulrich Blumenbach "Unendlicher Spaß - Infinite Jest" vollendet.

Herr Blumenbach, standen Sie David Foster Wallace nahe?

1. Ich bin ihm nie begegnet. Am Anfang habe ich ganz dringend um Kontakt gebeten, aber keine Antworten bekommen; ich glaube, er war ein reflektierter, weltoffener Mann, aber eben auch amerikazentriert und abgeschottet. Dann habe ich mir Fragen in eine immer länger werdende Liste eingetragen. Am Ende hatte ich natürlich damit gerechnet, ihm irgendwann das fertige Werk zu überreichen. Mit einem Kniefall.

Der enge Kreis der Verwandten und Vertrauten hatte Wallace geschützt; seine gescheiterten Selbstmordversuche, die Depressionen wurden erst nach seinem Tod bekannt.

Was haben Sie gewusst?

2. Ich habe nichts von seiner tatsächlichen Verfassung geahnt. Seine Essays waren so hell, so komisch, sein ständiges Produzieren hat einen falschen Eindruck gemacht. Diese Perspektive wurde brachial zurechtgerückt.

Ulrich Blumenbach schweigt lange, überlegt lange, dann redet er flink und druckreif. Blumenbach hat blondierte Haare, dichte Brauen, er trägt schwarze Jeans, ein schwarzes T-Shirt, er bringt Wasser und Espresso hinauf in die Schreibstube mit Rheinblick, wo ihn Elena und Raphael, die Kinder, nicht störten, wenn er in Wallaces so düstere wie komische Welten abtauchte.

Sechs Jahre für ein Buch. Lohnt sich das?

3. Ideell? Natürlich.

Und auch literarisch: Der "Unendliche Spaß" wurde nicht einfach übertragen, Blumenbach findet neue Worte, es ist mehr geworden als eine Huldigung, werktreu und eigenwillig, mutig und angemessen meisterlich.

Aber lohnt es sich auch finanziell? Sechs Jahre Arbeit für 52.000 Euro?

4. Mein Verleger Helge Malchow sagte sehr schön, dass der 'Unendliche Spaß' nicht 'im Zentrum unserer Umsatzerwartungen' stehe, aber immerhin bin ich vom ersten Exemplar an erfolgsbeteiligt. Geplant waren ursprünglich vier Jahre Arbeit und das Erscheinen für 2007, das Honorar war ein Drittel dessen, was ich zum Leben brauchte. Eine kleine Erbschaft habe ich in dieser Zeit aufgebraucht.

Warum eigentlich sechs Jahre?

5. Weil das Buch dick ist. Weil manche Sätze eineinhalb Seiten lang sind. Weil David Foster Wallace mit Lexika und Enzyklopädien aufgewachsen ist und es ihm eine Freude war, Wörter einzustreuen, die nur er kannte. Finden Sie mal ein Wort wie 'ascapartic'. Das hat er selbst vom seltenen 'ascapart', einem sagenhaften 'Helden', abgeleitet. Mit diesem Wort habe ich Stunden verbracht.

Worum ging es David Foster Wallace?

6. Sein Ziel war ein Hyperrealismus, der aller Facetten des Lebens sprachlich habhaft werden wollte, es ging ihm um Sinnlichkeit und größtmögliche Präzision der Weltbeschreibung.

Seine Tricks?

7. Zum Beispiel ein Rhythmus durch Satzzeichen, Zeichensetzung, unendliche viele Hypotaxen, also Semikolons, besonders wenn Morde geschildert werden; dann werden die Satzzeichen zu Atemzeichen, das Ersticken des Opfers überträgt sich auf den Leser; und außerdem sind da die kleinen Fehler.

Welche Fehler?

8. Wortdreher. Verwechslungen. Zunächst habe ich das korrigiert, bis mir auffiel, dass Wallace es natürlich so wollte. Weil seine Verlierer genau so sprechen mussten. Also musste ich das Falsche richtig falsch übersetzen.

"Ein Exempel konstatieren", so heißt es jetzt bei Blumenbach, schöner könnte es nicht einmal Lothar Matthäus sagen. David Foster Wallaces großes Thema war das Leiden an der Moderne. Seinen Anhängern schien es, als habe er die Qualen des Westens mit all dem Überfluss, dem Zynismus und der Langeweile stellvertretend erlitten, sensibler wahrgenommen, schärfer durchdacht und lustiger beschrieben als jeder andere. Es ging ihm um ein Amerika des Zuviel: Zu viel Vergnügen, zu viel Spaß, zu viele Möglichkeiten.

Seine Anhänger wiesen David Foster Wallace eine nahezu messianische Rolle zu?

9. Ja. Es ist ja so, dass wir alle vieles abblocken, das macht uns erst lebensfähig. Er jedoch ließ alle Flutwellen von Alltagselementen bewusst über sich rollen, um sie dann literarisch bewältigen zu können. Darüber wollte er schreiben: The way we live today. Um darüber schreiben zu können, musste er es fühlen.

Haben Sie sich betrogen gefühlt durch den Selbstmord, waren Sie wütend?

10. Nein, ich will es auch nicht dramatisieren, es sind ja viele meiner Autoren tot. Aber es war schon so, dass ich immer eine Stimme im Ohr gehabt hatte, die mir den Text vorlas - diese Hirnstimme war schlagartig weg und kam nie zurück.


David Foster Wallace: "Unendlicher Spaß - Infinite Jest". Aus dem amerikanischen Englisch von Ulrich Blumenbach, Kiepenheuer und Witsch, Köln. 2009. 1648 Seiten, 39,95 Euro.

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