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Bestsellerautorin Zoë Jenny: Eine extreme Karriere

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Ex-Fräuleinwunder Zoë Jenny Comeback in aller Kürze

Ihr Aufstieg war ebenso steil wir ihr Absturz. Jetzt ist Zoë Jenny wieder da: Und veröffentlicht ihr neues Buch "Spätestens morgen" im richtigen Moment - dank Alice Munro gibt es Hoffnung für kurze Geschichten.
Von Thomas Andre

Zoë Jenny war einmal eine junge Frau, die großen Erfolg mit ihrer Erzählkunst hatte. Das ist etwa anderthalb Jahrzehnte her. Sie war damals nicht alleine, zum so genannten Fräuleinwunder der deutschsprachigen Literatur zählten neben der Schweizerin unter anderem die Autorinnen Judith Hermann, Julia Franck, Alexa Hennig von Lange und Elke Naters. Es ist um sie mit Ausnahme Francks, die 2007 den Deutschen Buchpreis bekam und zuletzt den Roman "Rücken an Rücken" veröffentlichte, still geworden in den vergangenen Jahren; und niemand käme mehr auf die Idee, ihre Literatur weiter als seismografischen Ausweis des Zeitgeists zu betrachten.

Die größten Karriere-Ausschläge hatte Jenny: Ihr 1997 veröffentlichter Roman "Das Blütenstaubzimmer" wurde mit Preisen ausgezeichnet, in 27 Sprachen übersetzt und ein Bestseller, von dem allein im deutschsprachigen Raum über eine Viertelmillion Exemplare verkauft wurde. Jennys nachfolgende Veröffentlichungen jedoch wurden immer ungnädiger besprochen, immer weniger gelesen, schließlich schrieb die 1974 in Basel geborene Erzählerin lieber auf Englisch ("The Sky Is Changing"). Auch eine Art des Verschwindens.

Jetzt ist Zoë Jenny wieder da, ihr neues Werk "Spätestens morgen" ist das schmalste unter den wichtigen Büchern des Herbstes und außerdem mit der Gnade des richtigen Zeitpunkts ausgestattet. Es ist eine Kurzgeschichtensammlung. Die sind im deutschen Sprachraum anders als im angloamerikanischen eigentlich Kassengift. Nach Alice Munros Nobelpreis-Ehrung dürfen Autoren und Verleger allerdings wieder hoffen.

Verhunzte Elternschaft

Jenny schreibt gern im Präsens, und dieser sehr gegenwärtige, sehr szenische Zugang zu ihren Figuren gibt ihren Storys etwas scheinbar Unmittelbares, das bei näherer Betrachtung aber nur eine umso größere Distanz schafft: Erstaunlich viele Erzählungen haben jugendliche Helden. Das Metathema Jennys kommt auch in "Spätestens morgen" zu seinem Recht, es geht ihr immer um Eltern und Kinder, um fragliche Erziehungsmethoden und verhunzte Elternschaft. Erwachsene, die es besser wissen sollten, verlagern ihre Probleme in den Deutungsraum der Kinder. Und die tragen dann die Last von deren Geschichte.

Identifikationsmodelle sind sie jedenfalls selten: Eine von Jennys jugendlichen Heldinnen muss die Trauer um die tote Schwester stellvertretend für die Eltern bewältigen. Eine andere Figur hadert gemeinsam mit dem Vater mit dem Ende der Beziehung zur Mutter. Einer dritten sterben die Eltern weg, sie kommt vom versoffenen Onkel über ein Kinderheim zu einer Pflegemutter: Kindheit ohne Obdach.

Eine gewisse Weltläufigkeit haben diese neuen Erzählungen Jennys. Sie spielen in Shanghai und New York - Orte, die Jenny gut kennt. Wo alle Erzählungen mit einer vollendet zurückhaltenden Pointe enden, ist die Selbstbescheidung der Autorin ein ästhetisches Statement: Kaum eine dieser literarischen Miniaturen zählt mehr als zehn Seiten. Das unterscheidet Jenny von ihrer Lehrmeisterin Munro, die das Genre manchmal längenmäßig ausreizt.

Monieren könnte man hier und da die zwar luftige, am Ende aber auch ein wenig ehrgeizlose Motivführung. Das letzte Stück, "Die Ballade vom Rhein", ist Jennys Schweizer Dichterkollegen Jürg Federspiel zugeeignet, der 2007 Selbstmord beging. Federspiel war an Parkinson erkrankt, Jenny bewegt sich in ihrem Text, wie Terézia Mora, entlang der Grenze zwischen den Heilen und den Versehrten: "Kranke machen mich nervös. Die Verzweiflung. Das Alter. Jedem sein Elend, aber ich reise noch, soweit ich kann. Die Kranken entfernen sich von den Gesunden in ihre eigene Welt."

Und sie erinnert sich an die Freundschaft zu dem deutlich älteren Mann, an Gemeinsamkeiten: "Wir mögen die Short Storys der Amerikaner".

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