Zuckmayer-Dokumente Zwischen baulichen und geistigen Trümmern
Er wolle die Abgründe überbrücken, schrieb Carl Zuckmayer im November 1946 aus Deutschland. Der Autor des "Fröhlichen Weinbergs", des "Hauptmanns von Köpenick" und "Des Teufels General" war nach seiner Emigration zum ersten Mal wieder in seinem Heimatland, diesmal im Auftrag der amerikanischen Besatzungsmacht. Für sie sollte er Möglichkeiten des kulturellen Wiederaufbaus sondieren, der damals auch unter dem Blickwinkel der Umerziehung gesehen wurde.
Abgründe tun sich in der Tat bei der Lektüre des "Deutschlandberichts" auf, den der damals knapp 50-Jährige für das US-Kriegsministerium schrieb. Es ist nach dem "Geheimreport" Zuckmayers für US-Geheimdienste (2002) das zweite Dokumentarwerk, das über die Arbeit des Dramatikers im Auftrag der Vereinigten Staaten Auskunft gibt. War der "Report" stark an Personen orientiert, so ist der "Bericht" dem situativen Kontext und der Kultur zwischen den baulichen und geistigen Trümmern gewidmet.
Der Bericht und verwandte Dokumente liegen jetzt in einer sorgfältig kommentierten Form vor. Zahlreiche Gründe machen die mehr als 50 Jahre alten Berichte und Leserbriefe zu Zuckmayers Veröffentlichungen hochaktuell: Etwa die Schilderungen der Not unserer Eltern und Großeltern in den Trümmern Nachkriegsdeutschlands, die dem aktuellen Jammern im 21. Jahrhundert den richtigen Stellenwert zuweisen. "In den Lagern der Verschleppten aus dem Osten habe ich einige gesehen, die fast nackt waren, die sich in zerlumpte Decken gewickelt hatten, und mit Bretterstücken, die sie sich mit alten, zusammengeknoteten Bindfäden unter die bloßen Füße gebunden hatten."
Auch die Darstellung der inneren Zerrissenheit sowohl der Deutschen als auch der Emigranten und der Umerzieher gibt zu denken. "KZler zu sein (Gefangener eines früheren Konzentrationslagers) ist eine schlechte Empfehlung bei einer Behörde in Deutschland." Hin und wieder spricht Zuckmayer von möglicherweise drohender "Renazifizierung" und davon, wie wenig die Besatzungsmacht sich in die Befindlichkeit der Besiegten hineindenken könne.
Zuckmayer selbst sah sich nach Veröffentlichungen in Deutschland heftiger Kritik ausgesetzt. Er hatte gegen das Image eines Spions zu kämpfen, aber er durfte auch Sympathiekundgebungen entgegennehmen. Seine Berichte selbst hatten am Ende nur geringen Einfluss auf das Handeln der Besatzungsmacht, wie die Herausgeber ermittelten. Dass große Teile des Landes nur wenige Jahre später zu einer der wohlhabendsten Nationen der Erde wurden, wirkt nach der Lektüre von Zuckmayers Berichten tatsächlich wie ein Wunder.
Thomas Rietig, AP
Carl Zuckmayer: Deutschlandbericht für das Kriegsministerium der Vereinigten Staaten von Amerika. Im Auftrag der Carl-Zuckmayer-Gesellschaft herausgegeben von Gunther Nickel, Johanna Schön und Hans Wagener. Wallstein Verlag, Göttingen. ISBN 3-89244-771-3. 308 Seiten, 28 Euro.