Zum Tode Clark Darltons Perry Rhodans rohe Poesie
Sein liebstes Kind war ihm immer Gucky. Der Außerirdische vom Planeten Tramp, wegen seines Aussehens "Mausbiber" genannt, war klein, aber respektlos. Mit großem Mundwerk setzte sich Gucky in unzähligen Episoden der Heftserie "Perry Rhodan" gegen Aliens ebenso so durch wie gegen die ihm stets suspekten Militärs. Gucky fehlte jegliche Obrigkeitshörigkeit, sogar finstere Sternenimperatoren bekamen von ihm sofort das "Du" aufgedrückt.
In mehr als der Hälfte der fast 200 Romane, die Walter Ernsting unter dem Pseudonym Clark Darlton für "Perry Rhodan" geschrieben hat, taucht der Mausbiber auf. Verbunden hat beide nicht nur die Skepsis vor Autoritäten, sondern auch eine gewisse Unverfrorenheit.
Jener Frechheit verdankte es Ernsting nämlich, dass er überhaupt Schriftsteller wurde. Der Kriegsheimkehrer von der Ostfront arbeitete in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts vorrangig als Übersetzer anglo-amerikanischer Science Fiction. 1955 bot Ernsting seinem Verleger ein frisch übersetztes Manuskript eines noch unbekannten Autoren namens Clark Darlton an. Der kaufte und veröffentlichte das Werk mit dem Titel "Ufos am Nachthimmel" sofort. Darlton, das war natürlich Ernsting selber. Mit einem Trick hatte er die Hürde der Erstveröffentlichung genommen.
In den folgenden Jahren entwickelte er sich als rühriger Vielschreiber zu einem der beliebtesten Heftroman-Autoren der Bundesrepublik. Bis auf wenige Ausnahmen blieb er dabei dem Pseudonym Clark Darlton treu. Auch als er 1960 gefragt wurde, ob er an einer neuen Heftreihe mitarbeiten wolle. Zusammen mit Karl-Herbert Scheer entwickelte Ernsting daraufhin "Perry Rhodan".
Die Serie erschien erstmals 1961 und wurde der mit Abstand größte Erfolg bundesdeutscher Science-Fiction-Literatur. Nach wie vor erscheint jede Woche ein neuer Roman, zuletzt erschien das 2265. Heft über den unsterblichen Weltraumstürmer Rhodan und seine Mitstreiter Gucky, Atlan und Reginald Bull. Weit über 1000 Begleitprodukte, vom Serien-Spin-off "Atlan" bis zur Plüschfigur, bilden die Peripherie des Perry-Imperiums. Die Gesamtauflage der Hefte beläuft sich auf über 1,3 Milliarden Exemplare. Sogar Andreas Eschbach ("Das Jesus-Video") hat schon einmal mitgeschrieben.
Von Walter Ernsting stammt nicht nur der Name der Figur (eine Zusammensetzung aus "Perry Mason" und "Rodan", einem damals populären japanischen Monster-Film). Während K.H. Scheer, der Technokrat und Liebhaber gewaltiger Weltraumschlachten, die Technik und die Handlung entwarf, versah Ernsting, der Träumer und Pazifist, die Serie mit humanistischem Gedankengut.
Dazu diente ihm nicht nur der Mausbiber Gucky, dem Ernsting fast von Beginn der Serie seinen Charakter gab. Ernst Ellert, eine weitere seiner Lieblingsfiguren, konnte durch einen Unfall durch die Zeit reisen, und Ernsting schickte seine Figur weit, weit hinaus - sogar bis ans Ende des Universums.
Es war eine rohe Poesie der Pulp Fiction, die bei Ernsting durch solche Charaktere zum Tragen kam. Dabei war er kein sonderlich begnadeter Autor: Die Figuren waren oft eindimensional und handelten unreflektiert. Sein Stil war meist simpel, die Dialoge krude, die innere Logik der Erzählungen brüchig. Geschuldet war dies sicher auch dem ungeheuren Druck der Heftroman-Industrie. Mitunter musste Ernsting fast jede Woche ein komplettes Heft abliefern. Wo heute mehr als zehn Autoren und Redakteure die Erzählstränge von "Perry Rhodan" zusammenhalten, waren es in den Anfangstagen der Serie gerade mal fünf.
Aber Ernsting konnte sich eben an den Rand des Universums träumen. Und von Underdogs wie Gucky erzählen. Und davon, wie man Konflikte gewaltfrei löst. Es war stets viel interessanter als eine von Scheers Weltraumschlachten, wenn Gucky, oft mit Hilfe seltsamer Aliens, den Kampf unblutig entschied. Seine Kriegserfahrungen hatten Ernsting fürs Leben geprägt - so sehr, dass es ihm einmal sogar gelang, eine kurze Erzählung über den Kessel von Stalingrad in die "Rhodan"-Serie einzuschmuggeln.
An anderer Stelle lässt er eine seiner Figuren sagen: "Ich bin für den Frieden. Wir leben gut und glücklich auf unserer Welt, auch ohne Herren und Denker. Wir brauchen sie nicht mehr, denn unsere Rasse hat sich geändert" (Heft 209). Das war noch vor 1968, inmitten des Kalten Krieges und zu einer Zeit, als die Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit ein Tabu war.
Ernsting war kein politischer Autor. In Themenwahl und Stil war er ganz der trivialen Unterhaltungsliteratur verpflichtet. Dennoch hat er durch seine Aktivitäten eine ganze Autorengeneration geprägt. Nicht zuletzt hat er zudem mit "Perry Rhodan" eines der weltweit außergewöhnlichsten literarischen Phänomene der Nachkriegszeit mitgestaltet.
Ab 1961 schrieb Ernsting fast ausschließlich für "Perry Rhodan" und dessen diverse Ableger. Sein letzter Roman erschien 1992. Zuletzt wohnte er in Salzburg, wo er am 15. Januar nach langer Krankheit im Alter von 84 Jahren verstarb.