Georg Diez

Zum Tode von Ursula Le Guin Feminismus in der Science-Fiction

Sie definierte stets aufs Neue, was es heißt, eine Frau zu sein. Die Werke der kürzlich verstorbenen Schriftstellerin Ursula K. Le Guin sind Feminismus in der Science-Fiction.
Ursula Le Guin

Ursula Le Guin

Foto: AP / The Origonian

Ich dachte, ich mag keine Science-Fiction, weil es mir Kopfweh macht und schließlich schlechte Laune, mich in die intergalaktischen Kopfgeburten anderer Leute hineinzuschrauben - wo es doch schon schwer genug ist, die Welt, und das, dachte ich, ist doch die Aufgabe beim Schreiben, so zu sehen, wie sie ist.

Bis ich Ursula K. Le Guin gelesen habe, die Frau mit dem selbst schon so fantastischen Namen, deren Roman "The Left Hand of Darkness" eine meisterhaft konstruierte Meditation über Liebe, Treue, Politik und Gewalt ist. Sie hat Wort für Wort meine Sicht auf das verändert, was die Zwittergestalt des Menschen ausmacht, dessen Körper, männlich, weiblich, wer will das sagen, der Ausgangspunkt ist für alles - Politik, Krieg, Lust, Identität, Heimat.

Diese Geschichte von zwei Feinden, Flüchtenden, Liebenden auf dem Eis eines Planeten, wo es nur noch ein Geschlecht gibt und Begehren sich einstellt wie gutes oder schlechtes Wetter, schafft es, die grundsätzlichen Fragen über Natur und Kultur des Menschen in so weiter Entfernung zu spiegeln, dass sie unvermutet und klar zu uns zurückstrahlen. Wie ein Stern, dessen Licht, so erzählt man es den Kindern, schon lange erloschen ist.

Und das ist ja gerade, das verstand ich bei der Lektüre dieses Buches, die Freiheit, die Schönheit, die Chance und schließlich das politische Potential von Science-Fiction: neue Welten zu schaffen, neue Gesellschaften, neue Geschlechter, neue Geschichten, in denen die Welt, wie wir sie zu kennen glauben, auseinandergenommen und neu zusammengesetzt wird.

Das ist das anarchische Moment dieses Genres, das in diesen dystopischen Zeiten ein gutes Gegenbild entfalten hilft, um die Ängste und Bedrohungen zu spiegeln, etwa in Margaret Atwoods "The Handmaid's Tale" als frauenfeindliche puritanische Diktatur der Superreichen, oder bei Le Guin als feministischer Entwurf einer anderen Möglichkeit zu lieben und zu leben und Macht, Gewalt, Ewigkeit zu definieren.

Das ist der Grund, warum sie, die vergangene Woche mit 88 Jahren in Portland, Oregon, gestorben ist, diesen Weg gewählt hat. Für ihre Romane, Essays, Jugendbücher wird sie geliebt und verehrt, von Kollegen, Lesern. Eine echte Lichtgestalt der Literatur, wobei dieses abgewetzte Wort in ihrem Kontext neues Leben und neuen Sinn bekommt, so wie sie es immer wollte und versuchte.

"Ich glaube, dass harte Zeiten auf uns zukommen", sagte sie 2014, als sie bei den amerikanischen National Book Awards einen Preis für ihr Lebenswerk bekam. "Und wir werden die Stimmen von Schriftstellerinnen und Schriftstellern brauchen, die Alternativen zu dem sehen, wie wir leben, und die angstgeplagte Gesellschaft und die besitzergreifenden Technologien durchschauen und andere Möglichkeiten der Existenz erkennen."

"Widerstand und Veränderung beginnen oft in der Kunst"

Um Hoffnung gehe es, sagte sie, um Menschen, die sich an die Freiheit erinnern, Dichter, Visionäre, "Realisten einer größeren Realität". Der Kapitalismus war in ihren Augen ein Problem, weil er unveränderlich und unausweichlich wirke, wie das Gottesrecht der Könige vor hunderten von Jahren: "Aber die Menschen können der Macht widerstehen und sie verändern", sagte sie. "Widerstand und Veränderung beginnen oft in der Kunst, und sehr oft in unserer Kunst, der Kunst der Worte."

Der Widerstand der Worte also ist Ursula K. Le Guins poetischer Protest. Es ist ihre Form, sich gegen Apathie und Angst zu wehren und gegen Menschen, die alles so hinnehmen, wie es ihnen schon immer präsentiert wurde. Was also, wenn Sex und Liebe getrennt wären? Was also, wenn eine Ehe nicht aus zwei, sondern aus vier oder aus acht Partnern bestünde? Was also, wenn der Körper, und es ist in diesem Fall fast immer der weibliche Körper, frei wäre von Gewalt, Unterdrückung, Missbrauch?

Und weil sie diese Fragen immer wieder stellte und immer anders, weil sie immer neu definierte, was es heißt, eine Frau zu sein, weil sie Charaktere schuf, die so radikal anders miteinander umgingen als in der Wirklichkeit, wie wir sie vorgesetzt bekommen, deshalb waren die Verehrung und die Trauer so groß und persönlich, als die Nachricht von ihrem Tod kam - jedenfalls in der angelsächsischen Welt. Denn in der literarischen Provinz, die dieses Deutschland ist, bevölkert von lauter Stipendienzwergen, kennt sie natürlich kaum jemand.

Schule der Empathie und der Einfühlung

Hier haust man noch in Schubladen, hier gibt es angestrengte Diskussionen über neue Romantik, alte Ästhetik und wahrscheinlich auch noch irgendwo über das Ware und Gute. Hier gibt es "echte" Literatur und den Rest, also Freaks, die sich Gedanken darüber machen, wovon Androiden träumen, wenn sie schlafen, oder eben Planeten, auf denen es nur ein Geschlecht gibt. All das, diese eben nicht nur literarische deutsche intellektuelle Selbstverzwergung, die Weltabgewandtheit und Realitätsverweigerung, hat dann am Ende auch tatsächliche gesellschaftliche und politische Konsequenzen.

Denn das, wovon Ursula K. Le Guin zum Beispiel erzählt, lässt sich ganz direkt sehen als Schule der Empathie und der Einfühlung. Es sind Geschichten, die einen lehren, was es heißt, den Blick des anderen einzunehmen, sein Leiden, seine Weltsicht, seine Schuld zu sehen, so wie sie es in dem wunderbaren Erzählungsband "Four Ways to Forgiveness" beschrieben hat - und genau das, dieses Mitfühlen fehlt eben heute in so vielen Momenten.

Was würde Le Guin etwa zur deutschen MeToo-Debatte sagen, die sich ziemlich im Kreis dreht, die notwendigen Recherchen, die einen Blick auf das Übel ganzer Branchen werfen, Weinstein oder Wedel auf der einen Seite und eben den abwehrenden Versuchen, das Ganze als irgendwie überflüssig oder unreif oder puritanisch hinzustellen? Dabei gäbe es die Chance, diesen Moment zu nutzen und den Blick zu weiten auf das, wovon etwa Ursula K. Le Guin in ihrem Werk wieder und wieder erzählt: Die Grundfragen, um die es eigentlich geht, was der Mann ist und auch nicht und was die Frau ist und auch nicht, und wie es alles anders sein könnte.

"Ich bin ein Mann"

"Ich bin ein Mann", so beginnt etwa ein wütender, witziger Essay von Le Guin, "Introducing Myself" - und daran ändert auch nichts, fuhr sie fort, dass "mein Name mit einem a endet und ich drei BHs besitze und fünfmal schwanger war". Im Grunde, sagt sie, gibt es nur ein Geschlecht, denn Frauen sind eine recht neumodische Erfindung, besonders in der Literatur. Ein Schriftsteller, das ist ein Mann, so war es, als sie anfing zu schreiben - also, folgert Le Guin, ist sie immer noch ein Mann, selbst wenn sie "ihren Namen nicht in den Schnee pinkeln" kann und auch nicht "ihre Frau und Kinder und ein paar Nachbarn und dann mich selbst erschießen".

Die Nachrufe im deutschen Feuilleton, wenn es überhaupt welche gab, haben diesen weltverändernden feministischen Aspekt im Werk von Ursula K. Le Guin weitgehend ignoriert, so wie die Kritik es aktuell oft vermag, die Sprengkraft dessen, was Literatur ist oder sein könnte, zu minimieren. Kunst, so scheint es in diesen Schubladentagen, hat ihren Platz, und der ist vom Leben weitgehend getrennt. Es war eine Marotte der Avantgarde, an die Verbindung von beidem zu erinnern, aber nun entscheidet wieder das Kommissariat der Langeweile, was erheblich ist und was nicht.

Ursula K. Le Guin, so scheint es mir, war ein glücklicher Mensch, auch weil sie sich fern hielt von solchen oberflächlichen Diskussionen. Ihr ging es um etwas anderes. Sie glaubte an den Wert unterschiedlicher und anderer Erfahrungen, das hatte sie von ihrem Vater, der als Anthropologe die Indianer Amerikas studierte. Sie suchte danach, wie der Mensch sich verändern kann und neugierig bleiben, sie wollte das langsame Wirken der Emotionen verstehen. Der Körper war für sie der Anfang von allem. Sie baute, wenn man so will, eine fluide Art der politischen Philosophie um den unbestimmten und doch konkreten Körper, ob Mann oder Frau.

Sie war genau, im Denken und im Fühlen. Das bleibt ihr Vermächtnis.

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