Dein Selfie könnte in dieser Londoner Galerie hängen
Dieser Beitrag wurde am 08.04.2017 auf bento.de veröffentlicht.
Wenn wir die Fotogalerie auf unserem Smartphone öffnen, müssen viele von uns nicht einmal nach unten scrollen, um eins zu finden. Ein Selfie ist schnell gemacht. Und für viele ist es ein Mittel, Emotionen, Stimmungen und Erinnerungen festzuhalten und mit anderen zu teilen.
Ein Beispiel: Bei Instagram sind gerade allein unter #selfie 295.826.279 Einträge zu finden.
Und Selfies sind nicht ganz unumstritten: Menschen, die sich gerne selbst knipsen, sollen Studien zufolge an einer narzisstischen Störung leiden (FAZ / SPIEGEL ONLINE).
Jetzt gibt es eine Ausstellung zum Thema Selfies und Selbstdarstellung in einer sehr renommierten Londoner Galerie: "From Selfie to Self-Expression " beschäftigt sich mit der Geschichte und der Bedeutung der Selbstporträts.
Denn die werde unterschätzt, findet die Saatchi Gallery . "Oft werden Selfies als Ausdrucksform nicht ernst genommen und als hirnverbrannt abgetan. Wir feiern, dass Selfies sehr wohl kreatives Potenzial haben", heißt es in der Beschreibung der Ausstellung.
Hier sind einige Bilder, die das beweisen:
Selfie Ausstellung in London
In der Saatchi geht der Besucher auf eine Reise durch die Zeit: Als frühste Form des Selfies zeigt die Galerie Selbstporträts von Rembrandt und Van Gogh. Auch viele Fotografien von bekannten heutigen Künstlern zum Thema werden ausgestellt.
Hier siehst du Rembrandts Selbstporträt:
Aber noch etwas ziert die Wände:
Rund 14.000 Selfies und Porträt-Fotos, eingereicht von Menschen, die keine professionellen Künstler sind.
Selfies, die auch von dir sein könnten.
Saatchi Gallery London
Im Januar startete die Galerie einen Aufruf, private Fotos einzusenden. In sieben Wochen erhielt sie 14.000 Bilder aus 113 verschiedenen Ländern – vom Badezimmer-Selfie bis zum kunstvollen Selbstauslöser-Foto war alles dabei.
Auf einer digitalen Wand können die Besucher der Saatchi Gallery diese Bilder jetzt bewundern:
Eine fünfköpfige Jury wählte außerdem die besten zehn unter den eingesendeten Selfies aus. Dazu gehören die Londoner Künstlerin Juno Calypso, der deutsche Fotograf Jürgen Teller und Galerie-Chef Nigel Hurst.
"In der Kunstwelt wird sonst alles ziemlich ernst genommen. Das Schöne am Selfie ist, dass man nur ein einzelnes Foto hat und es deshalb ganz ohne Kontext betrachten kann", sagt Juno zu bento. Bei der Bewertung habe sie sich deshalb ganz auf ihren Instinkt verlassen und nicht etwa eine Checkliste abgearbeitet.
Auf eine Sache habe die Jury aber geachtet: "Wir wollten vor allem Arbeiten von Menschen in die Ausstellung bringen, die sonst keine Chance hätten, in einer großen Galerie auszustellen." Die Top Ten stamme deshalb von unbekannten Künstlern.
Juno Calypso
Auf den ersten Platz wählte die Jury dann aber doch kein typisches Selfie, sondern ein Foto, das das Verhältnis zwischen Realität und Inszenierung, zwischen Selbstdarstellung und Außenwahrnehmung zeigt.
Seht selbst:
Die Gewinnerin: Dawn Woolley. Sie sei überrascht gewesen, den Selfie-Wettbewerb zu gewinnen. "Mein Mann hat mich ermutigt, das Foto einzusenden", sagt Dawn zu bento. Als die Antwort kam, habe sie gar nicht mehr an das Foto gedacht.
Und das, obwohl sich die Künstlerin aus Cardiff im Rahmen ihrer Doktorarbeit tagtäglich mit dem Phänomen Selfie beschäftigt. Für Dawn haben digitale Selbstaufnahmen großes Potenzial: "Weil jeder die Möglichkeit hat, ein Selfie zu machen, bilden sie eine große Vielfalt ab", findet sie.
Gewinnerin Dawn
Auf der anderen Seite könne das ständige Darstellen aber auch unerfüllbare Erwartungen schüren. "Fotos bilden eben auch oft das ab, was nicht real ist", sagt Dawn. Ihr Gewinnerbild zeigt einen Mann, der eine Pappfotografie von einer Frau in den Armen hält. Man soll sich fragen: Weiß der Mann noch, dass seine Angebetete nicht echt ist?
Gerade in der Werbung seien viele Aufnahmen bearbeitet und beschönigt, findet Dawn. "Man läuft Gefahr, den Unterschied zwischen Realität und Abbildung eben nicht mehr zu erkennen", sagt sie. Gerade für die Generation Smartphone gehöre das Selfie bereits fest zum Selbstbild dazu – und das sei bedenklich.
Setzt sich das Selfie nun als Kunstform durch?
Jurorin Juno Calypso ist sich unsicher. "In der klassischen Fotografie wird der Mensch vor der Kamera objektiviert", erklärt die 27-Jährige. Beim Selfie schaue der Fotograf ausnahmsweise auf sich selbst. "Das ist ein einzigartiger Einblick in die Privatsphäre des Menschen hinter der Kamera und eröffnet neue Möglichkeiten", findet Juno.
Vergleiche man die heutigen Selfies mit einem barocken Selbstporträt, liege der Unterschied vor allem im Entstehungsprozess. In einem Tag können wir heute Tausende Bilder von uns machen – Rembrandt wird mehrere Tage für ein Einziges gebraucht haben.
Ist das Selfie Kunst?
"Ein Selfie ist in erster Linie ein Selfie", sagt Juno. Genauso wie ein Tagebuch oder Buch zu Kunst werden kann, könne das auch ein Selfie. "Es kommt immer auf den Kontext an."
Fest steht: Das Phänomen ist heutzutage so präsent wie nie. Und vielleicht hängen deshalb in 100 Jahren die denkwürdigsten Selfies in den großen Museen dieser Welt. "Vielleicht sind sie bis dahin aber auch so normal geworden, dass sie niemand mehr in einer Ausstellung anschauen möchte", überlegt Juno.