MODE Luft weg
Bis zur Schamgrenze hatten Anfang des Monats die Mailänder Modemacher mit ihren Mikro-Minis die Beine der Frauen bloßgelegt. Nun haben die Pariser Top-Stylisten auch noch am anderen Ende die Schere angesetzt. Tiefe Dekolletes, entblößte Schultern und Oberarme sorgten dafür, daß bei den Defilees in der vergangenen Woche die Unterschiede zwischen Kleidern und Badeanzügen kaum noch auszumachen waren.
Aus engen Bustiers quollen pralle Busen - besonders bei den Modellen von Thierry Mugler und Karl Lagerfeld (dem die tonangebende Textil-Postille »Women's Wear« vorwarf, den »glasklaren Stil« des Hauses Chanel mit seinem »Hang zum Kitsch« zu verderben). Mancher Mannequin-Busen war taufrisch. Denn für allzu flach geratene Models wurde mit der neuen Mode der Gang zum Schönheitschirurgen unverzichtbar. Stolz streicheln sie jetzt ihren fast narbenlosen Zugewinn an Oberweite.
Die engsten Kleider aus bunten Blumenstoffen drapierte Emanuel Ungaro, die kürzesten Shorts Claude Montana - »Wem bleibt da nicht die Luft weg?« fragte die »Frankfurter Allgemeine«. Überall schwänzelten die Models in bonbonfarbenen Petticoats und Tulpenröcken mit Spitzenvolants, langen Handschuhen, Strohhüten mit Schleifen und Bouquets über die Laufstege. Freudig erkannte der »Figaro« darin »La Parisienne«, das ewige Mode-Idol der Franzosen wieder. Andere reagierten etwas kühler. Der Moderedakteurin der »Herald Tribune« schien die Begeisterung für »derartige Phantasiegebilde anomal« in einer Zeit, »in der immer mehr Frauen berufstätig sind und Lastwagen fahren«.
Auch der Avantgardist Jean-Paul Gaultier wehrte sich gegen die Frou-Frou-Schwemme, die allzu häufig Unterkleider als Kleider präsentierte. Er führte seinen jubelnden Fans lange überweite Hosen und lange Röcke in trüben Farben vor. Der Kontrast stimulierte eine Journalisten-Jury, Gaultier dafür mit dem Mode-Oscar zu preisen.
Christian Lacroix, der Erfinder von all den Puffs und Schultertüchern, festigte sein Renommee auch ohne Preis. Er verkaufte seine erste eigene kleine Produktion von 2000 Cocktailkleidern mit dem goldenen Etikett »Luxe« innerhalb von drei Tagen. Sie wandern für 5000 bis 16000 Mark pro Stück nach USA, Italien und Frankreich - die »führenden Modeländer« nach Ansicht der Lacroix-Verkäufer. Die deutschen und japanischen Käufer sollen warten, bis Lacroix in sechs Monaten seine schlichtere Konfektion auf den Markt bringt.