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MEDIZIN Lunge im Kasten

US-Mediziner entwickelten eine neue Generation von Herz-Lungen-Maschinen: blutschonend und billig.
aus DER SPIEGEL 21/1971

Das Baby wurde zu früh geboren und war -- so die Prognose der Ärzte -- nicht lebensfähig. Geronnene Eiweißstoffe verklebten seine Lungen.

Als die Atmung des wenige Stunden alten Kindes gänzlich stockte, wagte Dr. John J. White von der Johns Hopkins University in Baltimore (US-Staat Maryland) einen heroischen Eingriff. Er stieß dem Kind Kanülen in die obere Hohlvene dicht am Herzen und in die Nabelvene und ließ das Blut des winzigen Organismus durch eine neuentwickelte Kunstlunge strömen.

Der Versuch brachte White, wie das Mediziner-Fachblatt »Medical World News« formulierte, »einen Weltrekord ein": Mit der Maschine konnte er das Baby zehn Tage lang am Leben halten.

Seit der Kapstädter Chirurg Christiaan Barnard erstmals ein fremdes Herz im Brustkorb eines Menschen zum Schlagen brachte, hat sich die Richtung des medizinischen Fortschritts schon wieder verlagert: Ohne viel Aufhebens davon zu machen, haben Techniker und Ärzte das Arsenal von Apparaten vervollständigt, die außerhalb des menschlichen Körpers arbeiten und die Funktionen von Herz und Lunge unterstützen oder zeitweilig ersetzen.

Der radikale Organersatz, wie Barnard ihn letzte Woche wieder erprobte, hat an Faszination verloren. Und auch die Hoffnung, es ließe sich schon bald ein einpflanzbares, vom Organismus selbst angetriebenes Kunstherz entwickeln, ist geschwunden. Die größten Erwartungen, so resümierte jetzt »Medical World News«, setzen die Forscher auf ein Aggregat, wie Dr. White es bei dem Neugeborenen einsetzte: den sogenannten Membran-Oxygenator -- gleichsam eine Herz-Lungen-Maschine der zweiten Generation.

Bislang wird in den aufwendigen, schwierig zu bedienenden Herz-Lungen-Maschinen das Blut direkt mit Sauerstoff durchsprudelt. Dabei werden die Eiweißbestandteile des Blutes angegriffen und viele der empfindlichen roten Blutkörperchen zerstört. Gewöhnlich kann der Patient nicht länger als einige Stunden angeschlossen bleiben.

Im Membran-Oxygenator hingegen strömen Blut und Sauerstoff, von einer zarten, gasdurchlässigen Plastikfolie getrennt, aneinander vorbei. So ahmen die Aggregate die Arbeitsweise der Lungen nach, in denen durch die Wandungen der Lungenbläschen Sauerstoff aus der Atemluft ins Blut und Kohlendioxid aus dem Blut in die Atemluft diffundieren.

Dabei wird das Blut des Patienten geschont. Der Oxygenator kann für mehrere Tage die natürliche Atmung ersetzen, ohne daß die roten Blutkörperchen zu stark dezimiert werden.

Zwei Wissenschaftler der New Yorker Cornell University, Dr. Arnold J. Lande und der ehemalige U-Boot-Ingenieur Lowell Edwards, haben das bislang brauchbarste Gerät dieser Art entwickelt, zusammen mit dem Cornell-Chirurgen Dr. C. Walton Lillehei.

in einem Kubus von nur 20 Zentimeter Kantenlänge brachte das Mediziner-Techniker-Team die Pumpsysteme und Membranen unter, die sogar leistungsfähiger sind als die menschliche Lunge: Im Landé-Edward-Gerät --Stückpreis: nur rund 200 Dollar -- bewirken drei Quadratmeter Membranfläche hinlänglichen Austausch von Sauerstoff und Kohlendioxid; die Lungenbläschen eines Erwachsenen hingegen haben eine Gesamtoberfläche von mehr als hundert Quadratmeter.

Durchweg, so meinen die amerikanischen Wissenschaftler, werden die neuartigen Atem-Aggregate noch schneller einsatzbereit und leichter zu handhaben sein als herkömmliche Herz-Lungen-Maschinen. So sehen Lande und seine Kollegen die Zeit bald gekommen, da die Kunstlungen bei Notsituationen routinemäßig eingesetzt werden könnten, etwa bei Herzschock oder Atemlähmung nach Unfällen, bei Embolien oder bei Operationen von Kindern mit angeborenen schweren Herzfehlern. Star-Chirurg Lillehei: »Wir werden mehr Menschenleben retten, wenn wir die Hilfsaggregate eher und öfter einsetzen.«

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