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DANDYISMUS Macaroni Club

aus DER SPIEGEL 38/1962

Im Jahre 1824 fälschte er ein Dokument, wodurch er in den Genuß von 5000 englischen Pfund kam, die ihm für fünf Jahre ein Leben im Luxus gestatteten. 1829 starb plötzlich sein Oheim und ein Jahr darauf seine Schwiegermutter. Wenige Monate später war die Erbschaft der beiden durchgebracht. Da verschied die Schwägerin, nachdem sie zuvor in mehrere Lebensversicherungen eingekauft worden war.

Im Londoner Gefängnis, wo er endlich wegen Urkundenfälschung landete

- als Giftmörder wurde er damals noch nicht entlarvt -, vertraute er einem Besucher an: »Sie Geschäftsleute beginnen Ihre Spekulationen und haschen nach dem Erfolg. Einige von ihnen gelingen, einige nicht. Die meinen sind mißlungen, die Ihren Ihnen geglückt; dies, mein Herr, ist der ganze Unterschied zwischen Ihnen und mir.«

Den Herrn mit dieser Lebensphilosophie, den englischen Schriftsteller Thomas Griffiths Wainewright (1794 bis 1852), bezeichnet der heute 64jährige Heidelberger Professor für neuere deutsche Literaturgeschichte Otto Mann in seiner eben erschienenen Analyse des Dandyismus* als einen »überlegenen Dandy": Wainewright stelle zwar ein Extrem dar, an dem »die Ausgeglichenheit dandyhafter Existenz« zerbreche, das »jedoch deren negativ-zynischen Untergrund« erhelle. »Seine Verbrechen entspringen der zynischen Opposition des isolierten, von keinem Außen mehr regulierten Subjekts.«

In der Isolierung von und in der Opposition zu der herrschenden gesellschaftlichen Ordnung sieht Autor Mann

- nicht verwandt mit den Schriftstellerbrüdern Heinrich und Thomas Mann - die Voraussetzung für die Dandy-Existenz: Am Gegensatz zur Demokratie, zum Materialismus moderner Prägung überhaupt, beginne der Dandy sich »seiner kulturellen Aufgabe, seines Selbstwertes, seines Aristokratentums bewußt zu werden«.

Tatsächlich ist der Dandyismus so alt wie die moderne Form der Demokratie: In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts schloß sich eine Anzahl junger Männer aus reichem Hause, die Italien besucht hatten, in London zum sogenannten Macaroni Club zusammen. Ihr Ziel war, die nach ihrer Meinung feineren italienischen Sitten in das puritanische England zu verpflanzen, was sie vornehmlich dadurch zu erreichen suchten, daß sie sich höchst auffällig kleideten.

Die Italomanen trugen zum Beispiel Röcke aus blauem oder braunem Stoff mit Messingknöpfen; die Rockschöße berührten fast die Hacken. Die Hosen waren aus Wildleder und so eng, daß Zeitgenossen spotteten, sie »könnten nur in der Weise ausgezogen werden, wie man einen Aal seiner Haut beraubt«. Ein Paar auf Hochglanz polierte Stiefel, eine Weste, die sehr eng geknöpft war, um die Taille zu betonen, ergänzten den Anzug der Dandys.

Die jungen Dandys behaupteten, das elegante Leben der Rokoko-Gesellschaft, mit der die französische Revolution von 1789 ziemlich jäh Schluß gemacht hatte, sei dem bürgerlich-merkantilen Alltag der Gegenwart vorzuziehen; die Tugenden des sich etablierenden Bürgertums - Besitzstreben, Fleiß und Pünktlichkeit - lehnten sie als primitiv ab.

Die bürgerlich orientierte Londoner Gesellschaft, vor deren solidem Hintergrund sich die bunt geschmückten Nichtstuer allzu deutlich abhoben, revanchierte sich, indem sie diesen Beats des vergangenen Jahrhunderts einen abschätzigen Namen gab: Der Begriff Dandy kam zwischen 1813 und 1816 in London auf.

Das Wort soll von dem englischen Verb dandle (tändeln, hätscheln) abgeleitet sein; eine andere Lesart besagt, es stamme von dem französischen Substantiv dandin, das Einfaltspinsel, Laffe und Geck bedeutet. Einer englischen Definition aus dem Jahre 1819 zufolge ist der Begriff nach einer alten englischen Silbermünze gebildet, die »dandiprat« hieß und wenig wert war.

Allerdings, so erklärt der Literatur -Professor Mann, identifizierte bald nur noch die »populäre Auffassung« den Dandy »mit dem Vertreter übertriebener Mode«. In Wahrheit sei der Dandy viel mehr, nämlich der »Heros gesellschaftlichen Niedergangs«, dem ein »urbanisierter Stoizismus als sichere Grundlage gesellschaftlicher Haltung« gilt. In einer Umgebung, in der Menschen nach ihrer Arbeit und Leistungsfähigkeit beurteilt werden, fühle sich der verfeinerte »ästhetische Spättypus« ohnmächtig; wenn er diese Ohnmacht dadurch kompensiere, daß er sich seinen stärkeren Zeitgenossen dennoch überlegen fühle, so sei er ein Dandy.

Einen vollkommenen Dandy, der erreichte, daß sein eigenes Superioritätsgefühl von anderen akzeptiert und allgemein respektiert wurde, hat es aber nur ein einziges Mal gegeben: den englischen Offizier und Diplomaten George Bryan Brummell (1778 bis 1840)

Brummell, der aus mittleren Verhältnissen stammte und durch die Gunst des

Prince of Wales - des späteren englischen Königs George IV. - in die Londoner Hofgesellschaft kam, verwendete eine in der Neuzeit nie wieder erreichte Sorgfalt auf seine äußere Erscheinung. Er hielt sich etwa drei Friseure: einen für den Hinterkopf, einen für die Stirnlocken und einen für die Schläfen.

Aber Brummell leistete sich solchen Aufwand nicht, um durch auffällige Kleidung die Bürger Londons zu schokkieren. Ihm kam es im Gegenteil darauf an, den bürgerlichen Anzug zu letzter Vollkommenheit und Eleganz auszubilden. Es blieb nicht aus, daß die Herren der Gesellschaft ihn, willig oder unwillig, als verbindliches Modevorbild akzeptierten.

Brummell war ungefähr 15 Jahre lang, ehe er 1816 vor seinen Gläubigern nach Calais fliehen mußte, der uneingeschränkte Modediktator Londons. Auf ihn geht die Vorherrschaft der englischen Herrenmode zurück, und der englische Dichter Lord Byron (1788 bis

1824) hat sogar die Frage gestellt, ob Brummells historische Rolle nicht gewichtiger sei als die Napoleons I.

Seine gesellschaftlichen Auftritte stilisierte Brummell raffiniert. Sein Grundsatz: »Bleibe, bis du gefallen hast, aber ziehe dich im Moment nach deinem Erfolge zurück.«

Brummells Macht über die Londoner Gesellschaft - der Prince of Wales weinte, wenn sein Freund an seinem Anzug etwas auszusetzen hatte - war so etabliert, daß Brummell sogar eine Kraftprobe gegen den späteren König gewann. Er erklärte, er habe den Prinzen zu seiner jetzigen Stellung emporgehoben und könne ihn jederzeit, wenn es ihm beliebe, zurückschleudern. Als Brummell beim Prinzen in Ungnade gefallen war und er ihm auf einer Londoner Promenade begegnete, wandte sich Brummell an einen Bekannten und fragte laut und vernehmlich, wer der fette Mann gewesen sei. Brummells böses Wort kursierte schnell: Der Blamierte war der Prinz, den, wie bekannt

war, seine zunehmende Fettleibigkeit genierte.

Keiner der zahlreichen Nachfolger hat sich je zu einer vergleichbaren gesellschaftlichen Macht emporschwingen können. Viele fanden einen Ersatz im Umgang mit den raffinierten Spielregeln der Kunst und der Literatur - so Oscar Wilde (1856 bis 1900), so Charles Baudelaire (1821 bis 1867); einige andere gingen von der Kunst noch einen Schritt weiter - zur jahrhundertealten Kultur des Katholizismus. Der Verfasser des berühmt-berüchtigten Romans »Là-Bas«,

Joris Karl Huysmans (1848 bis 1907),

wurde Mönch, und auch der französische Romanschriftsteller Jules Amédée Barbey d'Aurevilly (1808 bis 1889), der die erste Brummell-Biographie schrieb und in seiner Jugend durch seine elegante Kleidung und sein aristokratisches Benehmen auffiel, ging in die Kirche. Otto Mann: »Barbey d'Aurevilly hat nach dekadenter Art im Leiden Erlösung gesucht.«

Deutschlands prominentester Dandy, der Schriftsteller Hermann Fürst von Pückler-Muskau (1785 bis 1871), nach dem das Fürst-Pückler-Eis benannt ist, konnte sich ein Leben nach eigenem Geschmack leisten - sein Vermögen verschaffte ihm den Umgang mit der Gesellschaft, die er schätzte, oder die Einsamkeit, wenn ihn danach verlangte.

Gemeinsam war den englischen, französischen und deutschen Dandys das Ideal äußerster spiritueller und geschmacklicher Verfeinerung und der Hang zu nur wenigen zugänglichem, raffiniertem Genuß. Von Brummell und Wainewright bis zu Oscar Wilde sind die meisten an der Realisierung ihres Ideals letztlich finanziell gescheitert.

Aber sogar Thomas Griffiths Wainewright, der sich einige Jahre Dandy -Existenz nur durch Giftmorde verschaffen konnte, glaubte von sich, bevor er in die Verbannung nach Tasmania geschickt wurde, wo er im Jahre 1852 starb: »Ich habe mir vorgenommen, stets in meinem Leben ein Gentleman zu sein. Ich bin es immer gewesen; ich bin es noch heute.«

* Otto Mann: »Der Dandy: Ein Kulturproblem der Moderne«. Wolfgang Rothe Verlag, Heidelberg; 152 Seiten; 12 Mark.

Modediktator Brummell

Statt Bürgertugenden ...

Schriftsteller von Pückler-Muskau

... ein aristokratischer Hang

Dichter Baudelaire

..zu raffiniertem Genuß

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