VERLEGER Mach 'ne Fliege
Das ist Quatsch, damit habe ich nichts am Hut«, kommentierte Vito von Eichborn, 44, die beschwörenden Reden bei der diesjährigen Frankfurter Buchmesse, die mal wieder den Niedergang der Lesekultur geißelten und die »Leseförderung« zu »einer nationalen Angelegenheit« bauschten. Der Chef des Frankfurter Eichborn-Verlages sieht seinen Job schlichter: »Wir machen Bücher, die wir mögen, und die verkaufen wir, am liebsten massenweise.«
Das gelingt dem Büchermacher ziemlich gut. Mit Satire- und Nonsens-Büchern zieht Eichborn vor allem jene jugendliche Klientel in die Läden, deren geschwundene Leselust den Kulturpolitikern und Buchhandel-Lobbyisten so tiefe Sorge macht.
Er gehört zu den raren Neu-Verlegern, die in dem rauhen Buchmarkt erfolgreich gestartet sind. Im siebten Jahr seines Bestehens bringt es der Verlag auf knapp sieben Millionen Mark Umsatz und, inzwischen, auch auf schwarze Zahlen.
Was die Eichborn-Kasse brummen läßt, kümmert sich demonstrativ nicht um Niveau und Geschmack, spiegelt vielmehr die Lebensgefühle der jungen Generation wider und trifft offenkundig deren Ausdruck.
Spitzenreiter ist die »Total tote Hose«, 300000 Bücher sind davon verkauft. 600000mal sind die »Sponti-Sprüche über den Ladentisch gegangen. Die Sprüche-Bücher im Kleinformat passen in die Jackentasche, lassen sich bequem auf dem U-Bahnhof lesen und kosten fünf Mark das Stück.
Bücher-Freak von Eichborn wehrt sich dagegen, »zwischen U- und E-Literatur zu unterscheiden«. Ihm gefällt nahezu alles - »der reine Blödsinn wie der subversiv-anarchische Witz, die Literatur, wenn sie nicht blutleer ist, wie die nützliche Information, wenn sie zugleich unterhaltsam ist«.
Seine Autoren haben den quirligen Verleger in einer satirischen Geburtstags-Hommage als »New-Wave-Linken mit dem B-Ebenen-Flair« oder als »Großmotzoberrotz« beschrieben. Jeder, der mit ihm zu tun hat, lobt sein
Talent, Buch-Ideen im Gespräch zu entwickeln und sie beredsam auch eingangs skeptischen Autoren nahezubringen.
Sachsenhausener Nächte sind lang, zu einem Bohemien fehlt es dem trinkfesten Büchermacher aber an Faulheit. Was die Arbeit angeht, ist er so unheilbar konservativ wie der Workaholic in einem Unternehmensvorstand .
Sein Verlagsbetrieb mit inzwischen zwölf Angestellten ist auf zwei Stockwerken in einem alten, mit Knöterich und Rosen bewachsenen Gärtnerhaus am Sachsenhäuser Landwehrweg untergebracht. Es gehört ihm und seinem Freund und engsten Mitarbeiter Uwe Gruhle. Der studierte Betriebswirt und Literatur-Liebhaber arbeitete in so unterschiedlichen Firmen wie der Montanus-Buchhandelskette, 2001, dem S. Fischer-Verlag und der Büchergilde, bevor er zu Eichborn stieß: »Vito ist der Macher, ich bin der Bremser.«
Flexibel und risikobereit - wie bei Erfolg heißt, was bei einem schlechten Ausgang labil und sprunghaft genannt wird - war von Eichborn schon früher gewesen. 1968 brach er sein Studium der Germanistik und Theaterwissenschaft ab und stieg für drei Jahre in die Praxis des Tageszeitungs-Journalismus ein.
Nach einem Aussteiger-Intermezzo in Spanien landete von Eichborn 1973 als Lektor beim Fischer-Taschenbuch-Verlag. Er betreute den »Werkkreis Literatur der Arbeitswelt«, gab Märchen- und Liederbücher heraus und gründete die Reihe »Mein Lesebuch«, in der Schriftsteller wie Heinrich Böll, Alfred Andersch und Hubert Fichte ihre Lektüre-Vorlieben präsentierten.
Die Bürokratie in dem Großverlag nervte auf die Dauer den ungeduldigen Macher: »Die ewigen Konferenzen, auf denen die schönsten Projekte zerredet wurden« trieben ihn schließlich aus dem sicheren Sessel des S. Fischer-Verlags.
Auf der Buchmesse des Jahres 1979 traf er mit dem promovierten Betriebswirt Matthias Kierzek einen passenden Partner, da er selbst damals »vom Kaufmännischen nicht die Bohne verstand«. Kierzek, Jahrgang 1950, war gerade dabei, die von seinem Vater geerbte Druckerei namens Fuldaer Verlagsanstalt weiter auszubauen. Die beiden wurden sich rasch einig und gründeten, halbehalbe, die Vito von Eichborn GmbH & Co. Verlag KG mit einem Kapital von 400000 Mark.
Die Finanzierung des jungen Unternehmens war für den Druckerei-Besitzer keine größere Schwierigkeit. Von Eichborn hingegen setzte alles, was er hatte, auf diese eine Karte. Seine 200000 Mark
erlöste er aus einer geglückten Spekulation. Mit »fast nichts als Schulden und blindem Mut« hatte er ein Mietshaus gekauft, das er nun dank einer gütigen Entwicklung des Frankfurter Immobilienmarktes »mit einem guten Schnitt« wieder verkaufte.
Als Signet für sein Unternehmen dachte sich der Neuverleger eine Fliege aus. Bis heute wird kolportiert, daß ihm dies eingefallen sei, als in der Vorbereitungsphase fast jeder, den er um Rat fragte, fand: »Du bist verrückt. Mach 'ne Fliege.«
Das erste Programm wies den Allesfresser Eichborn eindeutig aus. Es ging querbeet durch die Buchsparten: Lyrik, Romane, Sachbücher, auch politische Literatur, Nachschlagewerke, Humor und Satire.
Ein Renner war der Bildband über »Domenica«, die stadtbekannte Hure aus der Hamburger Herbertstraße, die der Dichter Wolf Wondratschek als wahre Revolutionärin besungen hatte: »Wenn sie mit ihrem Hintern wackelt, fließen die Flüsse bergauf.«
Aber bald erwies sich, daß eine Domenica allein den Verlag nicht nähren konnte. So ausladend sie dem Leser auch entgegenkam, sie konnte »Die ungeliebten Dichter« (eine politische Dokumentation) und »Die Frau in den Dünen« (Roman des japanischen Autors Kobo Abe) sowie andere Flops nicht ausreichend alimentieren. Drei Viertel der über 100 Bücher, die in den ersten drei Jahren produziert wurden, machten sich auf den Lagerpaletten breit: »unverkäuflich«. Das Wasser floß weiter bergab.
Das Handicap, ohne Fundus von alten Buchrechten und bekannten Autoren auskommen zu müssen, drückte den Verlag 1983 tief ins Minus. Da halfen weder die »Sponti-Sprüche«, die sich in warme Semmeln verwandelten, noch andere Bücher wie »Tante Linas Kriegskochbuch«, die sich achtbar verkauften.
Verlagspartner Kierzek, der schon eine Dreiviertelmillion dazugebuttert hatte, verweigerte sich weiteren Abenteuern. Da geschah das Wunder, wie vom Allerhöchsten selber inszeniert. »Der Große Boß« führte die Wende herbei. Unter diesem Titel hatte der Allesschreiber Fred Denger, Jahrgang 1920, im jugendanbiedernden Zungenschlag, teils »Bravo«, teils Udo Lindenberg, das Alte Testament nacherzählt.
An das Manuskript traute sich zunächst kein Verlag ran. Da griff Eichborn zu - und siehe, es ward gut: »Der Boß« fand 125000 Käufer. Kommentar des glücklichen Verlegers: »Sex und Crime gehen immer.«
Neben dem unheiligen Knüller verzeichnete der Verlag noch weitere Bestseller: »Schummeln - aber richtig!«, ein Ratgeber für Schüler und Lehrer; »English for Runaways«, eine Spruchsammlung aus dem Lübke-Englisch; »Dünnbrettbohrer in Bonn«, eine Zusammenstellung von Ausrissen aus Politiker-Dissertationen; und vor allem die »Total tote Hose«, in der Uta Claus die schönen deutschen Märchen so »bockstark« ins Sponti-Milieu der Alternativbewegung verfremdete, »daß es voll reinknallt«.
Der Umsatz wuchs, und der Verleger sah sich bestätigt: »Die Menschen wollen lachen, essen, wohnen, vögeln, trinken und nicht immer nur die große Theorie abgehen lassen.«
Erfolge goß Eichborn wie einen Mehrfach-Teebeutel immer aufs neue auf; Trend-synchron fanden sich auch immer mehr Cartoon-Bücher, dazu ständig neue Sammlungen von Witzen und Sprüchen, thematisch gebündelt, von Klein Erna bis Kohl.
Nur allmählich gewinnen auch jene Bücher mehr Beachtung, mit denen sich Eichborn an dem Schwall der gedruckten Umweltbewegung und Ratgeber-Literatur beteiligt. Daß ihm das Image eines wirbelwindigen Verlegers für Szene-Klamauk und Schummeltips anhängt, gefällt von Eichborn nur in Maßen, denn er probt weiter den Spagat und intensiviert mit den Spaß-Gewinnen die literarischen und politischen Seiten seines Verlagsspektrums.
Amerikanische Literatur ist teilweise in hochwertig ausgestatteten Ausgaben zu haben. Bisher sind sechs Bücher von Richard Brautigan erschienen, jenem sanft verrückten Autor in San Francisco, der sich 1984 erschoß und weit mehr ist als ein Kult-Schriftsteller der Hippie-Bewegung. Bis 1991 soll die 13bändige Werkausgabe komplett sein. Auch das neue Buch ("Filmriß") von William Kotzwinkle, dem Autor des Romans »E.T.«, ist in diesem Herbst bei Eichborn herausgekommen, ebenso ein bisher in Deutschland noch unveröffentlichtes Buch von Tom Wolfe.
Die in diesem Jahr eröffnete »Scarabäus«-Reihe des Verlags, die von dem Ex-»Pflasterstrand«-Redakteur Albert Sellner (Pseudonym: Emil Nichtsnutz), 42, herausgegeben wird, erhebt den Anspruch, die laufenden Auseinandersetzungen um Zeitgeist und Postmoderne intellektuell zu nähren. Besonders geeignet dafür: das Buch von Gerd Koenen ("Die großen Gesänge"), das mit den Kniefällen linker Literaten für sozialistische Diktatoren abrechnet, sowie das »Pamphlet gegen die öffentlichen Harmoniestifter«, das der Kabarettist Matthias Beltz beigesteuert hat.
Ständig witternd und schnuppernd hat der rastlose Verleger schon wieder die nächsten Projekte im Sinn: Das Geschäft mit Hörkassetten »würde mich reizen« und, was geradezu umwälzend klingt, den deutschen Cartoon-Humor ins Ausland zu exportieren.