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Fernsehen Machtspiel der Gaukler

Bilder wie Dürer-Gemälde, Orgien aus Licht und Kostümen: Das Wiedertäuferspiel »König der letzten Tage« bietet ungewöhnliche TV-Perfektion.
aus DER SPIEGEL 46/1993

Pest, Mißernten, am Himmel ein Riesenkomet. Hie Luther, neuer Prophet oder fürchterlicher Ketzer, dort der Papst, geistliches Schwert oder leibhaftiger Antichrist. Dazwischen die Menschen: aufsässige Bauern, brutale Landsknechte, verderbte Fürsten, bizarre Schwarmgeister, selbsternannte Heilige, beunruhigte Städter - der Spätherbst des Mittelalters, eine Zeit der Stürme.

Auch geistig braust es gewaltig, seit der Doktor aus Wittenberg die Bibel dem Klerus entrissen und dem Volk zugänglich gemacht hat. Auf einmal wollen viele auf eigene Faust in den Himmel, Thomas-Münzer-Anhänger, Flagellanten, Wiedertäufer. Und alle haben es eilig, denn Endzeitstimmung hat das Volk erfaßt.

Die Offenbarung des Johannes, diese gewaltige Vision von Feuerstürmen und Engelsposaunen, liefert die Grundmelodie zum Totentanz auf dem Vulkan. Vergebens verteufelt der inzwischen als Fürstenknecht verspottete Luther die Apokalypse als »Gauklermeister Rottensack«. Die alten Ordnungen sind dahin, es herrschen Verwirrung und sektiererische Gewißheit, Sehnsucht nach ewigem Frieden und dumpfe Gewalt.

Mehr als 400 Jahre ist das her und könnte doch auch heute sein. Keine Spur gegenwärtig von dem Selbstbewußtsein, mit dem die Aufklärung das Mittelalter als finster abtat.

Der mediävale Boom, der vor einigen Jahren den Buchmarkt beflügelte, war inspiriert von antimodernen Affekten: Die Gegenwart sollte ihr Überlegenheitsgefühl fahren lassen und statt dessen von der Unbefangenheit einer Epoche lernen, die Menschen weder in Kleinfamilien sperrte noch durch eine Verschulung vom Leben trennte. Besonders französische Historiker wie Philippe Aries arbeiteten mit Inbrunst an Sittengeschichten jener Epoche.

Dieser Geist bestimmt auch das 1981 in Paris veröffentlichte Buch der französischen Journalisten Pierre Barret und Jean-Noel Gurgand. Es protokolliert die dramatische Geschichte der Wiedertäufer in Münster. Zeitgleich mit der Ausstrahlung des ZDF-Zweiteilers »König der letzten Tage"* erscheint es jetzt auf deutsch im Hamburger Kabel Verlag**.

»In Münster«, schrieb Ernst Bloch in seinem Buch über den »Theologen der Revolution« Thomas Münzer, »erschien, mit nachstoßender plebejischer Wut und Phantasie, das merkwürdigste Unbedingte, alles Kleinbürgerliche überhöhend; es erschien mitten im Narrenparadies ein Bewußtsein von Ankunft eines letzten Advent. Das Patriziat war abgesetzt, und während ringsum die Bauernfessel schnitt, machte eine Stadt der roten Erde das letzte Abenteuer, wehrhaft und rasend radikal.«

In der Tat: Der von Leo Kirchs ZweiteUnitel produzierte König der letzten Tage ist ein bizarres Endspiel. Der Bauernaufstand ist längst von den Fürsten niedergekämpft, Münzer enthauptet, als 1534 in der reichen Hansestadt Münster die Wiedertäufer die Macht ergreifen. Ein hergelaufener Schankwirt aus Holland namens Jan Bockelson ruft sich zum König aus und läuft als juwelenübersäter Christusgötze durch die Stadt.

Seine kurze Herrschaft ist eine Mischung aus chiliastischer Ekstase, beschwörenden Predigten, sektenhaften Exzessen, Vielweiberei eingeschlossen. Gleichzeitig hat die Wahnherrschaft eine despotische Methode: Wer der Glaubenshysterie widersteht, wird beseitigt. Schließlich ist die Stadt ausgehungert und erschöpft, und der Fürstbischof Graf Waldeck beendet mit einem marodierenden Söldnerheer den Spuk.

Den Spuk? Das Ende der Schwarmgeister-Herrschaft bedeutete zugleich den Beginn des Jahrhunderte dauernden Marsches des deutschen Bürgertums in die Innerlichkeit. »Freiheit geriet unsichtbar, sich ins Ausweichende, Vereinzelnde, Unexemplarische, Verborgene abreagierend, in die einsame Seele«, klagt Bloch.

Revolutionäre Trauer ist Regisseur Tom Toelle und seinem Drehbuchautor Manfred Purzer fremd. Sie interessieren sich auch nicht für Glaubensfragen. Ihre phantastische, 16 Millionen Mark teure ** Pierre Barret, Jean-Noel Gurgand: »Der König _(der letzten Tage«. Kabel Verlag, ) _(Hamburg; 320 Seiten; 39,80 Mark. * Teil ) _(I: Mittwoch (Buß- und Bettag), 20.15 ) _(Uhr; Teil II: Sonntag, 19.30 Uhr. ) Orgie aus Farben und Kostümen, Massenszenen und magischen Kamerablicken ist so gottlos wie das Medium Fernsehen, das alles Innere nach außen kehrt.

Folgerichtig macht das gegen jede Theologie mißtrauische Drehbuch aus den Führern der Wiedertäufer Darsteller, deren Risiko darin liegt, Rolle und Wirklichkeit zu verwechseln. Das widerfährt dem übergeschnappten Narren-König Jan van Leyden, alias Bockelson (Christoph Waltz). Es gibt den alternden Propheten-Mimen Jan Matthys (Olgierd Lukaszewicz) und den ehrlich bleibenden, weiter im Theaterkarren lebenden Schelm Sebastian Kien (Otto Kukla), eine Art modernen Beobachter.

Ferner mischen beim Machtspiel der Gaukler eine gute (Deborah Kaufmann) und eine böse (Charo Lopez) Geliebte mit, dazu der wankende Bürgermeister Knipperdolling (Omero Antonutti) und dessen standhafte Tochter. Gegen das Münsteraner Täufer-Theater steht bärtig, kompakt, brutal und schlau Mario Adorf als zuletzt siegreicher Bischof.

Dennoch - was an diesem in Prag, Eger, Pilsen und Tabor gedrehten Opus überzeugt, ist nicht die Handlung. Es ist der Versuch, die Bilder von Albrecht Dürer, Hieronymus Bosch und Albrecht Altdorfer das Laufen zu lehren.

Einstellung für Einstellung beschwören Theo Bierkens (Kamera), Jan Kott (Ausstattung) und Gudrun Schretzmeier (sie bot für die Auftritte von 15 000 Komparsen 20 000 Kostüme auf) die Ikonographie der alten Meister. Feuerrot dräut Adorf als katholischer Rächer, gülden fließt das Haar der guten Geliebten über das weiße Gewand, und Darsteller Waltz schaut wie der Gekreuzigte von alten Kruzifixen in die Szene.

Die gieblige Enge Münsters, das mystische Licht der Dome, die Bedrohlichkeit eines Holzgerüstes, von dem herab der Bischof gegen die Mauern der belagerten Stadt predigt - soviel optische Perfektion gab es selten im deutschen Fernsehen zu sehen.

Jede Zeit blickt in ihre Vorwelt wie in einen Spiegel. Das tut auch dieser Film. Der Schluß, die qualvolle Hinrichtung Jan van Leydens, offenbart geheime Sehnsüchte unserer Epoche. Toelle zeigt voller Inbrunst, wie Henkersknechte das nackte Fleisch des gemarterten Schwarmgeist-Königs mit glühenden Zangen traktieren. Schließlich erlöst der Künstlerfreund Kien den Gequälten mit einem Messerstich.

Die Beschwörung von Gewalt, Schmerz und Nacktheit wirkt wie der vergebliche Versuch der Gegenwart, sich vom Zwang zu erlösen, immer nur Bilder zu erzeugen: als sei nur so Authentizität zu erreichen.

Doch das bleiche Antlitz des toten Jan van Leyden gerät wieder zur Ikone. Y

** Pierre Barret, Jean-Noel Gurgand: »Der König der letzten Tage«.Kabel Verlag, Hamburg; 320 Seiten; 39,80 Mark. * Teil I: Mittwoch(Buß- und Bettag), 20.15 Uhr; Teil II: Sonntag, 19.30 Uhr.

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