RIEMENSCHNEIDER Madonna und Marktfrau
Liewe Leut, sündteuer is des Stück: dreihunnertfufzigtausend Mark. Des is e Betrag«, schimpfte Mitte November die Würzburger »Marktbärbl« im fränkischen Dialekt. Unter dem »Stück« verstand sie »e Hausmadonna vom Riemenschneider, vo dem der Adam un die nackerte Eva uf der Festung stamme«.
Die »Marktbärbl«, deren Attacke später zum Gegenstand einer Würzburger Stadtratssitzung wurde, ist eine von der Zeitung »Main-Post« erfundene Figur, eine deftige Obsthändlerin, unter deren Signum die Redaktion lokale Glossen veröffentlicht, die in traulichem Dialekt abgefaßt sind.
Die dralle Obstfrau, der von der Redaktion wohl kaum ein besonderer Kunstsinn, dagegen ein außergewöhnliches Maß an gesundem Menschenverstand zugedacht ist, hatte sich diesmal über einen ungewöhnlich kostspieligen Beschluß des Würzburger Stadtrates mokiert. In geheimer Sitzung war gegen nur eine Stimme beschlossen worden, für das »Mainfränkische Museum« in Würzburg eine Plastik von Tilman Riemenschneider um den allerdings außerordentlich hohen Preis von 350 000 Mark anzukaufen. »In ganz geheimer nichtöffentlicher Sitzung (es geht scho wiedr an)«, beschwerte sich die »Bärbl«, »damit die Leut nit erfahre, was mit ihre, Steuergelder g'schieht.«
Nun fühlt sich die Stadt Würzburg dem Werk und Erbe des Bildhauers,und Bildschnitzers Riemenschneider besonders verpflichtet. Der etwa 1460 in Osterode (Harz) geborene Künstler hatte sich bereits 1483 als Geselle in Würzburg niedergelassen und es in der Stadt nicht nur auf nacheinander vier Ehefrauen, sondern auch bis zum Ratsherrn gebracht; in den Jahren 1520 und 1521 war er sogar Bürgermeister von Würzburg.
Die Vorgänger der Stadtväter, die heute für eine Madonnenstatue Riemenschneiders den für gotische Bildwerke außergewöhnlich hohen Preis einer Drittelmillion zu bezahlen gedenken, schlossen den Ratsherrn Riemenschneider im Jahre 1525 aus ihrem Kreise aus und schickten ihn auf die Folterbank, seiner protestantischen Gesinnung wegen. Nach dieser peinlichen Prozedur war Riemenschneider, der als namhafter Meister spätgotischer Schnitzerei in Deutschland gilt, bis zu seinem Tode im Jahre 1531 zu keiner künstlerischen Produktion mehr fähig.
Bis dahin aber war von Riemenschneiders Hand, vor allem aber aus seiner Werkstatt, ein kräftiger Strom von Bildwerken
- Altären, Madonnenbildern, Grabmälern, Reliefs und Schnitzereien - geflossen, der sich über Würzburg und das Gebiet von Mainfranken bis nach Bamberg ergoß, wo Riemenschneider das Grabmal für, den, deutschen Kaiser Heinrich II. und dessen Frau Kunigunde modellierte.
Der Entdeckerfreude des 20. Jahrhunderts, das für den frommen und mystischen Geist der Gotik einen besonderen Sinn entwickelte, blieb breiter Spielraum. Die von Riemenschneider stammenden oder ihm zugeschriebenen Werke, die der Forschung um die Jahrhundertwende bekannt waren, haben sich inzwischen um eine beträchtliche Zahl neuentdeckter echter oder vermeintlicher Riemenschneider-Originale vermehrt. Beim Brand der Stadt Würzburg in den letzten Tagen des vergangenen Krieges sind allerdings sieben Werke Riemenschneiders zerstört worden.
Die etwa anderthalb Meter hohe Steinplastik Riemenschneiders, eine Madonna mit Kind, die auf Betreiben des Museumsdirektors Dr. von Freeden nun für das »Mainfränkische Museum« in Würzburg erworben wurde, ist freilich keine Neuentdeckung. Riemenschneider hat sie um 1515 für eine Stiftskirche der Bischofsstadt Würzburg in Stein gehauen.
Von dort ist sie in Privatbesitz übergegangen: Ein Würzburger Bildhauer, dessen Altstadt-Haus von der Figur geziert wurde, nahm die Plastik im vergangenen Jahrhundert bei seinem Umzug nach Österreich mit. Dort verlor sich ihre Spur durch mehrere private Besitzwechsel - nach Gerüchten, die ihren Niederschlag in einem von der »Main-Post« veröffentlichten Leserbrief fanden, wurden dabei nur »dreistellige Markzahlen«, also einige Hundertmarkscheine, gezahlt.
Aus Oberitalien kam die Madonna in Schweizer Privatbesitz, wo sie blieb, bis der Münchner Kunsthändler Julius Böhler den Verkauf der Statue an die Stadt Würzburg vermittelte. Diesmal war der inzwischen sechsstellige Preis nicht nur gerüchtweise bekannt: Er betrug 350 000 Mark.
Der Würzburger Oberbürgermeister, der in den letzten Novembertagen den Stadtrat über den vollzogenen Kauf informierte und die aufgewendete Summe nannte, erläuterte zugleich, warum bis dahin geheim verhandelt worden war: Die Verkaufsverhandlungen sollten nicht gestört werden. Wenn bekanntgeworden wäre, daß sich Würzburg um die Madonna bemühe, hätten sich vielleicht für diese »wohl reifste Darstellung des (Madonnen-)Motivs, die Til gegeben hat«, auch noch andere Interessenten gefunden.
Dem Oberbürgermeister pflichtete der Ratsherr und hauptberufliche Würzburger Psychologieprofessor Dr. Wilhelm Revers bei, der sich vor allem gegen die Argumentation der »Marktbärbl« wandte. Er warf
der fiktiven Apfelhändlerin Unsachlichkeit vor und nannte ihr Räsonieren einen »Angriff gegen die gute Tat«. Insbesondere die Bemerkung, es gehe hier um Steuergelder, schien ihm unangemessen.
Tatsächlich ist es der Stadt gelungen, den weitaus größten Teil des Kaufpreises auf andere Geldgeber abzuwälzen. Von der Gesamtsumme (350 000 Mark) übernahmen die Bundesrepublik 100 000, der Staat Bayern 80 000 und der Bezirksverband Unterfranken 40 000 Mark, die freilich ebenfalls aus Steuermitteln stammen. Von der Industrie wurden für »die gute Tat« 50 000 und vom Bayrischen Rundfunk 20 000 Mark gespendet, so daß die Stadt Würzburg nur noch die Restsumme von 60 000 Mark aufzubringen braucht.
Es war ein Universitätskollege des Psychologen und Ratsherrn Dr. Revers, der die Ansicht der »Marktbärbl« durch eine fachliche Auskunft untermauerte. Der Würzburger Kunsthistoriker Professor Dr.
Kurt Gerstenberg, Verfasser eines Buches über Tilman Riemenschneider, gab auf Anfrage eines Würzburger Ratsherrn eine Meinung kund, die den Ankauf der Riemenschneider- Statue vielleicht als »gute«, aber kaum noch als günstige Tat erscheinen läßt.
Kunsthistoriker Gerstenberg erklärte: »Herr Stadtrat Stein wandte sich an mich, und ich habe ihm gesagt, daß ich den Ankauf nicht für glücklich halten kann, weil er mir im Hinblick auf die Qualität um ein Vielfaches überzahlt erscheint. Es ist auch nicht richtig, wenn man in der hiesigen Presse nun darauf hinweist, daß für Gemälde französischer Impressionisten ähnlich hohe Preise bezahlt werden, denn das sind Werte, die in Amerika aufs höchste geschätzt werden, wovon aber bei deutscher Plastik des späten Mittelalters nicht die Rede sein kann.« Gerstenberg meint, für diese Madonna seien bestenfalls 40 000 Mark als Kaufpreis vertretbar.
Madonnenstatue von Riemenschneider
»Sundteures Stück«
Kunsthistoriker Gerstenberg
350 000 Mark sind zuviel