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FILM Mafia auf dem Boulevard

»Die Ehre der Prizzis«. Spielfilm von John Huston. USA 1985. Farbe; 129 Minuten. *
aus DER SPIEGEL 5/1986

Das Dilemma der meisten Mafia-Filme, vom »Paten« angefangen, besteht darin, daß sie gleichzeitig grausamblutrünstig und mitfühlend-sentimental sein wollen und (wohl auch) sein müssen. Der Zuschauer wird genötigt, dem tränenreichen Abschied von sterbenden Killern beizuwohnen, die ihrerseits vorher mit der Maschinenpistole grausige Bluternten unter ihren Feinden veranstaltet haben.

Mafia-Filme dämonisieren das Böse, indem sie den Tod ihrer Figuren in hierarchische Klassen einteilen: manche sterben, weil es so schön gefährlich aussieht, im Dutzend billiger, andere sterben, indem sie mit Tränen in den Augen »Mamma« seufzen und von ihrer Mama ebenso tränenfeucht beseufzt werden.

Auch John Hustons Mafia-Film »Die Ehre der Prizzis« weicht der italienischen Familiensentimentalität nicht aus, im Gegenteil. Er watet förmlich in Opernklang und Blutsbrüderbrimborium, Heirat mit weißgekleideter Braut, tenoralem »Ave Maria« und heimischem Spaghetti(mit Tomaten)-Schmaus.

Und auch ganz schön blutrünstig geht es zu bei den Prizzis, die unter den New Yorker Mafia-Familien die tonangebende und rangälteste sind, sozusagen uralter Killer-Adel. Da wird auf Bestellung gemeuchelt und gerächt ganz nach guter alter sizilianischer Hausmacherart.

Das Neue an Hustons Film ist nur: Er entmythologisiert die Mafia, indem er sie

der Lächerlichkeit preisgibt, ohne damit ihre Bestialität zu beschönigen oder gar zu verschweigen. Hustons Verfahren ist dabei ebenso einfach wie überzeugend: Er gibt den Killern keine dämonische Aura, und er stattet sie auch nicht mit ihren Millionen und Abschußlisten wie mit Insignien aus.

Er zeigt sie als dumme Normalmenschen, die sich in gräßlich geschmacklosen Wohnungen und Villen verkriechen, die sich bei ihren Liebesgeschichten aufführen wie kitschige Ladenschwengel und ihre düsteren Geschäfte nicht anders abwickeln als einen Handel mit Schuheinlagen oder Klosettbürsten.

Nicht mal die Mafia-Feiern unterscheiden sich von trostlosen Betriebsfesten mit Tusch und Ansprache des klapprigen Seniors und Tanz zu den Klängen einer Bums-Kapelle.

Dabei ist die Geschichte besonders schön schaurig. Und der 79jährige Huston (manche Kritiker lagen nach seinem Film »Unter dem Vulkan« schon mit der Vokabel »ausgebrannt« auf der Lauer) hat sie unverschnörkelt, kraftvoll, mitreißend erzählt.

Sie handelt von dem Prizzi-Patensohn Charley Partanna, der besonders krude Aufträge der Familie besonders geräuschlos und blutig abwickelt, der sich in eine polnisch-stämmige Blondine während irgendeiner Prizzi-Hochzeit in New York verliebt und am nächsten Tag schnell mal für einen Cocktail und ein Abendessen bei Mariachi-Musik nach Los Angeles jettet, um der Blondine zu sagen: das sei die große Liebe und er würde weder den Drink noch die Musik je vergessen.

Und schon wälzen sich die beiden, in jäher Leidenschaft über den Teppich, und das Unglück nimmt seinen Lauf. Denn auch sie ist eine Berufskillerin, und er muß bald, ohne es zu wissen, ihren Mann umlegen, weil der die Prizzi-Familie böse beklaut hat.

Als der Mittvierziger Partanna erfährt, wen er da liebt, beginnen die Gewissensbisse: Soll er sie töten oder heiraten? Seine Ex-Braut sagt ihm: Heirate sie. Bloß weil sie stiehlt und mordet, muß sie doch sonst noch keine schlechte Frau sein. So heiratet er sie und fragt sie selbst, wie viele Menschen sie denn schon umgebracht habe. Sie: Ungefähr drei oder vier pro Jahr. Er, entsetzt: So viele? Sie, mit einem entwaffnenden Lächeln: So viele sind das nicht, verglichen mit der Gesamtbevölkerung.

Daß die Mafia-Geschichte so wirksam und enthüllend auf glitschigem und kitschigem Parkett einer Boulevard-Komödie ausrutschen kann, liegt vor allem an den Darstellern und ihrem parodistischen Mut.

Jack Nicholson spielt den verliebten Finsterling als gefährlich brütenden Dumpfbeutel, der seine Liebesweisheiten aus populären Magazinen zitiert, Art deco für einen Mitarbeiter oder Kumpel hält und dessen lauerndes Gesicht die ungeheuren Anstrengungen widerspiegelt, die von den simpelsten Denkvorgängen ausgehen.

Nicholson spielt den unbeholfen balzenden Totschläger mit viel Selbstironie. Und er nimmt ihm nichts von seiner kriminellen Widerwärtigkeit, so daß man Hustons und Nicholsons Mut bewundert, einen Film ganz der Person eines Anti-Helden und leicht debilen Finsterlings anzuvertrauen.

Denn auch Kathleen Turner ist als seine Angebetete zwar unheimlich sexy und scheinbar viel raffinierter als ihr Partner. Aber nicht einmal ihr weint man am Ende eine Träne nach, wenn ihr Partner sie doch noch, ihr zuvorkommend, tötet.

Huston hat den Widerspruch zwischen Bestialität und Sentimentalität im Mafia-Genre aufgehoben: durch Komik, die aus der Lächerlichkeit der Mafiosi resultiert.

Lächerlich sind sie allerdings nur für Leute, die mit ihnen nichts zu tun haben. Weil sie sie nur vom Kino her kennen. Beispielsweise.

Hellmuth Karasek _(Mit Kathleen Turner und Jack Nicholson. )

Mit Kathleen Turner und Jack Nicholson.

Hellmuth Karasek

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