Zur Ausgabe
Artikel 61 / 81

KUNST Magischer Schlapphut

Was klassizistische Maler hätten malen können oder sollen, holt der Italiener Mariani nun in »reinerer Schönheit« nach: fiktive Kunstgeschichte als moderne Kunst.
aus DER SPIEGEL 46/1977

Liebe Angelika«, so schreibt der römische Maler Carlo Maria Mariani an eine Seelenfreundin, »laß mich sagen, daß ich tausendmal lange an Dich gedacht habe.« Schwärmerisch bekundet er der »entzückenden Frau von Geschmack« seinen »Dank für die Dinge, die Du mich begreifen gelehrt hast«, und nur ein Schmerz bleibt, »leider«, dem Verehrer: »daß ich Dich nicht persönlich kennenlernen konnte«.

Denn dazu ist die Adressatin schon viel zu lange tot. Maler Mariani, 46, korrespondiert mit seiner Schweizer Zunftgenossin Angelika Kauffmann, die seit 170 Jahren in Rom begraben liegt. Sie hat dort aber auch viele Lebensspuren hinterlassen.

Ein solches Zeugnis -- Anlaß für den Brief ins Jenseits -- inspiziert Mariani gern in der vatikanischen Pinakothek. Es ist ein unvollendetes Leonardo-Gemälde mit dem Heiligen Hieronymus« das einmal Eigentum der Angelika Kauffmann war. Und gewiß, so empfindet der spätgeborene Kollege nach, müsse die Künstlerin öfter Lust bekommen haben, das Bild fertigzumalen -- nämlich gemäß »Deiner reineren Vorstellung von Schönheit«.

Was die Verblichene unterließ, das hat Mariani nachgeholt und Leonardos Motiv in den glatten Formen und kühlen Farben der Kauffmann-Ära hingepinselt. Er zitiert dazu ein Goethe-Wort, jeder gute Gedanke sei bereits gedacht, man müsse ihn nur wieder denken.

Dergleichen »Wahlverwandtschaften« (Titel einer römischen Mariani-Ausstellung) beschäftigen den Künstler seit rund vier Jahren. Immer wieder fühlt er sich in längst verstorbene Vorgänger ein und malt als ihr postumer Stellvertreter, was sie nach seiner Meinung hätten malen können oder sollen.

Das Rollenspiel mag auf den ersten Blick verschroben wirken -- in die aktuelle Kunstszene paßt es wie ein fehlendes Stück ins Puzzle: Eine Rückwärts-Wendung zu kollektiven Erinnerungen, die Phantasie mit dem Schein der Wissenschaftlichkeit verquickt (Trend-Slogan: »Spurensicherung"), ist bei zahlreichen, überwiegend europäischen Künstlern im Schwang. Wie, gewissermaßen arbeitsteilig, das Franzosen-Ehepaar Poirier die Pseudo-Archäologie und der Italiener Claudio Costa die Pseudo-Anthropologie über-

* »Angelika Kauffmann": Tischbein-Gemälde »Goethe in der Campagna«; Angelika-Kauffmann-Porträt von Reynolds.

nommen hat, so sichert sein Landsmann Mariani die Spuren einer hypothetischen Kunstgeschichte.

Nicht zufällig führt die Fährte ihn regelmäßig zu jenen produktiven und kritischen Geistern, die im 18. Jahrhundert von fernher in Rom zusammenströmten: zum Altertumsforscher Winckelmann, zu Goethe, Angelika Kauffmann oder -- wie jetzt die erste deutsche Mariani-Ausstellung in der Kölner Galerie Maenz offenbart -- zum damaligen Erfolgsmaler Anton Raphael Mengs, der auch schon, wie Mariani, ein »pictor philosophus« gewesen sei.

Wahlverwandt nämlich, wie Mariani sich seinen klassizistischen Heroen nahe fühlt, hatten die bereits auf Vorbilder aus Antike und Renaissance geblickt: Er reproduziert ihre Sehnsucht nach einem entschwundenen Schönheitsideal nebst dem frommen Wunsch, es möglichst noch zu übertreffen.

Diese Haltung, nicht das bißchen Öl auf Leinwand macht an solch freiwilligem Epigonentum die Kunst aus. Mariani übertreibt die blutleere Malweise Mengs« zu scheußlich-schöner Perfektion und erhebt zugleich durch Textzitate den Vorgang einer imitierenden und variierenden Kunst-Aneignung zum Thema. Wer in Köln für 2500 bis 6500 Mark ein Mariani-Bild erwirbt, bekommt eine einschlägige historische Dokumentation dazu.

Mengs beispielsweise, der seinen zweiten Vornamen Raffael verdankte, war schon als Knabe von seinem Vater im Vatikan eingesperrt worden, um Raffael-Fresken abzuzeichnen. Auch später hat er den Renaissance-Meister oft kopiert, obwohl der, wie er fand, leider zum wahrhaft »erhabenen Stil« nicht vorgedrungen war. Solchem Mangel indes, so urteilten Zeitgenossen, half Mengs als Imitator glücklich ab. Er »verbesserte und adelte« etwa eine berühmte Raffael-Madonna und verlieh ihr endlich die gehörige »bellezza ideale«. Daß eben dieses Mengs-Werk mittlerweile verschollen ist, eröffnet für Mariani einen Spielraum, den er zu einem süßlicheren, wie von Mengs gemalten Raffael-Abklatsch nutzt -- in der Hoffnung, »daß Mengs damit zufrieden wäre«.

Wahlverwandtschaftliche Beziehungen drückt Mariani ferner durch eine Kombination von Bildmotiven aus: Einem selbstporträtierten Mengs setzt er ein Raffael-Barett auf, der (vom Briten Joshua Reynolds gemalten) Angelika Kauffmann den Schlapphut aus Wilhelm Tischbeins italienischem Goethe-Gemälde.

Wenn aber Mariani eine Bilderreihe vom Mengs-Selbstporträt über dessen Kopie durch einen Mengs-Schüler, wiederum dessen Selbstporträt, das seinerseits von Mariani kopiert wird, bis zu einem photographischen Mariani-Selbstbildnis durchführt -- und wenn sich dann unversehens eine physiognomische Ähnlichkeit Mengs-Mariani herausstellt, dann, sagt der moderne Künstler, »beginnt eben das Magische«.

Medialen Kontakt zu seinen Idolen sucht Mariani an den römischen Schauplätzen ihres Erdenlebens, und er empfindet es nachträglich als bedeutungsvoll, daß just in dem Baukomplex, in dem er selbst zur Schule ging, Anton Raphael Mengs sein Grab gefunden hat. Auch pocht er, bei so vielen deutschen Wahlverwandten, auf eine leibliche deutsche Urgroßmutter.

Nachforschung an Erinnerungsstätten, in Bibliotheken und Archiven ist für Marianis Arbeit derart wichtig, daß das gemalte Bild als ihr bloßer, fast schon entbehrlicher Abschluß erscheinen kann, jedenfalls aber ohne die Recherche gar nicht zustande käme. Nur durch Schriftquellen erfuhr Mariani von einem Mengsschen »Perseus und Andromeda«-Gemälde. Aus dem puren Titel hat er das seinerzeit hochgelobte Werk im Stil des Original-Schöpfers rekonstruiert -- ein bislang eher von Fälschern praktiziertes Verfahren.

Genau wie die unlautere Konkurrenz will Künstler Mariani beim Malen »sich selber annullieren«. Zur Sicherheit signiert er immerhin auf der Rückseite des Gemäldes.

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 61 / 81
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren