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Schriftsteller Mal mitgeruckelt

Der »rote Rühmkorf« hat eine Autobiographie verfaßt. Sie enthält Erinnerungen an eine frühe China-Reise, Kollegen-Porträts (Graß, Enzensberger) und eine Analyse von Ulrike Meinhofs Weg in den Untergrund.
aus DER SPIEGEL 17/1972

Er war, als Reise-Genosse einer »Gesamtdeutschen Jugenddelegation«, schon 1955 in China, hat schon damals Tschou En-lai »zwischen Bambusspitzen und Hefebällchen die Hand gedrückt« und auch »den berüchtigten und sagenhaften neuen Menschen« dort »überall schon laufen sehen«.

1956, bei einem »Internationalen Studentenkongreß« in Prag, raufte er sich über die arabisch-israelische Frage mit einem jungen Palästinenser -- der hieß Jasir Arafat.

Im selben Jahr auch war er bei den »ersten antiimperialistischen Großdemonstrationen« in der Bundesrepublik dabei. 1964. als er seine »Hochzeit mit der Genossin Eva-Marie Titze« so schwungvoll feierte, daß der Verleger Ledig-Rowohlt »halb unterm Möbel-Hühnlein-Sessel« lag, sprach ein anderer Gast ein »prophetisches Wort": »Ihr seid etwas, was ich nie verstehen werde, ihr seid etwas völlig anderes« -- das war Ulrike Meinhof.

Im Frühjahr 1967 sorgt er dafür, daß Bahman Nirumands Anti-Schah-Buch rechtzeitig zum Schah-Besuch in West-Berliner Studentenhände gelangt; auf die Nachricht von der Erschießung Benno Ohnesorgs hin eilt er »an unsere Hamburger APO-Front« und erlebt ersten »Hautkontakt mit Bullen«.

Jawohl, er ist -- wie er sich jetzt, mit 42, so erinnert -- immer an der Front gewesen, immer vorn dran, der Dichter Peter Rühmkorf. Und als er im Januar 1972 erfährt, daß ein Hamburger Kriegerdenkmal von dem »steinernen Nonsensevers »Deutschland muß leben / und wenn wir sterben müssen"« gereinigt werden soll, da memoriert er befriedigt. ein Gleiches selber schon vor mehr als einem Jahrzehnt propagiert zu haben: »Wenn man dabei nicht rechthaberisch werden soll, daß mittlerweile alles, woran man mal mitgeruckelt hat, in Bewegung kommt« -- so der »rote Ruhmkorf« am Schluß seiner Erinnerungen an »Die Jahre. die Ihr kennt"**.

Rühmkorfs Reminiszenzen -- reichlich aufgefüllt mit schon vorveröffentlichten Texten, nachgelieferter Volkspoesie und bislang ungedruckter Eigenlyrik -- sind jetzt als Band I einer neuen Taschenbuchreihe erschienen, mit der Rowohlt den Qualitätsserien »edition Suhrkamp«, »Reihe Hanser« und »Sammlung Luchterhand« Konkurrenz machen will: »das neue buch«.

Nach Jakov Linds »Selbstporträt«. nach »Kopf und Bauch« von Gerhard Zwerenz und neben dem im Herbst erscheinenden »Tagebuch einer Schnecke« von Günter Graß markiert auch das neue Rühmkorf-Buch einen autobiographischen Trend in der deutschen Gegenwartsliteratur: Die Generation der sogenannten Nachkriegsautoren wird sich selbst historisch (jetzt schon).

So »rechthaberisch«, wie Rühmkorf es in jenem Schlußwort für möglich hält, erscheint er in seinen Erinnerungen indes nur auf den ersten Blick. Die »monströse Privatgeschichtsschreibung« (Klappentext) seines Buches, die Ich-Gewißheit, mit der er seinen Lebenslauf als Zeitgeschichte vorführt, die Entschiedenheit, mit der er seine politisch-journalistischen und seine künstlerischen Unternehmungen gehörig würdigt -- sie sind ausbalanciert durch eine Art entwaffnend selbstbewußter Selbstironie.

Rühmkorfs »zweiundvierzig Lebensjahre im Steno-Verfahren durchbilanziert« beginnen mit komischen Kindheitskürzeln: »Geigenunterricht mit Bogenhieben auf die Fingerspitzen. Erste entscheidende Aversionen gegen Kunst- und Bürgerlichegesellschaft.« Sie enden mit der Feststellung: »Habe viele Schlachten, aber nie meine Identität verloren. Wußte vermutlich auch nie recht, was das eigentlich ist.«

Dazwischen -- Student, »Konkret« -- Redakteur, beachteter Lyriker ("Irdisches Vergnügen in g")« Rowohlt-Lektor, Ostermarschierer, Subkultur-Sammler ("Über das Volksvermögen"). erfolgloser Dramatiker ("Was heißt hier Volsinii?") -- zeichnet sich die Identität eines Intellektuellen mit dem »Hang zu plebejischen Unmutsäußerungen« ab; eines aggressiv-brillanten Stilisten »privater Eliteratur« und »politischer Aufklärartikel«, Spezialität »Sondieren von Überbauzauber«; eines »deutschen Doppelpatrioten« (BRD +

* Hochzeitsphoto von 1961.

** Peter Rühmkorf: »Die Jahre, die Ihr kennt. Anfälle und Erinnerungen«. Rowohlt Taschenbuch Verlag. Reinbek; 256 Seiten: 7 Mark.

DDR) mit »Volksfrontseele«; eines Linken gegen »Popsozis« und »politische Trip-Nazarener«; eines nach Kameraderie hungrigen Liebhabers »richtiger, lebendiger Menschen« sowie, nicht zuletzt, »bewegter Freß- und Trinknächte«.

Der Autor gedenkt seiner Begegnungen mit Hans Henny Jahnn »in schlappenden Filzlatschen"« der »die Taktlosigkeit« beging, »mich zu fragen, ob ich mich auch als häßlich empfände«; mit dem Psychosomatiker Arthur Jores, einer »höchst widrigen Mischung aus Musterungsarzt und Frankenstein«; mit Ernst Jünger in der Villa Massimo: »Redete mit niedersächsischer Pisperstimme gezielt an uns vorbei. Fixierte anwesende Langmähner mit dem gnadenlosen Blick des Militärschriftstellers.«

Er charakterisiert Kollegen, schreibt etwa über Günter Graß« dessen »kommoden Umgang« er einst schätzte: »Ein schwieriger Fall für seine Bekanntschaften wurde Graß erst«, als er »sich plötzlich links zu definieren versuchte, was freilich aus Mangel an tieferer Geschichts- und Bücherkenntnis nur bis zum Godesberger Programm reichte«.

Oder über Hans Magnus Enzensberger: »Wenn wir uns zufällig einmal trafen, entwich er alsbald in dringende Termine, Verabredungen auf Flugplätzen. Besprechungen in Hotel-Lobbys, Projektkonferenzen für alle Medien und auf allen Wellenlängen. Vermutlich ist er überhaupt kein Festkörper, sondern ein Luftwesen. das Prinzip Hoffnung auf Rädern, der Weltgeist auf Achse.«

Oder über Walter Höllerer: »So etwas wie ein rechter Enzensberger.«

Das interessanteste Stück in Rühmkorfs Memoiren ist jedoch seine Analyse des Abwegs der Ulrike Meinhof aus dem »'Konkret'-Kreis«, aus der Hamburger »Partyrepublik« und der Ehe mit Klaus Rainer Röhl in den Desperado-Untergrund, in die »Edelcangaceiro-Truppe«.

Rühmkorf schildert Ulrike Meinhof-Röhls einstige -- von ihr durchaus bewältigte -- Doppelrolle als »unerbittliche Gesellschaftskritikerin« einerseits und als »Lieblingskind«, als »verhätschelte Ausnahmeerscheinung« und »gern herumgereichtes Exotikum« eines Hamburger »'Establishment' etwas links vom ESTABLISHMENT« andererseits:

»Während man ihn (Röhl) als unvermeidlichen Kotzbrocken mit in Kauf nahm, zog man sie liebreich an die Brust und schmückte sich mit ihr; und sie schmückte sich für die Gesellschaft und trug zum Gloria-Modellkleid gern das handgehämmerte Skoluda-Gehänge.«

Als Ulrikes Ehe zerbrach, als sie in der Berliner Neuen Linken heimisch werden wollte -- so Rühmkorfs Darstellung -- »kam sie vom privaten Regen in die öffentliche Traufe": Die Neue Linke »war gerade in der dicksten Dispersion«, und die zornige »Sozialanwältin« erlag dem Wahn, »im Gestrauchelten den Aufständischen« zu sehen, »im kaputten Typ den zukunftweisenden Unmutsträger«.

Rühmkorf: »Hatte die Society sich als ein unhaltbares Quasi erwiesen, so suchte sie jetzt in der Lumpengesellschaft die ganze Solidarität ... So begann sich die sentimentalische Identifikation mit den Opfern langsam zu einer naiven Aktionsethik auszuwachsen« -- und das, obwohl Ulrike wie der ehemalige Freund und Genosse sich erinnert, stets »eine geradezu auffällige Scheu, fast schon Berührungsangst« vor Waffen gezeigt hatte.

Ob Ulrike Meinhof diese Analyse bestätigen würde? Immerhin, so weiß Peter Rühmkorf auch noch mitzuteilen: »Sie hielt mich mal für den gerechtesten Menschen der Welt, was ich effektiv bin, ein wahrer Salomo«

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