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SCHIFFAHRT / JOHANNES KRÜSS Marmoriert kraus

aus DER SPIEGEL 13/1967

In hoher See und inmitten treibender Eisbrocken, die gegen die Bordwand rempelten, suchte der deutsche Fischdampfer »Johannes Krüss« 1959 vor dem grönländischen Kap Farvel vergeblich nach Überlebenden des dänischen Frachters »Hans Hedtoft«. In der Messe des Trawlers hing seither eine Ehrenurkunde für Schiff und Besatzung: »In Anerkennung des selbstlosen und hilfsbereiten Einsatzes«.

Acht Jahre und einen Monat nachdem die »Hans Hedtoft« mit 95 Menschen an Bord bei Kap Farvel versank, stand die »Johannes Krüss« wieder in den Gewässern vor Grönlands Südspitze, wieder bei schwerem Wetter. Das ist das letzte, was man von dem 650 Bruttoregistertonnen großen Bremerhavener Fischdampfer und seinen 22 Mann Besatzung weiß.

Ob die »Johannes Krüss« wie 1959 die »Hans Hedtoft« vor Grönland einen Eisberg rammte, ob sie durch sogenannten Black Frost (Schwarzer Frost) kenterte oder ob sie von einer mächtigen Kreuzsee unter Wasser gedrückt wurde -- das wird vermutlich »auch für Fachleute ein Rätsel bleiben« (Direktor Gerhard Sommer von der »Johannes Krüss«-Reederei Kämpf & Co. KG).

Die »Johannes Krüss« gehört zu den Dutzenden Schiffen, die von der See verschwanden -- so schrieb einmal der schriftstellernde Kapitän Alan Villiers -, »ohne auch nur angedeutet zu haben, daß sie in Schwierigkeiten gerieten, ohne Überlebende zu hinterlassen, ohne den geringsten Hinweis auf das, was ihnen zugestoßen war«.

Allein seit Kriegsende gingen drei deutsche Fischdampfer verloren, ohne auch nur ein SOS gefunkt oder einen »Mayday«-Notruf abgesetzt zu haben: 1948 der Bremerhavener Trawler »H. Hohnholz« mit 14 Mann, 1950 der in Hamburg beheimatete Fischdampfer »Cranz« mit 19 Mann und 1952 der Bremerhavener Trawler »N. Ebeling« mit 20 Mann.

Nächst Rettungskreuzern und Kriegsschiffen gelten Fischdampfer zwar als die seetüchtigsten Wasserfahrzeuge:

> Ihr stämmiger Rumpf und der scharfgeschnittene Bug mit der ausladenden hohen Back darüber sind dafür ausgelegt, auch mit schwersten Seen fertig zu werden.

> Die Ladung der Fischdampfer -- der Fang -- ist in dem vielfach abgeschotteten »Fischraum« so gestaut, daß sie auch bei extremer Schräglage des Schiffes nicht übergehen (verrutschen) kann. In der Frachtschiffahrt dagegen ist Kentern durch übergehende Ladung eine der häufigsten Unfallursachen.

Aber Trawler sind auch gefährdeter als alle anderen Seeschiffe. Denn Fischfang kann nur in Gewässern betrieben werden, die Handelsschiffer möglichst meiden: dicht unter Küsten oder auf Untiefen, wo gefährliche Grundseen laufen und die Stürme vernichtende Brecher auftürmen.

Zudem befinden sich die Fanggründe der mitteleuropäischen Hochseefischerei in Seegebieten, die ohnehin zu den wildesten und finstersten Winkeln der Erde zählen. Bis Mitte der 50er Jahre waren das vor allem die Barents-See, die Gewässer um die Bäreninsel und vor Norwegen sowie die Bänke bei Island. Und seit diese Gewässer nahezu abgefischt sind und Island innerhalb einer Zwölf-Meilen-Zone keine fremden Trawler mehr duldet, müssen die Hochseefischer auch bis vor die Küsten Labradors, Neufundlands und Grönlands dampfen.

Neben Sturm und Nebel bedroht die Seefahrer dort auch noch Eis -- eine Gefahr, die heute genauso unberechenbar ist wie vor Erfindung des Radars.

Denn einwandfrei zu orten sind Eisberge auf dem Radarschirm bestenfalls bei ruhigem Wetter. »Marmoriert kraus« (so Oberstudienrat Erich Koch, Lehrer an der Seefahrtschule Hamburg) und kaum noch deutbar ist das Radarbild dagegen bei hohem Seegang und starken Regen- und Schneeböen. Dann reflektiert außer möglicherweise vorhandenen Eisbergen auch noch jeder Wellenkopf die Radarwellen.

Treibende Eisfelder können ein Schiff einschließen und unter Umständen zerquetschen, Eisberge können seinen Rumpf aufschlitzen. Aber Schiffe können auch selbst zu Eisbergen werden -- durch »Black Frost«.

So nennen Nordmeerfischer den Vorgang, wenn sogenannter arktischer Seerauch oder Regen auf dem stark unterkühlten Schiff zu Eis erstarren und schließlich Masten, Deck, Rettungsboote und Kommandobrücke mit einem glasharten Panzer überziehen. Gefrieren auf diesem Panzer auch noch Gischt und überkommende Seen, kann das Schiff so topplastig werden, daß es kentert.

Auf diese Weise gingen am 26. Januar 1955 nördlich von Island die britischen Fischdampfer »Roderigo« und »Lorella« verloren. Durch Gischt und Regen, die sich als Eis an ihren Aufbauten festsetzten, kam auch die »Johannes Krüss« im Februar 1959 in Bedrängnis, nachdem sie vergeblich nach Überlebenden der »Hans Hedtoft« gesucht hatte. Das Eis zerstörte unter anderem die Isolatoren und Antennen der Funkanlage. Zeitweilig konnte sie keinen Kontakt zu Schiffen und Landstationen aufnehmen.

Doch damals meldete sich die »Johannes Krüss« nach ein paar Tagen wieder. Als diesmal die Routinemeldung über die Ankunft auf dem Fangplatz eine halbe Woche überfällig war, gab die Reederei -- am 6. März -- ein Telegramm auf: »Warum keine Meldung?« Die Seefunkstelle Norddeich-Radio konnte den Spruch nicht absetzen. Der Adressat antwortete nicht.

Vom 9. März bis zum Mittwoch letzter Woche strahlte Norddeich-Radio achtmal täglich einen Funkspruch »An alle« aus -- mit der Aufforderung, nach der »Johannes Krüss« Ausschau zu halten.

Der »An alle«-Rundruf wie auch die Suchaktion von Flugzeugen und Marinefahrzeugen unter Grönlands Küsten ergaben nicht den geringsten Hinweis.

Selbst Anhaltspunkte über den mutmaßlichen Kurs des Trawlers fehlen. Die Reederei hatte es Kapitän Starossek, 41, freigestellt, westlich oder östlich von Grönland zu fischen. Er hatte nur eine Order: Das Schiff sollte spätestens am Sonntag vor Ostern zurück sein -- rechtzeitig genug zum Karfreitags-Fischgeschäft.

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